Dienstag, 28. Dezember 2021

Deutsche Billigesser, revisited


Es grüßt mal wieder von fern ein Murmeltier. Mit der Zuverlässigkeit eines alten Kübelwagens oder VW Käfer wird alle paar Jahre die Sau durchs Dorf getrieben, in Deutschland seien Lebensmittel zu billig, die Deutschen in toto ein Volk von Sparfüchsen und Billigfraßfressern. (Moment mal! Sau durchs Dorf treiben? Denkt denn keiner an das Tierwohl???!) Das war Quatsch und ist Quatsch. Die relativen Ausgaben der deutschen Privathaushalte für Lebensmittel bewegten sich 2014 im soliden europäischen Mittelfeld und unterschieden sich nur marginal von denen in Frankreich und Italien.
 
Ich habe mich schon 2014 ausführlich damit befasst und auch entsprechende Zahlen hinterlegt. Glaube kaum, das sich seither im Kern was geändert hat. Warum soll ich mich also wiederholen?

Welcher Anteil des jeweiligen Haushaltseinkommens in den Kauf von Lebensmitteln fließt, hat zudem nichts mit mehr oder weniger Wertschätzung für hochwertige Lebensmittel zu tun, sondern mit Armut und Reichtum. So wurde 2014 ausgerechnet in den ärmsten Ländern Europas, bekanntlich alles ausgewiesene Gourmetparadiese, anteilig am meisten für Lebensmittel ausgegeben.

Höhere Lebensmittelpreise kommen nicht zwingend bei den Erzeugern an und führen, etwa im Fall von Fleisch, auch nicht zwingend dazu, dass die generierten Mehreinnahmen gleichsam an die Tiere weitergegeben werden in Form besserer Haltungsbedingungen. Es sollte einem vielleicht was sagen, dass unter den reichsten Deutschen zwei Familien sind, die ihre Milliarden im Lebensmitteldiscount gemacht haben: Lidl-Gründer und -Supremo Dieter Schwarz sowie die Erben der Albrecht-Brüder. Das hat seine Gründe:

"Der Deutsche sollte seiner Nahrung mehr Wertschätzung entgegenbringen. Dahinter steckt die Vorstellung, höhere Lebensmittelpreise würden von Handel und Herstellern bis zum Acker durchgereicht. Im Gegenteil: Die vielen EU-Subventionen für die Bauern kassiert der Handel kaltlächelnd wieder ein. Das ist der Hauptgrund, warum »bio« im Supermarkt so billig ist. Außerdem ist der Vorwurf der Agrarlobby an Verbraucher, die sparen wollen, heuchlerisch. Die meisten Landwirte kaufen am liebsten im Discounter ein. Wenn ihnen eine gehobene Qualität so wichtig ist, können sie jederzeit mit gutem Beispiel vorangehen, statt mit dem Finger auf die anderen Kunden im Discounter zu zeigen." (Udo Pollmer)

Kein rein deutsches Phänomen. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, als auf den Britischen Inseln das deutsche Discount-Prinzip noch nicht angekommen war. Der dortige Lebensmitteleinzelhandel war dominiert von einem Oligopol aus vier bis fünf großen Ketten (Sainsbury’s, Tesco, Asda, Waitrose sowie im höherpreisigen Bereich Marks & Spencer).

Als serviceentwöhnter, mit Aldi et al. sozialisierter Deutscher kam ich mir vor wie auf einem anderen Planeten: Ich wurde am Eingang begrüßt, mir wurde ein Einkaufswagen in die Hand gedrückt, schaute ich länger als drei Sekunden ratlos in der Gegend umher, fragte sofort jemand: „Hello, good morning/afternoon/evening! How may I help you?“ und geleitete mich persönlich in die gewünschte Abteilung. Überall war jemand am schrubben und wienern. An einer der endlos vielen offenen Kassen wurde mir alles aus der Hand gerissen, von weiteren dienstbaren Geistern in Gratis-Plastiktüten verpackt und um meinen Einkaufswagen brauchte ich auch nicht mehr zu kümmern. Die mussten da das Mehrfache an Personal vorhalten. (Bevor jemand anfangt zu träumen: Inzwischen hat man sich dort nach einer Expansionsoffensive von Aldi Süd und Lidl weitgehend germanisiert.)

Wie wahrscheinlich ist es, dass die im Vergleich zur Heimat damals astronomischen Preise den dortigen Erzeugern zugute kamen? Oder flossen die doch eher zum Teil in die deutlich höheren Personalkosten? In die legendär verfilzten Strukturen der seit Jahrzehnten alles untereinander auskungelnden Oligopolisten?

Zurück ins Inland. Dass nun ausgerechnet die Grünen, allen voran der vegetarische Landwirtschaftsminister Özdemir, wieder einmal zu niedrige Lebensmittelpreise monieren, ist natürlich kein Zufall. Dass die Grünen überwiegend die Partei der besserverdienenden, etablierten, urbanen bürgerlichen Mittelschicht sind, kann nur diejenigen überraschen, die die letzten beiden Jahrzehnte unter irgendwelchen Steinen verbracht haben.

"Aus dem Vorwurf, die Lebensmittel würden zu wenig kosten, spricht die Arroganz der Bessergestellten. Eigentlich ist es doch eine Errungenschaft, wenn auch die weniger gut Betuchten satt werden." (Pollmer, a.a.O.)

(Dass durch politische Entscheidungen das Rad wieder ein Stück in Richtung Almosen verteilen Tafeln und Suppenküchen zurück gedreht wurde, ändert daran nichts. Außerdem sind diese politischen Entscheidungen zurückzunehmen.)

Es ist dieselbe Dünkel, wie anderen den Urlaubsflug abklemmen zu wollen, selbst aber - man kann sich schließlich auch die Öko-Zuschläge leisten - auch weiterhin Flugreisen zu unternehmen und den adoleszenten Edel-Nachwuchs per Flieger ans andere Ende der Welt ins social gap year düsen zu lassen. Und wenn sogar der Pöbel inzwischen Bio-Ware im Discount kaufen kann, dann wird eben der Hokuspokus der Hörnerverbuddler von Demeter als neues, teures Ideal propagiert.







8 Kommentare:

  1. El Supremo Dieter Schwarz.Auch wenn er extrem rich ist, nur Dieter.
    Oder war das ein Wortspiel von dir?Nö,oder?

    lg
    Hagnum

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  2. Luxus ist nur luxuriös, so lange er (m/w/d/x) wenigen vorbehalten ist.
    Besonders dann, wenn Blut und Gene den Zugang dazu separieren.

    noblesse qualifee

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  3. Genau so ist das!

    Und der Herr Pollmer hatte auch schon mal mehr Medienpräsenz mit seinen Themen. Nach einem kurzen Pollmer-bashing lässt man ihn dort nun links liegen.

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  4. Özdemir hat m.E. einfach einen Kommunikationsflop in die Debatte gesetzt! Er kann gar nicht auf Preise einwirken, wohl aber durch Vorgaben (Tierwohl, Bio-Anteil, Pestizide etc.) die Voraussetzungen schaffen, dass Nahrungsmittel teurer werden. Hätte er nur von geplanten Vorgaben gesprochen, wäre die Debatte sicher anders verlaufen, denn diese Vorgaben werden ja auch aus der Gesellschaft seit Jahren vielfach gefordert.

    Grundsätzlich ist die jetzt laufende Vorwurfsdebatte typisch dafür, wie es derzeit nicht nur bei diesem Thema läuft: Nicht wenige haben Gegenargumente dafür gepostet, dass Sozialpolitik nicht über Billigpreise gemacht werden sollte, sondern über Erhöhung des Hartz4-Satzes, des Mindestlohns und weitere strukturelle Maßnahmen.

    Auch dürfte mittlerweile bekannt sein, dass in der Fleischindustrie und auf den Feldern Leute zu Minilöhnen hart arbeiten, teils ohne jegliche soziale Absicherung. Beseitigt man diese Missstände ohne Schlupflöcher zu lassen, werden auch aus diesem Grund die Preise steigen müssen.

    Diese und andere Argumente in diesselbe Richtung werden jedoch nicht beantwortet, die Vorwürfe gegen einen neuen Minister weiter zu spinnen, scheint einfach spannender zu sein, als in die Niederungen / Konkretisierungen des Themas einzusteigen.

    Auch der beliebte "Besserverdiener"-Anwurf in Bezug auf die Grünen ist nicht berechtigt, vergleicht man, wem die jeweiligen Politikvorhaben am meisten nützen:

    "Zentrale Ideen und Vorschläge der Union und FDP hätten vor allem eine Entlastung von Besserverdienern zur Folge. Würden hingegen Vorstellungen der Grünen, SPD und Linke umgesetzt, käme das vornehmlich mittleren und Geringverdienern zugute. Zu diesem Ergebnis kamen Forscher des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der „Süddeutschen Zeitung."

    https://www.rnd.de/politik/union-und-fdp-die-parteien-fuer-besserverdiener-IT32BOVFSNFDDP2A36OI4OBDM4.html

    Was die Wählerschaft angeht, kann ich anführen, dass in meinem Umfeld die meisten Grün wählen, jedoch keinesfalls zu den Besserverdienern, noch nicht einmal zu "Normalverdienern" zählen.

    Das Blöde an diesen am Parteien-Bashing mehr als an der Sache interessierten Debatten ist, dass sich so nicht genug öffentlicher Druck aufbaut, um wirklich etwas in Richtung der o.g. besseren Sozialpolitik zu verändern. Die mit Grünen und SPD vermutlich machbar wäre, aber da ist ja noch die FDP!

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    1. Nun könnte man einwenden, Özdemir sei so lange im politischen Geschäft, dass er eigentlich in der Lage sein sollte, so was zu vermeiden. Zum Thema hat mir die Kolumne von Samira El Ouassil sehr gut gefallen:

      "Die Klimakrise ist die Zeitlupenimplosion einer Welt, die alle Ressourcen, die uns die Natur zu Verfügung stellt, verramscht – auch und insbesondere Fleisch. Und damit werden wir mit folgender Situation konfrontiert: Wenn wir Fleisch essen, schaden wir der Umwelt. Fleisch einfach teurer zu machen, benachteiligt jedoch arme Menschen. Fleisch billig zu lassen, fördert die Ausbeutung der an der Produktion beteiligten Akteure und der natürlichen Ressourcen. Es müssten folglich soziale Leistungen erhöht, Menschen aus der Armut geholt und damit Alternativen zum Fleisch für alle gleichermaßen zugänglich gemacht werden. Gleichzeitig müsste Natur durch eine systemische Veränderung der Produktionsverhältnisse geschützt werden."

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  5. Siewurdengelesen2. Januar 2022 um 12:07

    Da täte ich auch denken tun, dass Özdemir durchaus im Klaren war, was er dort vom Stapel lässt, wenn diese Aussage nicht durch irgendein Medium sinnentstellend aus dem Kontext gerissen wurde. Speziell solche "provozierenden" Aussagen sind eher selten Zufall.

    Dazu passt dann auch die halbe Absatzwende, mit der Lebensmittel leichter "gespendet" werden sollen?! In einem wirklich sozialen System müßte das nicht gespendet werden, sondern da gäbe es kein Diskriminieren über so ein System wie HartzIV und es könnte sich jeder qualitativ gute Lebensmittel leisten.

    Diese Peitsche für vermeintlich Arbeitsscheue und Drückeberger ist genauso eine neoliberale Mär wie die zu billigen Lebensmittel. Meines Erachtens würden selbst höhere Preise weder zu hochwertigerer Nahrung noch zu bewußterem Essen führen, sondern nur den Profit der Händler mehren, so wie das mit dem ganzen gelabelten Bio-Zeugs bei den Discountern et al bereits geschehen ist. Die Erzeuger haben faktisch nur dann etwas davon, wenn man vor Ort kauft statt im Supermarkt. Und auf dieser Kette würde vermutlich genauso viel an Lebensmitteln im Abfall landen, bevor, während und nachdem es im Laden ist.

    Nach wie vor ist es meist noch so, dass nur Waren bestimmter Kriterien in den Großhandel gelangt, der durch Maße usw. halt leicht industriell zu verarbeiten ist. Dann ist immer noch vieles in Folie verpackt statt lose und für das ganzjährig gleichbleibende Angebot wird das Zeug um die ganze Welt gekarrt. Da reisst es auch das Greenwashing, Bio und weiß der Geier was nicht `raus. Was den Kriterien nicht entspricht, fliegt genauso raus wie das, was leichte Macken hat oder über MHD ist usw. Für die Tafel ist das Zeug dann allerdings noch gut genug. Mehrheitlich wird jedoch über diesen Trick nur dem Verbraucher der Ball zugespielt, über sein Einkaufsverhalten für die Zustände verantwortlich sein, während sich die Seite der Lebensmittelindustrie auf dem "Wir-wollten-ja" und mit irgendwelchen Selbstverpflichtungen etcpp. aus der Nummer windet.

    Und an diesem falschen Ansatz wird sich ein Özdemir genauso wenig abarbeiten wie eine Julia Klöckner vor ihm. Könnte ein Grund gewesen sein, warum der grüne Eso-Club Anton Hofreiter nicht favorisiert hat. Denn der wäre sicher unbequemer gewesen als Minister.

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