Mit der Frage, was das eigentlich genau ist, dieses Patriarchat, habe ich mich lange schwer getan. So habe ich gedacht, Patriarchat bedeute im Kern, Kontrolle über weibliche Sexualität auszuüben. Damit das Vermögen in der Familie bleibt. Das finde ich in vieler Hinsicht immer noch schlüssig, greift aber zu kurz. Es brauchte das Gespräch, das Leon Windscheidt mit der wunderbaren Seyran Ateş geführt hat. Die brachte es auf den Punkt: Patriarchat ist überall da, wo Frauen weniger wert sind als Männer. So simple. Treffer, gesunken.
Studieren lässt sich das sehr schön an der Jahrzehnte währenden Kampagne US-amerikanischer Evangelikaler und Republikaner gegen 'Roe vs. Wade', mit dem Ziel, das vergleichsweise liberale Abtreibungsrecht in den USA unter dem Rubrum 'Pro Life' wieder zu kippen. Wie es momentan aus aussieht, steht die Sache kurz vor dem Erfolg. Unter anderem, weil Donald Trump seine Amtszeit dazu genutzt hat, den Supreme Court mit Leuten zu besetzen wie Amy Coney Barrett. Die Lady ist ein lebender Beweis dafür, dass man zwar an der Uni brillant gewesen und trotzdem eine verstrahlte, reaktionäre Blitzbirne sein kann.
Das Groteske ist ja: Wenn es den US-Republikanern wirklich um 'Pro Life' ginge, also darum, Leben zu schützen, dann würden bzw. müssten sie auf der Stelle folgendes beschließen:
Strengere Waffengesetze, ein liberales, pragmatisches Abtreibungsrecht, einen gut ausgebauten Wohlfahrtsstaat, leichten Zugang zu Verhütungsmitteln und eine moderne, aufgeklärte, von Moralisiererei und jedwedem religiösen Muckertum freie Sexualerziehung. Weil all das Leben rettet. Und zwar nicht bloß ein paar wenige, sondern massenhaft. Auch ungeborene. Alles andere ist pure Ideologie.
Kaum eine Abtreibung geschieht aus Grausamkeit, Verrohung oder Lust am Töten. Viele, wenn nicht die meisten, passieren aus Ratlosigkeit und Verzweiflung. Weil Frauen nicht wissen, wie sie das Kind bzw. ein weiteres Kind versorgen sollen. Sie als Alleinerziehende in einem konservativ-religiös geprägten Umfeld stigmatisiert wären. Sie sexuell unaufgeklärt sind. Keinen Zugang zu Verhütungsmitteln oder der 'Pille danach' haben, sei es wegen Verboten, einem repressiven Umfeld oder aus Kostengründen. (Fun fact: Wohlhabende Damen der Gesellschaft hatten schon immer sämtliche Mittel an der Hand, das diskret im Rahmen irgendeiner Kur zu erledigen. How do you spell 'Klassenaspekt'?)
Restriktive Abtreibungsregelungen sind das Beispiel schlechthin für Verbote, die das Gegenteil von dem bewirken, was sie eigentlich bezwecken sollen. Und so wird es das ewige Geheimnis der US-Frömmler bleiben, wieso es Leben schützen soll, einerseits möglichst viele tödliche Knarren und Wummen im Umlauf zu belassen, andererseits Frauen jeden Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen zu versperren. Ungewollt schwangere Frauen in verzweifelter Lage wandten sich früher und wenden sich heute an irgendwelche Quacksalber, Kurpfuscher und Engelmacher/innen, die ihnen im Zweifel Gott weiß was antun.
Das muss dieses berühmte Patriarchat sein.
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