Sonntag, 17. Juli 2022

Sommerloch: Über die Achtziger


"Die Welt von Westeros nämlich ist bereits eine im Zustand der Entzauberung. Die Menschen hängen noch alten Legenden nach, sie träumen von einer besseren Vergangenheit; sie verhalten sich wie die Bewohner einer barbarischen, postheroischen Kultur zu einer heroischen Vergangenheit, in der, vielleicht, die Werte, auf die man sich gelegentlich bezieht, noch wirklich gegolten haben." (Georg Seeßlen) 
 
Es war im letzten Sommer. Ich saß mit Teilen meiner bayerischen Verwandtschaft beim Grillen, als der neben mir sitzende, schweigend trinkende Beinahe-Ehemann meiner Großcousine auch mal was sagte. Im Hintergrund lief irgendeine Achtzigerjahre-Mucke und es wurde gerätselt, von wem sie sei. Da grummelte mein Sitznachbar plötzlich: "Die Achtziger waren eh des Beste, hernach is nur noch Schmarrn kemma." Ich zuckte innerlich zusammen. Sieh an, dachte ich, noch so einer, der die Achtziger für das tollste aller Jahrzehnte hält. Nicht rumdiskutieren, beherrschte ich mich, das bringt eh nix. Aber diese Achtzigerjahre-Nostalgie geht mir dermaßen auf die Eier! Glücklicherweise ließ er's dann auch bei dieser einen Bemerkung bewenden und wandte sich wieder seinen Weißbieren zu.
 
Und jetzt stieß ich in Malte Henks lesenswertem Recherchestück über die AfD auf folgendes: 
 
"An diesem Abend von verblüffender Harmlosigkeit geschieht etwas mit mir. Plötzlich bin ich wieder in der Welt meiner Kindheit, Anfang der achtziger Jahre in der alten BRD, und in meiner Erinnerung tauchen die Männer auf, die damals unser Dorf bevölkerten. Sie redeten eher wenig als viel, konnten kein Englisch und sahen in der Welt außerhalb Europas einen Ort der Gefahren, weshalb sie höchstens in Italien oder Spanien Urlaub machten. Der Konservatismus dieser Männer schien quasi angeboren. Als Mittel zur Bewältigung des Lebens setzten sie auf das, was sie gesunden Menschenverstand nannten. Mit seinem Jetzt-mal-Klartext-Habitus wäre Uwe Junge um 1984 bei uns im Fußballvereinsheim super angekommen, anders gesagt: Er hätte die Mehrheit repräsentiert." 

Wenn das so ist, dann hilft alles nichts, dann müssen wir ein wenig gründlicher über dieses viel idealisierte Jahrzehnt reden. 1988 habe ich Abitur gemacht, daher den größten Teil der Achtziger in der Schule verbracht. Ich kann also ein wenig mitreden. Obwohl meine Kindheit und Jugend ziemlich durchschnittlich waren und meine Eltern sich redlich Mühe gaben, nicht allzuviel zu verbocken in Sachen Erziehung (was nicht selbstverständlich war), kann ich wirklich nicht behaupten, dass ich die Achtziger jenseits nostalgischer Verklärung besonders dolle fände. Bei Lichte besehen waren sie sogar ein ziemlich normales Jahrzehnt. (Wer von längerem Lesen leicht genervt ist, möge bitte jetzt runterscrollen und hinterher nicht rummoppern.) 

Fangen wir mit der Musik an. Davon wird ja am meisten geschwärmt. Ok, ja, es gab das eine oder andere gute, keine Frage. Die Neue Deutsche Welle bekam ich noch mit, war aber streng genommen zu jung. Was soll's, gute Musik ist eh zeitlos, der Rest sind bloß Modeerscheinungen, die wieder verschwinden. Fast alle Pop- und Rockmusik, die ich mochte und mag, hat ihre Wurzeln in den Sechzigern, eher in den Siebzigern, und kämpfte in den Achtzigern mühsam ums Überleben. Wegen Synthi-Pop, wegen Gräueln wie Modern Talking, wegen House, Aciiid! und anderen Urformen jenes Umz!-Umz!-Umz!-Geräuschteppichs, der ab den Neunzigern allgegenwärtig werden sollte. Wegen gelackter New-Wave-Püppis, die sich für Kunstwerke hielten, oder wegen schwer betroffener Liedermacher, die in einer Tour vom Frieden nölten oder über ihre Gefühle und dazu klampften. 

Wir hatten damals nämlich Friedensbewegung im Endstadium. Weil ja jeden Tag der Russe über die Grenze kommen konnte, war die BRD ein einziges Heerlager und alle hatten Angst. Dazu trugen nicht wenige Männer und Frauen lila Latzhosen. Zündeten Räucherstäbchen an. Tranken aromatisierten Tee aus irdenen Schälchen ohne Henkel, die man deshalb nicht anfassen konnte. Und diskutierten. Stundenlang, bis in die fallende Nacht. Bis der Morgen graute. Über ihre Ängste und Beklemmungen. Über nuklearen Winter, Overkill und das Fulda Gap, womit sich Friedensbewegte oft besser auskannten als gestandene Offiziere vom Bund. Wer im Leben mehr als einmal in so einen moralinsauren Kirchentag im Kleinformat geraten ist, dem erscheint rückwirkend die Spaßgesellschaft der folgenden Dekade als geradezu zwingende Konsequenz. 

Na, wo soll ich weitermachen? 'Twix' hieß Raider, Computer hatten Klötzchengrafik, so man überhaupt einen hatte. Nein, man hatte natürlich keinen, zumindest keinen richtigen, sondern nur einen Homecomputer, der keine Textverarbeitung konnte. Und so tippte man alles, was so zu tippen war, auf einer mechanischen Schreibmaschine und hantierte mit Tipp-Ex und Klebestift herum. Sollte es was Vorzeigbares werden, etwa eine Schülerzeitung, dann heuerte man entweder einen Hobbygrafiker an, der diese tolle, verschnörkelte Schrift konnte, die leider unlesbar war (und typographisch eine Katastrophe), oder man brach sich stundenlang mit Letraset-Rubbelbuchstaben einen ab. 

Normalerweise ist Mode mir ziemlich wumpe, aber die Ästhetik der Achtziger war ein Kapitel für sich. Wenn man von speziellem Publikum wie Gothics und Punks mal absieht, trugen die Kerle, die keine Latzhosen anhatten, Cowboystiefel und Netzhemden, Vokuhila oder Minipli und stopften pastellfarbene Sweatshirts in ihre Vanillahosen oder Atze-Schröder-Eierkneifer. Wer einen aufgemotzten Opel Manta fuhr, machte sich damit noch nicht komplett zum Horst, sondern war geachtetes Mitglied der Gesellschaft. Die entsprechenden Mädels trugen Schulterpolster, malten ihre köchelhohen Turnschuhe mit Kugelschreiber voll und weißten sich die Lippen. Hatte man Glück, dann trug eine, auf die man stand, ein tief ausgeschnittenes Shirt mit nix drunter. Das war etwas, wovon man mitunter noch monatelang zehrte, denn wer als Minderjähriger Pornos wollte, brauchte ein gutes Versteck und einen älteren Bruder (bzw. eine Vertrauensperson, die einen älteren Bruder hatte), wollte er nicht auf 'Bravo' oder 'Praline' angewiesen bleiben.

Ach so, apropos Medien: Es gab drei Fernsehprogramme. Wenn man Glück hatte, später auch fünf. Dann hatten aber drei davon so viel Schnee, dass man sie gleich vergessen konnte. Videorecorder waren für einen Otto Normalbürger noch quasi unbezahlbar. Wer einen hatte, dessen Heim befand sich im Belagerungszustand, weil alle andauernd zum Videogucken vorbeikommen wollten. Videos gab es auf VHS-Kassetten, das waren wahre Wunderwerke der Feinmechanik. Leider machten die gerne mal Bandsalat, was in der Videothek dann immer ein ganz großes Hallo war. Wo wir gerade dabei sind: Oft hört man auch, die Filme seien damals so viel cooler gewesen. Geht der Witz auch in Farbe? 
 
Klar, 'Zurück in die Zukunft' war nett. 'Aliens', 'Wall Street' und ein paar andere Sachen auch. Jede Zeit bringt irgendwie ein paar Klassiker hervor. Aber dafür gab es eben auch eine riesige Menge Schrott. Ich würde vermuten, in etwa genau so viel wie in anderen Jahrzehnten. Erinnert sich noch einer an die Zeit, als im Fahrwasser des Erfolgs von 'Terminator' jeder zweit- bis drittklassige Actionstreifen mit irgendeinem wortkargen, schießwütigen Muskelprotz in der Hauptrolle einen Namen hatte, der auf '-ator' endete (was von Otto Waalkes seinerzeit übrigens kongenial parodiert wurde)? Oder an die ganzen Brat-Pack-Filme, in denen immer dieselben amerikanischen Jungschauspieler verwöhnte Blagen spielten, die stundenlang ihre Luxusprobleme breittraten? 

Internet war natürlich nicht. Der Vorläufer hieß BTX, konnte nix, kostete aber im Monat ungefähr das Jahresgehalt eines Hilfsarbeiters. Ansonsten durfte man maximal zwei Meter Telefonschnur haben. Wer wenigstens etwas Bewegungsfreiheit wollte und widerrechtlich mehr dranklemmte, musste mit empfindlichen Strafen rechnen. Denn ein Telefon war Staatseigentum, daran herumzuschrauben ein hoheitlicher Akt. Bevor jemand fragt: Schnurlose Telefone wogen damals 15 Kilo, hatten eine drei Meter lange Antenne, der Akku hielt zwei Stunden und man musste mindestens Zahnarzt sein, um sich die Gebührenaufschläge leisten zu können. Erwischt beim Kabelfrevel wurde übrigens selten jemand, denn Telefontechniker von der Post waren eine äußerst rare Spezies. Wer etwas ganz Wildes vorhatte, etwa sein offizielles hornhautgraues Posttelefon mit Wählscheibe gegen ein offizielles popelgrünes (mit Tasten!) einzutauschen, hatte einen Mordspapierkram zu erledigen und konnte sich glücklich schätzen, wenn er nur ein paar Monate warten musste. Wer einen Anrufbeantworter hatte, war schon technische Avantgarde. Ahh, die guten alten Zeiten! War denn wenigstens das Essen gut? 

Ganz am Ende der Achtziger war ich mal in Rom, weil Schulfreund G. da studierte. Als ich dort zum ersten Mal in meinem Leben Pasta mit frisch geriebenem Parmesan aß und Antipasti mit wirklich gutem Olivenöl, erlebte ich einen Moment klarster und reinster Erkenntnis. Es war, als ob eine innere Stimme mir sagte: Höre! Von Stund an bist du für das gruselige Zeug aus den Tütchen, das du immer für lecker gehalten hattest, ein für allemal verloren. Und, nein, auch das, was sie dir daheim als Öl verkaufen, ist nicht gut. Du bist kein Snob, aber es gibt Dinge, hinter die geht man einfach nicht mehr zurück, verstanden? Mich in Italien mit einem ordentlichen Vorrat einzudecken, dafür reichte damals die Reisekasse nicht. Dort, wo ich zu Hause war, musste man für ein Stück Parmesan in den Feinkostladen, wo der köstliche Käse dann, den Preisen nach zu urteilen, in purem Gold aufgewogen wurde. Ich darbte, bis sich erst Supermärkte, dann sogar Discounter diesbezüglich meiner erbarmten. 

Auch ordentlichen Cappuccino lernte ich während dieser denkwürdigen Woche kennen und lieben. Dummerweise hatten wir die Achtziger, also die Zeit, in der Gastwirte ungeschoren davon kamen, wenn sie  ihren Gästen säuerlichen Filterkaffee mit Sprühsahnehaube als 'Original italienischen Cappuccino' verhökerten. Weil Il Michele tedescho, der gerade verschärft den Italiener in sich entdeckte, das so begeistert wie schmerzfrei wegschlabberte. Die einzige Chance, in der Heimat an das Göttergetränk zu gelangen, war, im italienischen Eiscafé am Ort einzukehren. Dort kostete der Cappuccino nicht wie in der römischen Bar etwa umgerechnet eine, sondern unverschämte 3 Mark 50, der Laden war gerade augenkrebserzeugend renoviert worden und es liefen dort fast nur Wichtigmacher und Adabeis in 'Miami-Vice'-Klamotten und Aktenköfferchen rum.

So man überhaupt in Jahrzehnten denken will, dann waren die Achtziger nämlich das, in denen die Restpiefigkeit jener Jahre, in denen die Überlebenden der autoritären Adenauer-Nachkriegsgeneration das Sagen hatten, noch nachwirkte und sich vermischte mit dem neureichen Design-Geprotze und asozialen Kälte der Streber-Yuppies. Es war die Dekade, in der die selbstbezogenen Lautsprecher, die Ichlinge, die keinen Bock mehr hatten auf Sozialgedöns, langsam das Ruder übernahmen. Dass heutzutage BWLer und andere Schlipsmichel die Welt regieren, nahm damals seinen Anfang. Ansonsten herrschte politisch weitgehend Stagnation. Helmut Kohl war als Bundeskanzler gesetzt, saß sämtliche sämtliche Demos, Untersuchungsausschüsse und alle Skandale, die einen Willy Brandt noch ums Amt gebracht hätten, gnadenlos aus, wir schämten uns fremd für den dicken Oggersheimer oder machten uns lustig über ihn, mehr war nicht. 

Aber das Leben war doch so geordnet, höre ich da nölen. Es gab noch richtig und falsch. Alle hatten Arbeit, die Kirchen waren noch voll, die SPD hatte noch Mitglieder, die Grünen waren noch cool und man hielt ganz anders zusammen. Ist das so? Mag sein. Wenn man ein properes westdeutsches Wohlstandskind war, vielleicht. Man sollte sicher auch nicht leugnen, dass der Wohlstand weiter gestreut war, die viel besungene Schere zwischen Arm und Reich noch nicht so weit auseinanderklaffte wie heute. Zu sehr aus der Reihe zu tanzen, war allerdings meist eine schlechte Idee. 

Ich will weiß Gott nicht behaupten, dass in dieser Hinsicht heute alles zum Besten stünde, kann's auch nicht wirklich beurteilen, aber mir scheint, die Lässigkeit im Umgang mit alternativen Lebensentwürfen hat an vielen Stellen definitiv zugenommen. Es war durchaus die Regel, als alleinerziehende Mutter stigmatisiert zu sein. Und wer in den Achtzigern homosexuell war, lebte besser entweder in einer der Städte mit mehr als einer Million Einwohner (Westberlin, Hamburg, München, Köln) oder hielt es strikt geheim. Ein offen schwuler Außenminister? Dessen hinterbliebenem Ehemann im Todesfall die gesamte politische Klasse kondoliert, als sei's das Normalste von der Welt? Undenkbar! Die schwulen Männer und lesbischen Frauen, die ich so kenne, würden sich allesamt lieber ohne Narkose ein Bein abnehmen lassen als sich die Achtziger zurückzuwünschen. Und da wir gerade bei Minderheiten sind: Wie man damals vielerorts mit den hier lebenden Migranten umging, die noch 'Gastarbeiter' hießen, darüber sollte man lieber verschämt schweigen. 

Wer von Wohlstand für alle, hohen Steuersätzen für Reiche und vergleichsweise großzügigen Sozialleistungen schwärmt, sollte aber auch so ehrlich sein, einzuräumen, dass das möglich war wegen des Kalten Krieges - möchte den jemand zurück? Hand hoch! - der die ärgsten Auswüchse des Kapitalismus auf dieser Seite der Mauer wenigstens etwas im Zaume hielt. Übrigens lagen auf der anderen Seite der Mauer damals jene Billiglohnländer, in denen die Produkte hergestellt wurden, die sich bei uns auch die 'kleinen Leute' leisten konnten. Und wer ernsthaft glaubt, damals habe es noch keine prekäre Beschäftigung gegeben, keine Leiharbeit und keine Ausbeutung, ist wahrscheinlich Deutscher und muss zur Strafe Günter Wallraff lesen. 

Aber wenigstens hat's damals keine Neonazis gegeben, nicht wahr? Zumindest nicht im demokratisch befriedeten, politisch korrekten Westen. Und wenn doch ein paar, dann aber bestimmt nicht jenseits kleiner, weitgehend marginalisierter Milieus wie dem notorischen Waffen SS-Kostümverein namens Wehrsportgruppe Hoffmann, oder? Nope, auch in die Suppe muss ich spucken. Schon 1979 fanden die Autoren der Sinus-Studie bei knapp 15 Prozent der Westdeutschen das, was sie ein "geschlossenes rechtsextremes Weltbild" nannten. Wie gesagt: Westdeutschland 1979. Fast alle hatten Arbeit. Geringer Migrantenanteil. Allen ging's gut.


Man könnte noch etliche Beispiele anführen, um zu belegen, dass die Achtzigerjahre mitnichten eine ganz besonders tolle, sondern insgesamt eine ziemlich durchschnittlich beschissene Dekade waren. Wer etwa davon schwärmt, dass damals noch nicht dieser Konsumterror herrschte, sei daran erinnert, dass Millionen Jugendliche auf Kinderfahrrädern rumgurkten wie nicht gescheit und das BMX nannten. Oder dass Millionen Mädchen und Frauen und einige Männer sich schreibuntes Turnzeug und wollene Stulpen anzogen, zu Schallplatten (Vinyl! Vinyl!) mehr oder minder rhythmisch herumhopsten und das 'Aerobic' nannten. Nicht schön, so was! Wir nahmen's halt nur nicht so wahr.

Denn nie wieder im Leben war ich so unbeschwert wie damals, Ende der Achtziger, als ich die Schule hinter mir hatte. Was kostete die Welt? Zukunftsangst kannte ich nicht. Alles war andauernd auf Anfang, alles neu und aufregend. Nie wieder habe ich so leicht so enge und intensive Freundschaften geschlossen, war so dicke mit so vielen wie damals. Ich werde manchmal durchaus melancholisch, wenn ich daran denke. Das alles hatte aber nichts damit zu tun, dass es die Achtziger waren, sondern schlicht und einfach damit, dass ich eben jung war. Wäre ich zehn Jahre jünger, würde ich wohl ähnliches über die Neunziger sagen, wäre ich zehn Jahre älter, über die Siebziger. 

Wenn Malte Henk recht hat, dann ist es vielleicht auch kein Zufall, dass ein im Kern rückwärts gewandtes Genre wie Fantasy, darunter 'Game Of Thrones', seit einiger Zeit so populär ist. Das liefert zwar große, aber letztlich geschlossene Gegenwelten liefert, die man noch verstehen kann, hilft beim Idealisieren eigener imaginierter Heldentaten. Übrigens: Dinge wie höhere Steuern für Reiche, eine Erbschaftssteuer und wieder höhere Körperschaftssteuern, dazu eine gründliche Reform des Sozialsystems, zumindest die Abschaffung des widerlichen Hartz-IV-Sanktionswesens und eine Erhöhung des Regelsatzes, so für den Anfang. Insgesamt fände ich also ein klein wenig Back To The Eighties dringend geboten. Es war ja nicht alles schlecht damals.

Wie schon in den vergangenen Jahren werden hier für den Rest des Sommers ältere Beiträge in Neuauflage erscheinen. Das Obige erschien hier erstmals am 19. März 2016. Zeittypische Eigenheiten wurden beibehalten, ein aktueller Tweet wurde eingefügt.






6 Kommentare:

  1. ....nur ganz kurz:.....geboren 1952 und die immer so beschriebene Sorge, dass der Iwan kommt und es zum Atomkrieg kommt, hatte ich nie.....frg mich, was die Leute für Probleme haben...

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  2. Siewurdengelesen18. Juli 2022 um 13:08

    Teil 1

    Der Blick zurück ist in vielerlei Hinsicht und oft verklärt, je nachdem, was damit verbunden ist.

    Als in der DDR Aufgewachsener waren für mich die 80iger tatsächlich eine Art Befreiungsdekade. Einerseits spürte man selbst als noch wenig reflektierender Jugendlicher, dass die systemischen Grenzen vor allem in ideologischer Hinsicht enger wurden. Andererseits wurde wegen dieses Zwangs aber auch vieles geduldet, um unnötige Unruhe zu vermeiden, die sich sonst vielleicht nicht mehr hätte unterdrücken lassen. Sicher hat da auch der schwindende Druck des "Großen Bruders" UdSSR nach Gorbatschows Antritt hineingespielt.

    Die Friedensbewegung wurde dabei einerseits ambivalent vereinnahmt und trotzdem zu unterdrücken versucht, wenn sie aus der kirchlichen Ecke kam, weil Frieden ja ohnehin "offizieller Bestandteil" des Sozialismus war und damit gesetztes Programm. In diesem Zusammenhang finde ich auch, dass die Musik im Osten Deutschlands in vielerlei Hinsicht bewußter und tiefgreifender war sowohl im Hinblick auf Kritik am eigenen Land/System als auch an Hochrüstung als Konsequenz des Kalten Krieges. Dabei war immer so ein Schwanken zwischen Endzeit- und Aufbruchstimmung enthalten. Viele dieser musikalischen Ansätze auch aus der protestierenden Subszene wie Feeling B, Sandow und wie sie alle hießen, haben sich ja teils bis heute gehalten und heißen z.B. Rammstein. Als damals langhaariger Metaller war man ja sowieso immer Mode;-)

    Vom "Ostrock" sind bis heute schier epische Dinger wie die Lieder von Karat, Karussell oder City als Klassiker stehengeblieben. Silly als schon damals kontroverse Truppe auch im Privaten, Stern Meißen oder die ewigen Puhdys mit "Das Buch" seien noch genannt. Die härtere Schiene bediente BERLUC mit z.B. "No Bomb", Formel 1, Rockhaus, Pankow und noch ein paar Combos, die viele gar nicht mehr kennen. Gundermann ist ebenfalls Legion, aber auch Gerhard Schöne und andere, die eher der Liedermacherszene zuzuordnen sind. Viele sind ja teils auch da bis heute aktiv und IC Falkenberg setzt sich als ehemaliger Sänger von Stern Meißen und inzwischen Solist bis heute kritisch mit den jeweiligen Umständen auseinander.

    Was aus westlicher Richtung so rüberschwappte, waren neben für mich in erster Linie Heavy Metal halt der ganze Mainstream an leicht konsumierbaren Pop, bei der NDW war das Spektrum ja auch von völligem Schrott über halb dadaistische Ansätze wie bei Trio bis durchaus auch kritischen Sachen wie Geier Sturzflug.

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  3. Siewurdengelesen18. Juli 2022 um 13:08

    Teil 2

    Und dann kam die Wende, wir hatten viele Hoffnungen und kurzzeitig auch auf einen wirklich demokratischen Sozialismus mit einem länger dauernden Zusammenwachsen beider deutscher Staaten und wurden sehr schnell von der Realität überholt bzw. ist es auch da schon wie jetzt gewesen, dass längerfristige Geschichten trotz allem Vernünftigeren meist gegen das Kurzstreckendenken keine Chance haben. Einerseits war die Mauer als das Symbol des Teilens weg, andererseits sind durch das Vereinnahmen und Unterbuttern des Ostens viele positive Dinge auf der Strecke geblieben. Für mich selber war das dann ein sehr schnelles "Erwachsenwerden" vom aus ostdeutscher Sicht eher sorgenfreien Gründen einer Familie mit Kindern beim Schwenk zur "Marktwirtschaft" mit all ihren Risiken und problemen für den Einzelnen. Ab da war die Jugend faktisch vorbei.

    Ob da jetzt andere Jahrzehnte im Hinblick auf das im Artikel Beschriebene zum Gesellschaftlichen in anderen Jahrzehnten besser oder schlechter war?

    Vieles wie prekäre Arbeit, soziale Unsicherheit usw. hat sich doch nie geändert und wurde mit dem Wegfall des "Schaufensters West" nur mehr und damit sichtbarer. Die Ausgegrenzten gab´s auch damals schon. Und ob damals der manta als Proletenporsche oder heute die Halbwilden als "Poserszene" spiegelt sich das "Hauptsache Ich" auch da durch die Zeiten und auf die eine oder andere Weise wollen halt viele wenigstens einmal "Erster" sein, ohne dabei Rücksicht nehmen zu müssen und zu wollen.
    Andreas Kieling hat das im letzten Nachtcafé auf seiner Suche nach Freiheit gut beschrieben als der Wechsel von der physikalisch beengenden DDR zur geistig einschränkenden Piefigkeit des Westens.

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    1. Herzlichen Dank für die ausführlichen Gedanken. Immer wieder eine Freude. Was die Ost-Rockmusik angeht, habe ich übrigens eine Kleinigkeit in petto.

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  4. Ich mag diese "früher war alles besser"-Nummer ja auch überhaupt nicht und vielen Dank für die Entklitterung, aber in den 80ern war doch auch wirklich nicht komplett alles schlecht

    Zum Beispiel:

    Iron Maiden - Live after Death
    Bomb Jack
    Metallica - Master of Puppets
    Magic Gum
    Hellraiser
    Powell Peralta, Santa Cruz und die ganze Skateboardszene
    Beach Head 2
    RoboCop
    a-ha - Take On Me
    Beat Streat (sowohl der Film als auch die Mucke)
    überhaupt: Breakdance und Graffiti
    Anne Clark - Our Darkness
    Paul Hardcastle - 19
    Sigue Sigue Sputnik
    Nina Hagen - Naturträne
    Tron
    Megadeth - Peace Sells... but who's buying?

    Ach... ich könnte stundenlang so weitermachen :)

    Der Big Trak war leider schon 1979 und die Schlachtrufe BRD ist von 1990, scheiden also beide knapp aus.

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