"Zyniker sehen alles voraus, ausser dass jemand ein Herz hat." (Constantin Seibt)
Die Fundstücke des Monats. Es mag pathetisch klingen, aber morgen stimmen die wahlberechtigten Franzosen über die Zukunft Europas ab. Wird die kreidefressende Katzenlady Marine Le Pen Präsidentin, dann könnte das durchaus das Ende der EU bedeuten. Wie alle Populisten tischt Le Pen ihren Wählern das Märchen auf, die Gegenwart sei dekadent und scheiße und ein Zurück in ein kuscheliges kleines Gallisches Dorf würde ihre Probleme lösen. Selbstverständlich ist die EU keineswegs ideal, sondern wie alle bürgerlichen Konstrukte zuvörderst dazu da, dass die Geschäfte reibungslos laufen und die Reichen reicher werden.
Angesichts der möglichen Alternativen aber, zum Beispiel ein Rückfall in nationale, teils illiberale Kleinstaaterei, ist die EU, ich sag’s wirklich ungern, leider immer noch das beste, was wir haben. Wer glaubt, die EU könne halt weg, möge sich bitte vor Augen halten, wer von einem zerstrittenen Flickenteppich aus Einzelstaaten wohl am allermeisten profitieren würde. Kleiner Tipp: Es sind nicht die 'Kleinen Leute', die sich 'ihr Land' zurück geholt haben.
Politik. Die Politologin Chloé Morin über Marine Le Pen.
Warum wählen Linke nicht Macron? Fragt sich Peter Unfried.
"Warum wählen Linke auch dann nicht den Europäer Emmanuel Macron, wenn es darum geht, gegen Marine Le Pen die liberale gegen die illiberale Demokratie zu verteidigen, die offene Gesellschaft gegen politischen Rassismus und Europa gegen den Nationalismus? [...] Das ist die große Frage vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich an diesem Sonntag. Zwei mögliche und unbequeme Antworten. Erstens: Genau das zeichnet diese Linke aus -- dass sie Europa genauso hassen wie Le Pen. Zweitens: Es sind keine Linken, es sind in zentralen Bereichen Rechte." (Unfried, a.a.O.)
Constantin Seibt mit dem mit Abstand besten, was es journalistisch zur aktuellen Entwicklung sowie der der letzen Jahre zu lesen gibt. Putin, Ukraine, Corona, Faschismus, Mafia, Bullshit. Und Roger Köppel. Ein Brett. Groß, heftig, eckig, manchmal ungeordnet. Passt also zum Thema und in die Zeit. Russisches Kriegsschiff, fick dich!
"Während der Pandemie marschierten in ganz Europa spontane Bewegungen, deren harter Kern nur kurz bei der medizinischen Debatte blieb. Und dann schnell kippte: in Richtung radikale Politik (Diktatur stürzen!), Misstrauen (Politik, Wissenschaft, Presse -- alle gekauft!), Wirklichkeitsverzerrung (der QAnon-Scheiss), Darwinismus (Durchseuchung trennt Starke von Schwachen), Sadismus (alle Geimpften sterben in zwei Wochen -- gut so!), Gejammer (wir leben wie die Juden unter den Nazis), Grössenwahn (der Bundesrat muss uns die Regierung überlassen). […] Der laute Teil der Proteste war eine Sauce von Esoterikerinnen, Verbitterten und den Rechtsradikalen, die ihrerseits fast gezwungen waren, mitzumarschieren, weil ihre Themen bereits ohne sie auf den Plakaten standen." (Seibt, a.a.O.)
Horst Schulte über das so dumme wie inflationäre Gelaber vom 'Systemversagen'. Ich warte darauf, dass irgendwo ein Intelligenzsimulant "Systemversagen!" quakt, wenn eine freundliche Bäckereifachverkäuferin ihm mitteilt, dass Weltmeister-Chia-Knoblauch-Müsli-Zyankali-Kraftweckerl gerade leider ausverkauft sind.
Igor Sushko mit sechs Szenarien über den möglichen Fortgang des Krieges.
Die bescheidene Heimatstadt im Fokus des Weltgeschehens. Dass ich das noch erleben darf.
Jörg Barberowski über den Zustand der russischen Armee und über Demokratie.
"Demokratie heißt, dass gilt, was mehrheitlich entschieden worden ist, aber deshalb sind Demokratien noch keine liberalen Ordnungen. Wähler können einer illiberalen Ordnung an der Wahlurne den Vorzug geben. Die Ukraine wird nach diesem Krieg ein anderes Land sein, möglicherweise demokratisch, aber auch liberal? Ich habe Zweifel. Auch in Russland könnte es nach freien Wahlen schlimmer kommen als es jetzt schon ist." (Barberowski, a.a.O.)
Georg Seeßlen denkt über Gut und Böse nach.
Kultur, Gesellschaft, Gedöns. Interview mit Klaus Bittermann, Fußballfan, (u.a.) Droste- und Pohrt-Verleger und überzeugter Anzugträger (dessen wöchentliche BVB-Kolumne hiermit offiziell als schmerzlich vermisst gemeldet wird).
Die Apokalypse könnte auch ausfallen, warnt Markus Liske.
"Wie viele Batman- oder James-Bond-Darsteller soll es noch geben? Wie oft kann man die immer gleichen Geschichten in Romanform bringen oder die Musik und Mode der Siebziger, Achtziger und Neunziger recyceln? Wie viele Sloterdijks und Prechts müssen noch ihren verbalen Durchfall in die Welt flatschen lassen, bis man wenigstens das einst so hehre Projekt Philosophie per Dekret für abgeschlossen erklärt?" (Liske, a.a.O.)
Ulli Hannemann hatte beim Joggen eine Begegnung. Ein kleiner Hausmeister nervte rum.
Gerhard Polt wird heuer 80. Glückwunsch. Interview.
Stefan Sasse verreißt Flix' so bemühte wie öde Comic-Adaption von Goethes 'Faust'. Und womit? Mit Recht.
Musik. Marillion ist eine Band, die mich seit Jugendzeiten begleitet. Der einstige Sänger und Texter Fish schrieb keine Songs, sondern Poesie, die dann von einer ziemlich begnadeten Band vertont wurde. Fish stieg 1988 aus, mit dem Nachfolger Steve Hogarth und dem damit einhergehenden Stilwechsel konnte ich mich nicht recht anfreunden. Bis ich die Truppe vor einigen Jahren wiederentdeckte. Keine Umbesetzungen. Die letzten Alben seit 'Marbles' (2004) sind großartig. Fünf entspannte ältere Herren machen schöne Musik, die nicht allen gefallen will. Sympathisch auch, dass die Band ihre Sachen ohne ein Major Label im Rücken allein per Crowdfunding mithilfe ihrer stabilen Fanszene finanziert. Letzten Monat kam ein neues Album heraus.
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Essen, trinken, gut leben. Vincent Klink erinnert an die "großartige Schreiberin" Fanny Müller. Schlachtfest!
Rhik Samadder hat sich eine Woche lang von Dingen ernährt. Und zwar nur von welchen, deren Rezepte auf Tiktok zu finden sind. Und weil diese Ticktack-Videos so kurz sind, handelt es sich dabei fast ausschließlich um Köstlichkeiten für Menschen mit der Aufmerksamkeitsspanne eines dementen Grottenolms, die offenbar nichts mit ihrem Leben anzufangen wissen. Die übelsten Auswüchse auf chefkoch.de sind dagegen der reinste Guide Michelin. Einer dieser Momente, in denen ich von Herzen gern ein ignoranter alter Sack bin.
Das Rezept. Was einfaches heute. Kartoffelpüree. (Wer jetzt sagt: "Ist doch ganz easy: Wasser heiß machen, Milch dazu, Tüte aufreißen, umrühren, fertig. Ich tu übrigens immer ein bisschen Halbfettmargarine rein, werden wir immer voll satt von.", möge damit gern auch weiterhin glücklich werden, sollte hier aber vielleicht aufhören zu lesen.)
Also Kartoffelpü. Piece of cake. Sollte man meinen. Eines dieser vermeintlich ganz einfachen Gerichte, bei denen der Teufel im Detail steckt. Regina behauptet, das beste Rezept der Welt zu haben. Tatsächlich bin ich so weit d'accord mit Madames diversen Ge- und Verboten (keine Pülverchen, keine Elektromixer/Küchenmaschinen, Pürierstäbe etc., Butter, niemals Margarine, die gekochten Kartoffeln gründlich ausdämpfen, heiße Milch verwenden, keine Sahne, neue Kartoffeln taugen nicht). Was die Kartoffelsorte angeht, plädiert Frau Regina, wie die meisten, für mehlige Kartoffeln, was für ein Püree auch durchaus naheliegend erscheint.
König des Kartoffelpürees war zweifellos die zu früh verstorbene französische Kochlegende Joël Robuchon. Dem kam einst im Hinblick auf die klassische Beilage wohl Billy Wilders Ausspruch in den Sinn: "Ganz gut? Es ist perfekt! - Und jetzt wollen wir es besser machen!" Gemäß dem Motto "Du beurre, du beurre et beaucoup de beurre!" montierte er satte 25 Prozent Butter hinein. Das Geheimnis der französischen Küche ist es bekanntlich, möglichst viel Fett möglichst geschickt zu verpacken. Dadurch wurde das Püree natürlich sehr mächtig. Aber auch so himmlisch, dass er es als Hauptgang servierte. Eine Offenbarung seinerzeit. Drei Michelin-Sterne waren der Lohn.
Als Kochnerd Alex mal ein perfektes Kartoffelpüree a'la Robuchon zubereiten wollte, griff auch er reflexhaft zu mehlig kochender Ware. Und war unterwältigt. Dann aber kam er auf die Idee, noch einmal bei Robuchon selbst nachzusehen. Und siehe da, der Grand Mâitre empfiehlt entweder La Ratte oder BF 15, beides festkochende Sorten mit ausgeprägtem Aroma. Das war es. Die Lösung, der Stein der Weisen, das Ticket ins Püreenirvana. Merke: Mehlige Kartoffeln mögen zwar schön fluffig zerfallen und Saucen gut aufnehmen, es mangelt ihnen aber an Struktur und an geschmacklicher Dichte.
Also Kartoffelpü. Piece of cake. Sollte man meinen. Eines dieser vermeintlich ganz einfachen Gerichte, bei denen der Teufel im Detail steckt. Regina behauptet, das beste Rezept der Welt zu haben. Tatsächlich bin ich so weit d'accord mit Madames diversen Ge- und Verboten (keine Pülverchen, keine Elektromixer/Küchenmaschinen, Pürierstäbe etc., Butter, niemals Margarine, die gekochten Kartoffeln gründlich ausdämpfen, heiße Milch verwenden, keine Sahne, neue Kartoffeln taugen nicht). Was die Kartoffelsorte angeht, plädiert Frau Regina, wie die meisten, für mehlige Kartoffeln, was für ein Püree auch durchaus naheliegend erscheint.
König des Kartoffelpürees war zweifellos die zu früh verstorbene französische Kochlegende Joël Robuchon. Dem kam einst im Hinblick auf die klassische Beilage wohl Billy Wilders Ausspruch in den Sinn: "Ganz gut? Es ist perfekt! - Und jetzt wollen wir es besser machen!" Gemäß dem Motto "Du beurre, du beurre et beaucoup de beurre!" montierte er satte 25 Prozent Butter hinein. Das Geheimnis der französischen Küche ist es bekanntlich, möglichst viel Fett möglichst geschickt zu verpacken. Dadurch wurde das Püree natürlich sehr mächtig. Aber auch so himmlisch, dass er es als Hauptgang servierte. Eine Offenbarung seinerzeit. Drei Michelin-Sterne waren der Lohn.
Als Kochnerd Alex mal ein perfektes Kartoffelpüree a'la Robuchon zubereiten wollte, griff auch er reflexhaft zu mehlig kochender Ware. Und war unterwältigt. Dann aber kam er auf die Idee, noch einmal bei Robuchon selbst nachzusehen. Und siehe da, der Grand Mâitre empfiehlt entweder La Ratte oder BF 15, beides festkochende Sorten mit ausgeprägtem Aroma. Das war es. Die Lösung, der Stein der Weisen, das Ticket ins Püreenirvana. Merke: Mehlige Kartoffeln mögen zwar schön fluffig zerfallen und Saucen gut aufnehmen, es mangelt ihnen aber an Struktur und an geschmacklicher Dichte.
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Leider sind La Ratte in Deutschland schwer zu kriegen, wenn kein KaDeWe oder Viktualienmarkt in der Nähe ist. Oder ein Biobauer, der sich den Anbau der ertragarmen Sorte antut. Und wenn doch, dann ist der Spaß rattenteuer. Ich habe schon sehr überzeugende Ergebnisse mit festkochenden, aromatischen Sorten wie Linda und Cilena erzielt und auch mit weniger Butter (Meersalzbutter versteht sich, das Leben ist nämlich zu kurz für Knäckebrot oder ungesalzene Butter). Wem das Ergebnis zu viele Stückchen enthält, kann es durch ein Sieb streichen.
Vincent Klink empfiehlt Nussbutter, da die die zehnfache Power hat. Nur ist die Zubereitung nicht ganz unproblematisch. Aus eigener Erfahrung kann ich hinzufügen, dass sich die Knollen geschmacklich noch weiter tunen lassen, wenn man sie nicht in Wasser kocht, sondern dämpft.
Morgen ist es dxnn wieder soweit.
AntwortenLöschenEs wird gezeigt, wie toll demokratisch die "westlichrn" Demokratien sind.
Um die LePen GmbH & co AG zu verhindern, werden die restlichegn Wähler aufgerufen, Macron zu wählen.
Dieser stellt dann die Stimmen als Legitimation seiner Politik hin. Und seinen Zwangswählern wird dann erzählt, dass sie ja schliesslich ihn gewählt und gewollt haben, werden dann als starke neoliberale Mitte betitelt.
Mit Mitentscheid oder Volkswillen hat das wenig zu tun.
Wie zu erwarten, sonnt sich Sieger und Anhängerschaft.
LöschenErzwungene Demokratie my Ass.
Fürs Robuchon-Püree ist IMHO auch die Buttersorte entscheidend. Am besten funktioniert meiner Erfahrung Süßrahmbutter aus Frankreich. Ich will niemandem was unterstellen, aber ich hatte bei einigen deutschen Buttersorten schon mehrfach das Phänomen, dass die in der Pfanne zu knattern anfingen, als wäre da ordentlich Wasser drin. Französische zerfließt und gibt Ruh...
AntwortenLöschenWer einmal französische Süßrahmbutter hatte, wird sich von dem, was hier als 'mildgesäuert' verhökert wird, mit Grausen abwenden. Und ja, das ist etwas teurer, ist aber kein Problem, wenn man Butter vor allem mal als Kochzutat verwendet. Gleiches gilt für Creme frâiche. Französische gibt es beim Edeka, degradiert das meiste andere ziemlich übel.
LöschenKurze Anmerkung zu Peter Unfrieds Zitat ... Die Linken wählen Macron nicht, weil er eben nicht links ist, sondern neoliberal. Zu einfach gedacht? Und die wirtschaftspolitische Ausrichtung der EU kann man ja auch nicht gerade als links bezeichnen. Hier den Bogen zu Rechten zu spannen, ist schon wenig skurril. Von denen wählen viele Macron natürlich auch nicht, aber aus anderen Gründen.
AntwortenLöschenDie französische Verfassung verleiht Premierminister und Präsident meines Wissens nach annähernd gleiche, teils überschneidende Befugnisse (Cohabitation). Im Sommer sind Parlamentswahlen, ein linker Premier könnte Macron gehörig ärgern. Hier kann man schon taktisch wählen.
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