Montag, 21. Juni 2021

A spoonful of sugar

 
Wenn es ein Gebäude gibt, das Teile des deutschen Mindsets anno 2021 in sich vereint, dann ist es die FC Bayern World an der Münchner Weinstraße. Ein "Kitschtempel von abgrundtiefer Hässlichkeit. Die historisierende Fassade sieht so aus, als habe sie ein betrunkener Walt-Disney-Zeichner für ein tränentriefendes Prinzessinenmärchen entworfen. Wenn Despoten sich heute neue Paläste entwerfen, dann ist es gut möglich, dass etwas herauskommt, was aussieht wie die World des FC Bayern.", wie Andreas Rüttenauer diese neugründerzeitliche, betongewordene Marzipantorte luzide charakterisiert.

Interessanterweise verbirgt sich hinter der pseudohistorischen Zuckerbäckerfassade ein topmodernes Inneres. Sichtbeton, Stahl, rohes Holz. Und Rohre. Modisch angeranzt. Galeria Kaufhof meets Berghain. Modern ja, aber bitte ohne Zumutungen.

Und das führt uns sehr schön zur CDU. Die hatte, wie von anderen politischen Kräften im Lande gern streberhaft moniert wurde, bis heute noch gar kein Wahlprogramm. Als einzige! Ja isses denn...? Was offenbar immer noch nicht verstanden wird: Die CDU bräuchte eigentlich gar kein Wahlprogramm, da sie sich von Inhalten weitgehend verabschiedet hat. Und sie braucht sich auch mit Logik und Kohärenz nicht groß aufzuhalten. Sie lebt nämlich von einem Grundgefühl. Der Verzagtheit großer Teile der bürgerlichen Mitte. Die zwar schon irgendwie ahnt, dass es nicht ewig so weitergehen kann wie bisher, aber bitte auch den Pelz nicht nassgemacht bekommen will.

"Auch wenn alles zusammenbricht", schrieb Sascha Lobo mal scharfsichtig, "haben Konservative anders als Progressive immer einen letzten Fixpunkt: Konservatismus ist die Kunst, sich mit der Welt zu verwechseln." Und: Konservatismus hat nichts zu tun damit, 'Bewährtes/Traditionelles zu erhalten' oder so was. Dann hätten sich Konservative nie gemein machen dürfen mit dem Neoliberalismus, einem der größten Zerstörer traditioneller Strukturen seit Menschengedenken.  

Nein, die CDU fährt wunderbar damit, eben jenen Teilen der Mittelschicht und des Kleinbürgertums (Teile des Großbürgertums wählen sie eh aus Gewohnheit) die Botschaft zu vermitteln: Ja, es wird schon irgendwie Veränderungen geben müssen in nächster Zeit. Auch der Klimawandel ist wohl doch kein Fake und nicht bloß eine Obsession bezopfter Schwedinnen und Schulschwänzer. Aber wir, die CDU, werden dafür sorgen, dass die Veränderungen dir, lieber Kleinbürger und Mittelschichtler, bestimmt nicht zu wehtun werden. Und vor allem: Nicht sofort. Nur keine Hektik. A spoonful of sugar makes the medicine go down.

Es geht auch nicht um fachliche Arbeit, die lässt man die anderen erledigen und sich unbeliebt machen, es geht ums Bauchgefühl. Daher muss die Union auch nicht groß wahlkämpfen. Sie muss sich nur zurücklehnen, darauf achten, dass einer wie Friedrich Merz nicht zu ausfallend wird. Und, wie gesagt, die anderen sich aufreiben lassen. Es gab Unionsanhänger, die es hinbekamen, drei Jahre, 51 Wochen und sechs Tage auf Angela Merkel zu schimpfen, ohne sich einmal zu wiederholen, um sie am siebten Tag dann zu wählen. Und so kann die CDU es sich auch leisten, diverse Ministerposten mit weitgehend Überforderten zu besetzen, denen man in einer Welt, in der es mit rechten Dingen zugeht, nicht einmal eine Vereinskasse anvertrauen würde.

Die Wählerverluste der Union an die AfD sind marginal und durch die Koalitionsperspektiven (SPD, Grüne, FDP) mehr als ausgeglichen. Also spricht das Orakel: Laschet wird Kanzler.





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