Natürlich sollte man sich nichts vormachen. Dass die 'Ampel' plant, wenigstens die schlimmsten Auswüchse der unseligen 'Agenda 2010' unter dem Rubrum 'Bürgergeld' wieder ein wenig zu kappen, hat nichts damit zu tun, dass plötzlich eine Welle der Menschlichkeit durch diverse Parteizentralen geschwappt ist. Was gemeinhin als 'Hartz IV' bezeichnet wird, diente nie dem Zweck, Arbeitslosigkeit sinnvoll zu managen, sondern Arbeit drastisch zu verbilligen. Indem man Arbeitssuchende unter permanenten Druck von Sanktionen und Kürzungen dazu zwang, auch miesest bezahlte Drecksjobs zu machen und gleichzeitig all jene außerhalb des Beamtenapparats so in Angst vor Arbeitslosigkeit hielt, dass sie nicht allzu gierig wurden und nicht aufmuckten.
Letzteres war ein voller Erfolg. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad von Arbeitnehmern ist so niedrig wie die Reallöhne. Ob die Arbeitslosenzahlen auch so abgenommen haben wie propagiert, ist eine Frage der Rechenmethode und muss bezweifelt werden. Nun ist das inzwischen aber so, dass in vielen Branchen Arbeitskräfte gesucht werden, und da dämmert es, man liest es mit Erstaunen, sogar der FDP, dass es eine schlechte Idee wäre, potenzielle Arbeitskräfte weiter zu schurigeln und unter Druck zu setzten.
"Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Literatur zur Wirkung der Hartz-IV-Reform, die vor allem aus makroökonomischen Simulationsanalysen besteht, sind ernüchternd. Krebs (2019) schätzt auf der Grundlage seiner eigenen Analysen und den Ergebnissen anderer Untersuchungen den Beitrag der Hartz-IV-Reform zur Reduktion der Arbeitslosigkeit in Deutschland auf höchstens einen Prozentpunkt. Bradley und Kügler (2019) untersuchen die Wirkung aller Hartz-Reformen und kommen zu dem Schluss, dass sie kaum das Beschäftigungsniveau beeinflusst haben; gleichzeitig senkte die Hartz-IV-Reform aber die Löhne merklich." (Alexander Herzog-Stein)
Und damit kämen wir zur CDU. Hier sollte man bedenken, dass deren Weltbild im Wesentlichen auf drei Säulen fußt. Erstens: Alles andere als ein:e CDU-Kanzler:in ist eine Abweichung von der natürlichen Ordnung. Zweitens: Zu viel Bewegung in Richtung gesellschaftlicher Fortschritt (Klimaschutz, erneuerbare Energie, Gleichstellung, Abkehr vom obrigkeitlichen Staatsverständnis, ...) ist ebenfalls eine Abweichung von der natürlichen Ordnung und daher mit allen Mitteln zu verhindern. Und wenn man selbst nicht in der Position ist dazu, dann eben mittels Obstruktion, Hetze und Desinformation. Bloß keine Experimente! Das wusste schon Adenauer. Und drittens: Wenn jemand sozial da steht, wo er steht, dann wird das schon seinen Grund, wird der Liebe Gott sich was bei gedacht haben.
Weil man aber nun überfälligen Modernisierungsschüben und Großtrends kaum mit Argumenten beikommt, muss man als Konservativer eben ans Ressentiment des Kleinbürgers. Das hat Dalai-Lama-Freund Roland Koch schon 1999 so gemacht, als die damalige rotgrüne Bundesregierung sich daran machte, das vergammelte, auf dem ius sanguinis beruhende Staatsbürgerschaftsrecht ein wenig an die Moderne und entsprechende Realitäten anzupassen.
Und so wird auch jetzt an die Ängste des unter den herrschenden Verhältnissen mehr denn je von Abstiegsangst getriebenen Kleinbürgers appelliert: Obacht, da könnten welche was kriegen, was ihnen eventuell nicht zusteht! Wenn es dir schon scheiße geht, dann sorgen wir wenigstens dafür, dass es immer noch genügend gibt, denen es noch schlechter geht. Wenn auch das nicht reicht, wird eben die uralte Schnurre gedreht von der sozialen Hängematte und der sich nicht lohnenden Arbeit bemüht, und mit falschen Zahlen hantiert.
Dass das geplante Bürgergeld in vieler Hinsicht nichts anderes macht als diverse Urteile des Bundesverfassungsgerichts umsetzen? Dass es volkswirtschaftlich gaga ist, Menschen zu zwingen, ihre Rücklagen fürs Alter zu verbrauchen, wodurch sie mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Grundsicherung landen und erst recht Sozialfälle bleiben werden? Dass es volkswirtschaftlich nicht minder gaga ist, Menschen einem System auszusetzen, das einen Teil in Isolation und Depression treibt und nicht in Arbeit bringt? Nicht so wichtig. Wie? Arbeitgeber lehnen das Bürgergeld ab? Nun ja, beim Mindestlohn sahen die auch schon die Welt untergehen. Wir haben es hier wohl eher mit der Angst zu tun, Menschen in Zukunft nicht mehr ganz so leicht in Billiglohnjobs zwingen zu können.
"Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen." (Marx/Engels)
Der momentane Konservatismus hat zwei tiefgreifende Probleme, die ihn in die Bedeutungslosigkeit treiben können: Erstens, dass das traditionelle bürgerliche Lebensmodell, das hierzulande unter anderem an Strukturen wie die Kirchen geknüpft war, im stetigen Schwinden begriffen ist. Zweitens, dass er sich irgendwann, vom Antikommunismus benebelt, mit dem neoliberalen Kapitalismus verbündete. Ignorierend oder unterschätzend, dass Kapitalismus auch sämtliche traditionellen Bindungen, die einst die konservativ-bürgerliche Gesellschaft zusammenhielten, gnadenlos wegfegt. Nicht nur Marx und Engels wussten das, auch der Papst hat das immerhin kurz nach 1989 erkannt.
Das Schöne daran, progressiv zu sein, ist die Gewissheit, dass man am Ende gewinnen wird. Die gute Nachricht an all dem Trara ist doch, dass da Konservative, die intellektuell so sehr am Ende sind, dass ihnen nichts anderes mehr einfällt als bremsen, blockieren und an niedere Instinkte zu appellieren, ein paar verzweifelte Rückzugsgefechte führen. Die aber werden sie nicht retten.
... "ein paar verzweifelte Rückzugsgefechte führen. Die aber werden sie nicht retten."
AntwortenLöschenHoffentlich erleben wir das noch. Eine zur Perfektion entwickelte Kunst des Kapitalismus ist doch, dem Druck der Straße gerade soweit nachzugeben oder abzulenken, dass sich nix ändert und "die Reichen" immer reicher werden.
Aktuelles Beispiel: die Pandemiefolgen a - für Aktienbesitzer, b - für Lebensmittelkäufer (und kommt mir nicht mit "Aktienbesitzer sind auch Lebensmittelkäufer — ansonsten: Net Worth Babette Albrecht vs. Max Mustermann, verheiratet, 1 Kind, Mietwohnung)
Gruß
Jens