Samstag, 4. Februar 2023

KI-lling Jobs


Wer glaubt, diverse aktuelle Debatten seien etwas irre Neues, sollte sich vom Arzt auf Amnesie oder Demenz testen lassen. In den Achtzigern habe ich kurz bei einer Schülerzeitung mitgemacht. Deren Layout wurde noch komplett von Hand erledigt. Also Schreibmaschine, Tipp-Ex, Letraset, Schnippelbuch und die handgemachten, verschnörkelten, vornehmlich floralen Designbemühungen einer Mitredakteurin, die das wandelnde Klischee einer Ökotussi war: Wollsocken und Birkenstocks, Batiktuch mit Bommeln, Henna im Haar, John-Lennon-Nickelbrille auf der Nase und je nach Jahreszeit wollene oder leinene, auf jeden Fall irgendwie härene Oberbekleidung (unter der sich allerdings eine sehenswerte Oberweite verbarg #aufschrei!!! #sexismus!).

Weil der als Rechtsverdreher sich verdingende Vater eines anderen Redaktionsmitgliedes irgendwann einen der ersten IBM-PCs im Büro hatte und cool genug war, den Zauberkasten am Wochenende seinem Sohn zu Verfügung zu stellen, kam in einer Redaktionskonferenz die Frage auf, ob das Heft nicht besser mit dem Computer gestaltet werden könne.

Sie: "Ich mag Computer nicht."
Er: "Aha. Wieso?"
Sie: "Ich weiß auch nicht, das sind irgendwie so kalte und seelenlose Maschinen."
Er: "Also ich finde die vor allem sehr nützlich. Ich habe mal eine Probeseite..."
Sie: "Ich will mir das gar nicht ansehen!"
Er: "Aber warum denn?"
Sie: "Computer machen mir Angst. Verstehst du, ANGST! Hast du mal '1984' gelesen?“
Er: "Ja, habe ich, und..."
Sie: "ICH WILL DAS JETZT NICHT WEITER DISKUTIEREN!"

Sprach's und fläzte sich auf das kackbraune Cordsofa in der Ecke, wo sie sich eine Zigarette drehte und bald in einer Halfzware-Qualmwolke verschwunden war.

Wollte halt mal dran erinnert haben.

Computer haben es inzwischen fast in die letzte Hosentasche geschafft. Und jetzt geht halt die große Panik vor der KI um. Zu meiner Schande muss ich gestehen, immer noch nicht dieses ChatGPT-Moped ausprobiert zu haben, weil das Teil andauernd überlastet ist. Was ich mitbekomme, ist, dass Leute entweder in Ehrfurcht erstarren oder die Hosen voll haben davor, weil die mächtige KI Arbeitsplätze kosten wird. Wenn das so sein sollte, dass etwa künstlich erstellte journalistische Texte bald schon nicht mehr von menschenerstellten unterscheidbar sein werden, dann sage ich mal: Willkommen im Club jener Arbeitskräfte, deren Arbeit von Maschinen übernommen wird. Ihr seid in guter Gesellschaft, werte Preßbengels. Kleiner Tipp unter Leidensgenossen: Je schneller man sich abgewöhnt, sich und seine Arbeit für unersetzlich zu halten, desto besser für die seelische Gesundheit. Nicht dafür.  

Auch im Lande Academia mehren sich die Unkenrufe. Gefinkelte Arbeiten von Studierenden würden demnächst nicht mehr per Plagiatssoftware erkennbar sein. Oh, wow, Weltuntergang. Sagen wir so: Ich will nicht behaupten, dass schriftliche Seminararbeiten von 10, 20 oder mehr Seiten Länge komplett überflüssig sind. Natürlich geht es in Ordnung, im Rahmen eines wissenschaftlichen Studiums zu lernen, wie man korrekt zitiert und wie man nach aktuellen Standards des jeweiligen Faches ein wissenschaftliches Paper verzapft. Auch als Vorbereitung auf eine Abschlussarbeit ist das sinnvoll. Wo und wie soll man das sonst lernen? Kein Problem damit also.  

Nur habe ich im Laufe meines Studiums wohl an die 25 Stück davon verfertigen müssen. Irgendwann ab der fünften hatte ich es einigermaßen raus, dann aber noch 20 vor den Dingern vor der Brust. Mag sein, dass andere das schneller oder langsamer begriffen hatten als ich, aber wer nach, sagen wir, acht bis zehn dieser Elaborate immer noch nichts gerafft hat, sollte sich fragen, was er außer Party machen an der Uni sucht. Zumal die Korrektur der Dinger von, sagen wir, eher unterschiedlicher Qualität war. Es gab Dozenten, die jeden Kommafehler anstrichen und für jede Arbeit ein halbseitiges Gutachten verfassten und es gab Profs mit berühmten Namen, von denen man seine Arbeit nach einem halben Jahr mit dem Bleistiftvermerk "i.O.!" auf der Titelseite zurückbekam. Will heißen: Sich die Arbeit bei der genervten Sekretärin abholen konnte.

Die Studierenden schienen das auch immer weniger ernst zu nehmen. Eine Freundin von mir, paar Jahre jünger, hat in den Semesterferien immer gearbeitet und das Leben genossen und sich dann kurz vor Schluss zwei, drei Wochen zu Hause verbarrikadiert und drei bis vier davon im Akkord weggehauen. Ich fand Referate, bei denen man sich hinterher auch Fragen und Diskussionen stellen musste, immer weit sinnvoller.

Keine Ahnung, wie das heute an der Uni alla Bolognese so ist, aber das Prinzip Hausarbeit gegen Schein erscheint mir rückblickend als ideal für die anonyme, unterfinanzierte Massenuni. Rein schriftliches Verfahren, kein zwischenmenschlicher Kontakt nötig. Der Prof kann die Korrektur der Hausarbeitenstapel seiner Studierenden notfalls auf seine prekär beschäftigten Hilfskräfte abwälzen und sich der Forschung widmen oder der Akquise von Drittmitteln. Dabei wäre Plagiatoren zu entlarven eigentlich ganz einfach: Zu jeder Seminararbeit ein halbstündiges Kolloquium unter sechs bis acht Augen veranstalten, in dem der/die Betreffende ein paar kritische Fragen beantworten muss. Dazu bräuchte man allerdings auch das entsprechende Personal.






7 Kommentare:

  1. Ki und Maschinen:
    Automatisierung, hiess es, immer verfügbar, unabhängig von Mensch und co.
    Deshalb haben Bankomaten neuerdings von 23 bis 6 Uhr geschlossen.
    Oder vollautomatische Autowaschanlagen (ohne Personal) Sonntags geschlossen.

    Ja, wenn die Computer erstmal Urlaubstage, Altenversorgung und Schwangerschaftsfreistellung erkämpfen...

    Uni:
    Laut einem Bekannten kann man Abi in der Abendschule (Fernkurse) ohne Prüfung bekommen.
    An einem anderen Gymnasium gibt es
    Mathematik gibts als Multiple-choice-Test.

    Findet sich schon in alten Cyberpunkromanen - je "schlauer" die Maschinen, desto "doofer" die Bios.

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  2. "immer noch nicht dieses ChatGPT-Moped ausprobiert zu haben"
    Zu dem Thema hatte ich vorige Woche einen guten Freund im ÖrR gefragt.
    Seine Antwort: eine Weiterentwicklung dieses ChatGPT wird schon seit ein paar Jahren für einfache Nachrichtentexte in Redaktionen — dem Sparzwang geschuldet — eingesetzt.

    Gruß
    Jens

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    1. Dass Lokaljournalismus meist im Aneinanderreihen von Textbausteinen besteht, sollte eh klar sein, für Bratwurstjournalismus braucht es keine KI, das geht billiger.

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  3. Mir kommt der Gedanke, dass Sprachmodelle wie ChatGPT Studierenden durchaus helfen können. Wie oft verzweifelte ich (gerade bei der Masterarbeit) vor dem Bildschirm, weil ich zwar wusste *was* ich schreiben wollte, aber nicht *wie*. Wenn einem eine ,,KI’’ dann ein paar Formulierungsvorschläge macht (die sie aus wissenschaftlichen Arbeit hat), dann könnte das helfen, Schreibblockaden zu verringern.

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    1. Nicht uninteressante Idee. Voraussetzung wäre m.E. aber, dass das jeweils offengelegt wird, ob, wann und wo per Chatbot gearbeitet wurde.

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    2. Wenn es lediglich darum geht, mal ein paar Formulierungsvorschläge zu bekommen (es geht ja *nicht* um die Inhalte), dann würde ich eher nicht darauf bestehen wollen, dass da etwas offengelegt wird. Ein Synonymlexikon muss ich ja auch nicht angeben.

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  4. ChatGPT habe ich in letzter Zeit des öfteren erreicht und eine ganze Reihe Tests durchgeführt. Die eindrücklichsten stehen in meinen Blogs (hier eine Liste: https://www.webwriting-magazin.de/chatgpt-getestet-beeindruckender-talk/ ). Besonders unterhaltsam und wirklich beeindruckend finde ich die Fähigkeit der KI, Texte im Stil berühmter Autoren zu verfassen - dazu liegen Texte á la Adorno, Nietzsche und Thomas Bernhard vor (siehe Liste). Natürlich hat mich auch sehr interessiert, inwieweit ich als Artikelschreiberin für Unternehmen (meist Gartenthemen) ersetzbar bin. Die Tests dazu haben ergeben: Nicht wirklich! Die KI bietet einen Einstieg ins Thema und ganz nette, durchschnittliche Formulierungen - aber weder stimmen ihre "Fakten" alle (müssen also sowieso nachrecherchiert werden), noch kann sie inhaltliche Tiefe bieten. Das kann zwar in längeren Dialogen mit Nachfragen optimiert werden, aber je spezifischer es wird, desto mehr falsche Angaben kommen vor. Was sie natürlich gar nicht kann ist persönliche Färbung, Humor, abwechslungsreiche Sprache und ein Thema wirklich umfassende Strukturierung. Am besten kann sie oberflächliches Blabla mit Allgemeinplätzen zum Thema, die überall stehen. Nun ja... für einige SIMPLE Textanforderungen verwendbar, wenn es nur darum geht, den Suchmaschinen ein paar Textzeilen zum Fraß vorzuwerfen - "SEO" hat ChatGPT allerdings auch nicht drauf.

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