Samstag, 24. April 2021

Jenseits der Blogroll - 04/2021


Bevor wir zu den diesmonatigen Links und Fundstücken kommen, gestatte man mir ein paar Worte zu der höchst verpeilten Aktion #allesdichtmachen, die schon jetzt als einer der größten Erfolge der Querdenkerszene gelten kann:

Was an der Aktion irritiert, ist weniger, dass da Kulturschaffende, die, nebenbei, überwiegend zum gut etablierten und teils öffentlich-rechtlich versorgten Establishment ihrer Zunft gehören, sich satirisch mit der Corona-Politik der Regierung auseinandersetzten, sondern vielmehr die überwiegend hanebüchene Flachheit dessen, was da als Satire verkauft wurde. Man greift zum guten alten Mittelchen der Hyperbel, vulgo: der grotesken Überzeichnung ("Dann macht halt alles dicht!") und erwartet -- ja, was genau eigentlich? Dass reihenweise Leute unter der Last der Erkenntnis zusammenbrechen? "Oh mein Gott, was für ein Narr ich autoritätshöriges Schlafschaf doch war die ganze Zeit!", oder was? Es gibt Laienkabarettgruppen, die schon für Ambitionierteres von der Bühne gepfiffen wurden.

Ferner wurde man so freundlich wie feingeistig daran erinnert, dass der Tod nun einmal zum Leben gehöre ("Der Tod ist groß. / Wir sind die Seinen", zitiert Tukur Rilke). Aha. Stimmt zweifellos. Nun will ich gewiss niemandem in eventuelle eigene Frühablebenspläne hineinquatschen. Aber bin ich ein Vollspießer, wenn ich gern noch ein wenig leben würde? Oder mir das für liebe Mitmenschen wünsche? Erinnert mich an meine Zeiten als aktiver Raucher. Da habe ich diverse Predigten von Nicht- und Antirauchern gern gekontert mit dem Hinweis, Nichtraucher stürben halt auch (was man mir aber nie durchgehen ließ). Bin ich verpieft, wenn ich dafür eintrete, denen, die sich auf den Intensivstationen seit Monaten die Ärsche abarbeiten und auch das nicht für Propaganda halte, nicht unnötig mehr aufzuhalsen?

Oder wie soll ich sonst auf den Schmus reagieren als jemand, der die Maßnahmen zwar extrem lästig aber im Kern eben nicht überflüssig findet? Weil ich die Pandemie nicht für einen Schwindel halte? Meine mir von Covidioten zugeschriebene Rolle des angstgetriebenen Untertanen ebenfalls überzeichnen und mit Schaum vor dem Mund fordern, alle sofort in Lager zu stecken, oder was? Damit meine kleinbürgerlich-niederträchtige Untertanenmaske fällt? Hättet ihr vielleicht gern. Ehrlich: Wenn das, was die gut fuffzich Promis da verbrezelt haben, alles ist, was einige der namhaftesten hiesigen Schauspieler an kreativer Auseinandersetzung mit der Thematik auf die Kette kriegen, dann braucht man sich über Irrelevanz vielleicht nicht zu wundern.


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"Das Problem ist: Sachliche Argumente bleiben auf der Strecke, wenn man nur die Gegenargumente falsch darstellt. So argumentieren Querdenker:innen aber völlig unironisch: Sie zeigen absichtlich falsche und überzogene Argumente, um nicht ernsthaft mit guten Argumenten ankommen zu müssen." (Thomas Laschyk)

Ganz nebenbei illustriert 'Nachdenkseiten'-Mitherausgeber Jens Berger sehr schön, wie Diskurs im Umfeld der 'alternativen' Medien seit einiger Zeit höchst erfolgreich betrieben wird. Erst wird die Aktion als "Ende des Schweigens" betrommelt, als sei Kritik an der Corona-Politik der Regierung eine irre mutige Sache (was sie nicht ist) und die ganze Zeit irgendwie totgeschwiegen worden (was sie definitiv nicht wurde), dann werden die beiden mit weitem Abstand deppersten Reaktionen (1, 2) herausgepickt, als repräsentativ für eine in dieser Geschlossenheit nicht existierende 'Gegenseite' geframt und dann triumphiert: Ha, da sieht man's wieder! Genau ins Schwarze! Job done.

Nun ja. Ein Glück, dass Hetzer immer die anderen sind. Sonst käme am Ende noch das eigene Geschäftsmodell ins Rutschen.

So. Musste mal raus. Die Links des Monats:

Politik/Corona & all that jazz. Tim Caspar Boehme befindet ob der o.g. Aktion: Nicht ganz dicht. Was auch ein schöner Hashtag wäre.

Dazu noch ein Interview mit Alexander Waschkau von Hoaxilla.

Ellen Daniel interviewt Wolfgang Kraushaar zu der Frage, wie aus roten Studenten braune Rentner wurden.

Stefan Sasse hält die Jahre zwischen 2004 und 2015 für verdrängt, aber sehr wichtig, wenn man das verstehen will, was momentan passiert und plant eine Artikelserie. Spannende Hypothese. Bin ich dabei.

Hannes Stein lässt die Inquisition hochleben.

"Es gibt keinen Beweis dafür, dass irgendein Idiot im Mittelalter gedacht hat, die Erde sei flach. Die größte Zahl von Leuten, die an die »flat earth theory« glauben, lebt heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts - und zwar dank YouTube, das die Verschwörungstheorie verbreiten half, »die da oben« enthielten den Menschen »die Wahrheit« über die Natur des Universums vor. […] Die Inquisition hätte zumindest nicht geduldet, dass solcher Dünnpfiff im Namen der Kirche gelehrt wird." (Stein, ebd.)

Apropos Inquisition: Harald Welzer hält Identitätspolitik für eine antiaufklärerische Mode. NB: Ich auch. Und sie wird vorbeigehen. Ich bin einigermaßen zuversichtlich, dass diese Geisterbahn, die, wie weiland 68, im wesentlichen von einer kleinen, dafür umso lauteren Blase privilegierter Bürgerkinder am Laufen gehalten wird, sich in absehbarer Zeit selbst zerlegen wird. Wegen der inhärenten Dynamik des ganzen, der immanenten Widersprüche dieses Opferwettlaufs. Die Grüppchen werden immer kleiner werden, die gegenseitigen Vorwürfe immer absurder. Any mob that comes for them will someday come for you. Das Ganze hat momentan einen gewissen Erfolg, weil die intellektuellen Hürden, da mittwittern zu können, ausgesprochen niedrig hängen. Volksfront von Judäa! (Manchmal frage ich mich übrigens, ob es bloße Korrelation ist, dass das zeitlich zusammenfällt mit der geistigen Bologna-Verschlankung der Universitäten und der Tatsache, dass die letzten Profs und Lehrkräfte 'alten Schlages' langsam in Rente gehen).

Cory Doctorow über den digitalen 'Armbrecher-Kapitalismus'.
 
Kultur/Entertainment. Joscha Sauer (nichtlustig.de) hat eine Anfrage bekommen. Kennt jeder Kreativarbeiter.

Herwig Finkeldey über Thea Dorns Briefroman 'Trost'.

"Die Protagonistin [...] sieht sich als Heldin der Freiheit inmitten einer Gesellschaft, die sich vor Todesangst in eine blökende Herde verwandelt. Sie setzt auf das Pathos des Aufstands. Eine ziemlich trostlose Perspektive." (Finkeldey, ebd.)

Kommt mir irgendwie bekannt vor.

Malte Müller-Michaelis erinnert an das 40jährige Jubiläum der hochgradig langweiligen und ideologisch nicht unbedenklichen Hörspielserie 'TKKG' (mit der ich damals vor 40 Jahren, obwohl voll Zielgruppe, nix anfangen konnte). Am liebsten, so bekennt er freimütig, wäre er Klößchen gewesen. Was mir auffiel: Der als verfressen und dick bezeichnete Klößchen ist zumindest in den Verfilmungen nicht wirklich dick, sondern trägt halt eine Konfektionsgröße mehr als die anderen. Klößchen ist weder sportlich wie Tarzan noch nerdmäßig strebsam wie Karl und auch nicht überangepasst wie Gaby. Schlimmer: Er ist ein Hedonist, der gern einen Nachschlag nimmt und alles nicht so bierernst sieht. Da muss man sich auch mal ein bisschen diskrimieren lassen.

Musik. Die kryptischen kanadischen Postrock-Urgesteine Godspeed You! Black Emperor um Efrin Menuck haben ein neues Album namens G_d's Pee AT STATE'S END! herausgebracht. Man mag sie entweder oder findet sie todlangweilig. Mich saugen sie immer wieder irgendwie ein. Kostprobe:


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Uwe Ebbinghaus über den durch Boney M. berühmt gewordenen Song 'Rivers Of Babylon' und dessen Original.

Spocht. Heuer ist 'Flankengott' Rüdiger Abramczik 65 geworden. Dazu ein Interview mit ihm. Ein ferner Klang aus besseren Schalker Tagen.

Essen/Trinken/gutes Leben. Leonhard M. Schulz über die politischen Aspekte von Fried Chicken. Kein Witz.

Vincent Klink über das manchmal rätselhafte Völkechen der Schwaben.

Das Rezept. (Ein längliches kulinarisches Essay erspare ich mir angesichts der langen Vorrede dieses Mal.) Regelmäßig hier Lesende könnten leicht auf folgende Gedanken kommen: Erstens, dass ich mir nichts aus italienischer Küche mache und zweitens, dass unbedingt immer und überall Fleisch im Spiel sein muss. Das ist beides nicht der Fall, aber in Betrachtung dessen, was hier bisher erschienen ist, sind diese Gedanken schon verständlich. Sagen wir so: Italienisches bzw. italienisch Angehauchtes ist so alltäglicher und fester Bestandteil meiner Kocherei, dass ich's kaum noch hervorhebenswert finde. Und als Freund der indischen Küche kann ich Fleischlosem einiges abgewinnen. Also italiano e senza carne. Alessandra Dorigatos Ricotta-Bällchen in Tomatensauce werden definitiv demnächst in Angriff genommen. Und wo wir gerade beim Thema sind, gibt es noch einen vegetarischen Nachschlag: Herrlich fette überbackene Gnocchi alla Sorrentina.





7 Kommentare:

  1. Was mich bei #allesdichtmachen am meisten irritiert: Es gibt hierzulande einige Autoren, die den Herrschaften mit Freuden bessere, klarere, pointiertere und vor allen Dingen schärfere Texte hätten schreiben können. Warum haben die beteiligten Schauspieler die nicht mit ins Boot geholt. Leute, die sowas schreiben können, sind ja keine Geheimtipps, die Allesdichtmacher kennen die doch, die arbeiten doch sonst zusammen. Leute wie Liefers oder Tukur müssen doch gemerkt haben, dass dieses als Ironie verkleidete Geraune suboptimal ist.

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    1. Das ist auch nicht satirisch, sondern geschmackloser Zynismus, den ich so einigen untr denen nicht zugetraut habe. Und dann die Frage, wen sie damit erreichen wollen. Die Politik regelt und viele Menschen halten sich nicht daran. Werden in ihrer Regelverletzung von Covidioten als Widerstandskämpfer geadelt und fühlen sich darüberhinaus nicht einmal verantwortlich, dass trotz schärferer Maßnahmen die Inzidenz steigt.

      Wo waren denn die 50 oder 53 Schauspieler, als das Thema Hanau, Walter Lübke aus Kassel, Halle, ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer hieß? Meine Standardfrage zu dieser Mischpoke: Warum nutzen sie nicht die Gelegenheit, in Anwesenheit von politischen Repräsentanten bei der Verleihung von Filmpreisen nicht die Gelegenheit, ans Micro zu gehen und die Politfiguren so richtig zusammen zu falten? Vielleicht, weil diese von mir genannten Themenbeispiele ihnen am Arsch vorbeigehen und sie zu der normalen Bevölkerung in ihrer elitären und eitlen Arroganz nur soviel Kontakt wünschen, das sie sich von unsereinem nicht einmal ein Bier servieren lassen würden.

      Marcel Reich-Ranicky hat diesen Part einmal mutig "performt" und die TV-Medien 2008 bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises scharf kritisiert, hat aber dann vom Lockenköpfchen Gottschalk wieder zurückpfeifen lassen.

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    2. Und vor allem hat auch garniemand ahnen können, dass man mit solchem Geraune vor allem die braunen Brigaden glücklich macht. Das ist eben der Punkt: Schauspieler sind keine Autoren, sondern professionell darin, anderer Leute Texte zu interpretieren.

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  2. Man sollte aus den Bodentruppen der Unterhaltungsindustrie keine Intellektuellen machen. Sie können nur auswendig lernen und wiederholen, was Menschen wie Brecht oder Bonetti für sie geschrieben haben :o)

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  3. Guten Abend zusammen,
    "Sie können nur auswendig lernen und wiederholen ..."
    Das "nur" erscheint mir ein wenig hart, aber grundsätzlich stimmts.
    Unser Bild des Schauspielers wird getragen von:
    Dem Regisseur
    Dem Drehbuchschreiber
    Dem Kameramann
    Die echte Person verschwindet — selbstverständlich halte ich das ganze Geschwurbel um Authenzität etc. der Schauspieler für Wichtigtuerei und zitiere gerne Frank Zappa: "W're only in it for the money."

    Trotzdem bin ich ich von der Blödheit der 53 Deppen enttäuscht und verweise gerne auf das Video von Kida Ramadan dazu — nicht abgehoben und — in Bezug auf die 53 — zum Heulen vernünftig kommt da jemand rüber, der einfach nur ein bisschen nachgedacht hat — was für Deppen — mannmannmann.

    Gruß
    Jens

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  4. Angeblich will Til Schweiger die 50 Videos zu einem Spielfilm zusammenfassen. Bei dem Titel des Films ist er sich noch nocht sicher. Entweder "Kleinhirnküken" oder "Grütze im Kopf"!

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