Sonntag, 4. September 2022

Am Ende des Sommers


It's the economy, stupid!

 
Man kann durchaus sagen: Putin hat noch diesen Winter und den nächsten Sommer, das mit der Ukraine geregelt zu kriegen. Gelingt es nicht, den Westen entscheidend zu destabilisieren, dann wird es bald finster aussehen. Im Winter 2023/24 wird die EU ihre Energieversorgung von Russland unabhängig gemacht haben und nicht mehr erpressbar sein. Für diesen Winter planen auch die neoliberalsten Regierungen massive Hilfspakete und sind bereit, notfalls in den Markt einzugreifen. In Deutschland haben grüne Regierungsmitglieder bereits signalisiert, auch Fracking und Laufzeiten von Atomkraftwerken seien unter den gegebenen Umständen keine heiligen Kühe für sie. Verkürzt könnte man sagen: Kommt der Westen gut durch den Winter, ist Putin Toast. Oder Russland eine Kolonie Chinas.

Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, aber sie reimt sich zuweilen. Nach der ersten Ölpreiskrise 1973 (die mit den autofreien Sonntagen in Westdeutschland) kam es im damaligen 'Ostblock' zu einem Wirtschaftsaufschwung. Weil die Scheichs den Ölhahn zugedreht hatten, exportierte die Sowjetunion ihr teureres Erdöl in westliche Länder und zu Sonderkonditionen im Rahmen der gegenseitigen Wirtschaftshilfe in sozialistische Bruderländer. Die DDR machte gute Geschäfte damit, das für sie günstige Sowjetöl zu Weltmarktpreisen weiterzuverkaufen und begann die Wirtschaft nach westlichem Vorbild von Kohle auf Erdöl und Erdgas umzustellen. Weil der Lebensstandard spürbar stieg und die Bevölkerung zufriedener war, kam es zu einer kurzen Phase politischen Tauwetters.

Damit war es 1979 wieder vorbei. Zwar kam es wegen der Iranischen Revolution zu einer zweiten Ölpreiskrise, von der die Sowjetunion aber nicht mehr profitieren konnte. Weil westliche Länder die Zeit genutzt hatten und dieses Mal vorbereitet waren. Es hatte Energiesparkampagnen gegeben, Hausbesitzer bekamen Isolierfenster teilsubventioniert, sparsamere Autos kamen auf den Markt, heimische Kohle und der Einbau von Brikettheizungen wurden gefördert. Vor allem hatten westliche Länder ihre Ölversorgung auf eine breitere Basis gestellt, unter anderem, indem man ab 1974 begann, die Ölfelder in der Nordsee zu erschließen.

Der Ostblock rutschte in eine schwere Wirtschaftskrise, von der er sich bis 1989 nicht mehr erholte. Während Abermilliarden in das aberwitzige Wettrüsten mit der NATO flossen, wurden Investitionen auf Eis gelegt. Industrie und Infrastruktur gammelten zusehends vor sich hin, die Warteschlangen vor den Lebensmittelgeschäften wurden immer länger. Hinzu kam ab 1979 der äußerst unpopuläre Krieg in Afghanistan, 1986 die Katastrophe von Tschernobyl. In der DDR verpestete man die Luft mit minderwertiger Braunkohle und holte eine Zeitlang sogar die alten Dampfloks wieder aus der Mottenkiste. Die Schere zwischen Lebensstandard Ost und Lebensstandard West öffnete sich wieder, die Bevölkerungen wurden unzufriedener, die Staaten reagierten mit Repression. Der Rest ist bekannt.

Schlimmer noch, werden Ukrainekrieg und ausbleibende Gaslieferungen aus Russland im Westen einen Modernisierungsschub auslösen: Man wird ernst machen mit erneuerbarer Energie und Mobilitätswende, um von fossilen Brennstoffen möglichst unabhängig zu werden, und wegen der Waffenlieferungen an die Ukraine via Ringtausch renovieren die mittel- und osteuropäischen NATO-Länder ihre Armeen einmal komplett durch. 








7 Kommentare:

  1. Dann sind grenzt ja die USA an China. Ob das gut geht?

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  2. Chapeau für diesen Artikel!

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  3. Eine gute Zusammenfassung. Ich entgegne in manchen Diskussionen über dieses Thema auch, dass nach den kommenden 10 Monaten die schlimmsten Konsequenzen für die westlichen Länder und insbesondere Europa vorbei sind. Der größte Mist, der dieser Ukrainekrieg nunmal ist, kann trotzdem auch ein paar kleine positive Seiteneffekte haben. Ich vermute auch, dass einer dieser Seiteneffekte eine Beschleunigung der Dekarbonisierung der europäischen Stromerzeugung, Mobilität und Gebäude- sowie Prozesswärmeerzeugung ist. Momentan sind insgesamt nur 11% des gesamten Primärenergiebedarfs aus erneuerbaren gedeckt. Durch die Ereignisse in diesem Jahr wird sich dieser Anteil schneller erhöhen, als es ohne den Krieg der Fall gewesen wäre.

    Noch eine kleine Randnotiz: Manchmal diskutiere ich im Bekanntenkreis mit Menschen, denen die Sanktionen und die militärische Unterstützung der Ukraine suspekt sind und die dahinter einen größeren imperialistischen Plan der USA vermuten. Ich versuche dann oft meinen Standpunkt zu erläutern, dass es nicht das Verhalten oder die Zustände in den europäischen Ländern oder der USA sind, die dieses Unbehagen bei ihnen hervorrufen, sondern wahrscheinlich die Kluft zwischen Anspruch und Realität. Die ist bei uns und in den USA tatsächlich unerfreulich groß (die Beispiele sind ja leicht zu finden, in denen der offen vorgetragene moralische Anspruch dann doch nicht mehr so viel wert ist, wenn es ums Geschäft oder Sicherheitsinteressen geht). Aber das macht ja die Zustände in einem autoritären Regime wie es Russland heutzutage ist nicht besser. Lediglich die Kluft zwischen Anspruch und Realität ist viel geringer. Nicht etwa, weil die Situation im Land so toll wäre, sondern weil der Anspruch schon unterirdisch niedrig ist. Das erzeugt vielleicht bei manchem Menschen das Gefühl, die westlichen Länder würden viel Heuchelei betreiben (und das tun wir/sie ja auch bedauerlicherweise zu oft) und das autoritäre Regime wäre ehrlicher. Unter dem Strich sind aber die westlichen Demokratien trotzdem das beste was wir im Moment haben. Natürlich ist das nicht perfekt und in vielen Punkten muss man berechtigte Kritik üben. Trotzdem bleibt es unterm Strich das, von dem wir ausgehen müssen um die Welt als ganzes verbessern zu können.

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  4. Teil 1

    Im kalten Krieg war Totrüsten Teil des "Plans" durch den Westen, wobei wahrscheinlich niemand gefragt hat, woraus dieser "Vorteil" entstanden ist. Einer davon war halt das wesentlich höhere Akkumulationsvermögen des Westens dank niedrigerer Sozialausgaben = höherer Profitrate, die sich eine DDR trotz allem "geleistet" hat. Das es hier eine verkürzte Sicht ist und nicht alle Faktoren darstellt, ist mir klar;-)

    Interessant finde ich auch, dass teils dieselben Strategien wie die der damaligen DDR-Wirtschaft bei der Braunkohle angewendet und teils ebenso polemisch aufgeladen werden, obwohl die Gesamtsituation noch lange nicht so mies ist wie damals. Mich würde es daher nicht wundern, wenn analog zu den AKW auch versucht würde, die Kohlekraftwerke ohne Rücksicht auf die Umwelt als „Kompromiß“ weiter zu betreiben, obwohl das wie der Schwenk auf LNG nicht der Stein der Weisen ist und eben ein - ääääh – Kompromiß;-)

    Die Nummer mit den AKW ist m.E. der FDP als Koalitionspartner geschuldet, denn im entsprechenden Artikel dazu verweist Habeck auf den Nichtnutzen bei Festhalten an dieser Technik und bestätigt damit etwas meine Sicht dazu. Die paar Prozent der Gesamtstromerzeugung durch die AKW retten es nicht und mit Blick auf Frankreich haben die mehr Probleme mit durch AKW erzeugten Strom als wir ohne. Hier wurden beide Seiten bedient, weil die Drecksdinger doch "planmäßig" abgeschaltet werden, aber mit der Option, bei Engpässen zumindest bis zum Ende des Winters auch wieder anzufahren. Ich hoffe weiter, dass das nicht passiert!!!

    2021 wurde der gestiegene Bedarf z.B. durch fossile Energieträger kompensiert, weil der Ausbau der Erneuerbaren stagnierte. Von daher sehe ich bei dem Punkt auch etwas Wunschdenken enthalten, dass sich die Erneuerbaren qua Zwang endlich durchsetzen und den Hauptanteil der Energieversorgung übernehmen. Das Hauptproblem ist weiterhin, den Grundverbrauch zu senken und zwar nicht nur bei den Privathaushalten und öffentlichen Einrichtungen. Am Ende trägt der beschissene Krieg vielleicht sogar dazu bei, dass dieser mangels Absatz und Verringern der Wirtschaftsleistung abnimmt - sad but true.

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  5. Teil 2

    Ob dabei Russland wirklich nächsten Sommer so am Allerwertesten ist, dass es mit zunehmender Dauer zermürbt wird und irgendwann den Krieg analog zu beispielsweise Afghanistan sang- und klanglos für beendet erklärt, sehe ich noch nicht. Das kann jahrelang dauern und auch die Ukraine und der Westen nagen am Zahn der Zeit. Auch einige EU-Staaten sind nicht bereit, dauerhaft die Sanktionen mitzutragen und kippen um, was ja ein Teil der russischen Strategie ist. So btw. macht Russland trotz aller Sanktionen weiter Profite im Öl- und Gasgeschäft. Ein weiterer Knieschuß ist dabei, dass man einerseits einen Preisdeckel für russisches Öl beschließen will, um das zu kompensieren, gleichzeitig die OPEC-Staaten die Fördermengen drosseln und damit die Weltmarktpreise treiben. Wer dabei lachender Dritte ist, brauche ich nicht zu betonen. Es bleibt die ehrliche Konsequenz, dass Russland aktuell wirtschaftlich trotz aller Einschränkungen am längeren Hebel sitzt und auch militärisch beim Faktor Zeit den längeren Atem im reinen Vergleich mit der Ukraine haben dürfte. Da nützt ein Aufrüsten der westlichen Armeen auf Kosten der Allgemeinheit nicht wirklich weiter, egal wie viel Waffen davon im Ringtausch in die Ukraine geliefert werden. Wie der Krieg an sich enden wird, ist weiter völlig offen bis auf die Binse, dass in der Ukraine verbrannte Erde bleibt, egal wann das geschieht. Solange die russische Seite aus welchen Gründen auch immer weiter die Mauertaktik fährt und nicht bereit ist, zu verhandeln, dürfte der aktuelle Status Quo erhalten bleiben, egal welche Maßnahmen getroffen werden, um diese dazu zu zwingen.

    Wie sich die Energiepolitik entwickelt, bleibt abzuwarten, die Lobby der fossilen Energiewirtschaft mit ihren politischen Vertretern ist noch nicht am Ende und wird jedes Mittel nutzen. Für den Profite ist das Problem Klima mit seinen Folgen sch...egal.

    We will see...

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    1. Ich möchte gerne die Kommentare des politischen Philosophen Vlad Vexler empfehlen, der ein paar interessante Gedanken zu der Lage Russlands hat.

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  6. Ergänzung bzw. Korrektur:
    Die Bundesrepublik strebte gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wieder nach den Rohstoffen im Osten. Diesmal ohne Militär – „Erdgas gegen Röhren“ hieß die Zauberformel. Die erste Geschäftsanbahnung zwischen der Sowjetunion und Deutschland wurde Ende 1962 durch ein auf US-Betreiben verhängtes Handelsembargo für Großröhren blockiert. Ludwig Erhard (CDU) hob das Embargo 1966 auf, das den Bau der Pipeline „Freundschaft“ nur verzögert, aber nicht verhindert hatte, und so konnte die SPD-FDP-Koalition unter Willy Brandt ab 1970 das sogenannte Erdgas-Röhren-Geschäft realisieren. Die Stahlunternehmen aus dem Ruhrgebiet, Hoesch, Mannesmann und Thyssen lieferten Rohre für die „Transgas-Pipeline“ und ab 1973 strömte russisches Erdgas in die BRD. Jimmy Carters Versuch, das deutsche Energiegeschäft mit der Sowjetunion zu unterbinden, wurde von Helmut Schmidt (SPD) schon nicht mehr ernst genommen: „Wer Handel miteinander treibt, schießt nicht aufeinander“, sagte Schmidt – eine Fehleinschätzung. 1982 belegte Ronald Reagan deutsche Firmen, die in Geschäfte mit der Sowjetunion verwickelt waren, mit Sanktionen, die aber ohne Wirkung blieben. Und so hatte Deutschland sich geschäftlich von den USA emanzipiert und war in die Abhängigkeit von sowjetischen Öl- und Gaslieferungen geraten.

    Kompletter Text: https://www.rainertrampert.de/artikel/deutschland-in-der-zeitenwende-auf-die-falsche-pipeline-gesetzt

    https://www.rainertrampert.de/artikel/deutschland-in-der-zeitenwende-auf-die-falsche-pipeline-gesetzt

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