Samstag, 13. November 2021

Tatü tata, die Welt geht unter!


Hat man ein paar Jährchen auf dem Buckel, dann stellt sich eine gewisse Gelassenheit, wenn nicht Müdigkeit ein, wenn es heißt, die Welt gönge alsbald unter, weil wieder einmal irgendwer oder irgendwas Unsere KinderTM bedroht. Man bekommt Übung darin. Andererseits kann man’s ein bisschen verstehen. "Denkt denn keiner an die Kinder???!!!" ist nicht nur ein ebenso billiges wie bewährtes Totschlagargument (fragen Sie den Querdenker Ihres Vertrauens), sondern für Medienschaffende von jeher auch ein todsicherer Quoten-/Leser-/Klickbringer. Eine kleine, grob chonologische Auswahl dessen, was ich so bisher mitbekommen habe:

Comics. Schund. Amerikanischer(-jüdischer) Kulturimport, um Unsere KinderTM von Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und Hausmusik abzuhalten.

Kriegsspielzeug. Der Weltuntergang der Wahl als ich klein war, so ab den Siebzigern. Jede Platzpatronenpistole, jeder Plastikpanzer in Kinderhänden züchte eine neue Generation von Militaristen heran, hieß es.

Fernsehen. Das Nullmedium (Enzensberger). Wer einst als gebildet und kultiviert gelten wollte, wetterte gegen das Fernsehen (das er selber guckte, aber nur Nachrichten, man muss schließlich informiert sein). Mache Unsere KinderTM doof, hieß es. Indem sie es von Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und Hausmusik abhielt. Und erst die bösen Strahlen!

Videorecorder. Steigerung von Fernsehen. Ganz bald schon würden Unsere KinderTM mangels Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und Hausmusik samt und sonders zu blasshäutigen Troglodyten mit rechteckigen Augen entarten, hieß es.

Haschzigarette. Ein One way ticket. Die Eintrittskarte in die Heroinabhängigkeit, hieß es.

Telespiele. Steigerung von Videorecordern. Ganz bald schon würden Unsere KinderTM sich mangels Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und Hausmusik samt und sonders zu willenlosen, ferngesteuerten Zellhaufen entwickeln, die nur noch debilen Blickes und mit Spuckefaden im Mundwinkel Pixel über Bildschirme steuern.

Ohnmachtsspiel. Geistert seit Ewigkeiten immer mal durch die Medien. Unsere KinderTM drücken sich auf dem Schulhof gegenseitig so lange die Luft ab, bis einer ohnmächtig wird. Natürlich will ich das nicht verharmlosen, aber ein Massenphänomen war das nie. Oder erinnern Sie sich, wie Deutschlands Schulhöfe übersät waren von leblosen Kinderleibern und die Rettungsdienste Sonderschichten schieben mussten?

Gruftis. Feierten des Nachts schwarze Messen auf Friedhöfen. Buddelten Knochen von Verstorbenen aus. Opferten Jungfrauen dem Satanas. Die nächste könnte deine Tochter sein. Buh!

Heavy Metal. Rock'n'Roll, mit dem Eltern nicht mehr klarkamen. Daher ganz böse. Ganz bald schon würden Unsere KinderTM sich zu schwerhörigen Zombies mit Nackensteife entwickeln, hieß es.

Nachtrag, 19:40 Uhr: Apropos Zombies! Wie konnte ich Horrorvideos vergessen? Eat this:

(Video im erweiterten Datenschutzmodus. Anklicken generiert keine Cookies.)

Heimcomputer. Steigerung von Telespielen. Ganz bald schon würden Unsere KinderTM mangels Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und Hausmusik samt und sonders zu willenlosen, ferngesteuerten Zellhaufen degenerieren, die nur noch debilen Blickes mit Spuckefaden im Mundwinkel Pixel über Bildschirme steuern.

Tamagotchis. Der heiße Scheiß in den Neunzigern. Ein virtuelles Haustier für die Hosentasche. Ganz bald schon, so wurde geunkt, würden Unsere KinderTM nur noch Augen und Ohren haben für ihre batteriebetriebene Nervbox, anstatt für Salzteig, handlungsorientierten Unterricht, pädagogisch wertvolle Lernmaterialien und samt und sonders zu Schulversagern degenerieren.

(Fun fact: Darüber, dass der sicherste Weg, Schulversager heranzuzüchten, immer noch der ist, das Bildungssystem kaputtzusparen, wird meist mit weit weniger Verve disktutiert.)

Killerspiele. Dicke Debatte damals. Jeder Counter Strike-Spieler ein kommender Amokläufer.

(Interessanterweise wird mit weit weniger Verve diskutiert, ob eine Spielreihe wie 'Die Sims Unsere KinderTM zu todlangweiligen Spießern macht.)

Und jetzt ist es die koreanische Fernsehserie 'Squid Game', die die Hirne Unserer KinderTM verkleistert und dieses Mal ganz bestimmt den Weltuntergang einleitet. Pädagogen schlügen bereits Alarm, heißt es. Tatü-tata!

Mal schauen, vielleicht werde ich noch alt genug, um meinen 50. Weltuntergang mitzuerleben.






5 Kommentare:

  1. Wer Comics liest, hört Heino nicht und Moebius macht lamge Haare.

    Bei Zombies mit Nackenstarre hatten sie recht - schaut man seine Mitmenschen im ÖPNV an.

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  2. Passt hier nur halb rein: »Geh doch nach drüben!«, als es noch eine andere Seite gab.

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  3. "Ganz bald schon würden Unsere KinderTM mangels Gutengesprächen, Gutenbüchern, Wandern, Früscherluft und Hausmusik samt und sonders zu blasshäutigen Troglodyten mit rechteckigen Augen entarten, hieß es."

    Ist doch bereits passiert? Adipositas ist die Volkskrankheit Nummer 1, gefolgt von Diabetes. Dazwischen erlebst Du Menschen (unabhängig vom Alter), die alle 3 Sekunden auf dem Smartphone rummeißeln. Mit allen Anzeichen einer Heroinabhängigkeit. Dabei waren die Kids, die sich früher an entlegenen Arealen, wie dem Bahnhof Zoo, den Goldenen setzten, noch die Harmloseren.


    "Killerspiele. Dicke Debatte damals. Jeder Counter Strike-Spieler ein kommender Amokläufer." Ohne die Debatte wäre eine Games Com niemals so erfolgreich gewesen.


    Hoffen wir doch einfach, dass Squid Game auch mit richtigen Waffen nachgespielt wird.

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  4. Heavy Metal. Rock'n'Roll, mit dem Eltern nicht mehr klarkamen. Daher ganz böse. Ganz bald schon würden Unsere KinderTM sich zu schwerhörigen Zombies mit Nackensteife entwickeln, hieß es.

    Hm, einer aus meinem Abijahrgang hat sich zum Abitur am Fuß der Boxentürme von Iron Maiden et al. eine solide Schwerhörigkeit antrainiert, gutenteils an viel Früscherluft. Mit Gutengesprächen war spätestens dann nicht mehr viel, mit Gutenbüchern konnte der aber auch vorher schon nichts anfangen (bzw. er hätte unter Gutenbüchern sicher was anderes verstanden als die bildungsbürgerlichen Motzkühe. Wandern brauchte er nicht, weil er während des Schwerhörigkeitserwerbs in drei Stunden durch Hopsen sicher mehr Kalorien verballert hat als ein frischfrommfröhlichfreier Studienrat an einem ganzen Wanderwochenende im Harz. Ob es für nen steifen Nacken gereicht hat, weiß ich nicht. Ist also alles nicht so einfach, wie's im Feuilleton klang...

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    1. Pfff. Wie sagte Helmut der Bleierne: "Entscheidend ist, was hinten rauskommt."

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