Dienstag, 19. September 2023

Wahre Worte (69)


Heute: Stefan Sasse über den Medienhass an den politischen Rändern

"An den Rändern links wie rechts ist die Ablehnung »der Medien« bereits seit Langem, wenn nicht sogar schon immer, ein zentraler Teil der politischen Strategie und der eigenen Identität. Ich erinnere mich noch an meine eigene deutlich linke Phase, in der ich davon überzeugt war, dass die »Mainstream-Medien« alle effektiv gleichgeschaltet, nicht vertrauenswürdig und in einem permanenten Kampagnenmodus seien. Die NachDenkSeiten hatten darauf ja quasi ihre ganze Existenz aufgebaut. Heute kriecht diese Haltung zunehmend in das bürgerliche Spektrum. Was früher einmal den Rändern vorbehalten war, ist bei der CDU zunehmend offizielle Strategie geworden. Das Feindbild Medien, ganz besonders natürlich das der Öffentlich-Rechtlichen, ist absolut besorgniserregend und passt leider ins Muster der rechten Kräfte weltweit. Es ist zerstörerisch für die Demokratie und wird am Ende […] auch nur denjenigen nützen, die die Demokratie ablehnen. Die Bürgerlichen rufen hier Geister, die sie nicht mehr loswerden werden." (19. September 2023)

Anmerkung: Man sollte aufpassen, dass die Höhle aus Platons Höhlengleichnis nicht zum Rattenloch wird. Ich habe inzwischen zu oft erlebt, was mit Menschen passiert, die nur noch 'alternativen' Medien vertrauen. (Unter Medizinern heißt es übrigens: Es gibt keine 'alternative Medizin'. Es gibt nur 'Medizin' und 'Sachen, die nicht wirken'; oder bestenfalls zufällig.) Das so leichtfertige wie denkfaule Gerede von 'gleichgeschalteten' Medien, die angeblich pausenlos 'Meinungsmache' bzw. Regierungspropaganda betreiben, hält keiner empirischen Überprüfung auch nur fünf Minuten stand. Wer das ernsthaft behauptet, muss sich fragen lassen, wann er 'Mainstreammedien', in denen täglich hunderte Artikel erscheinen, in denen gegen die 'Ampel' getrommelt wird, zuletzt mit Verstand angesehen hat.

Es ist absolut nichts Neues, dass Minderheiten- oder Außenseitermeinungen es schwerer haben als welche, die sich im Wesentlichen innerhalb eines gewissen Korridors bewegen. Man hatte auch schon 1980 Probleme, wenn man mit einem nicht genehmen Button an einer bayerischen Schule erschien. Nur hat man damals noch nicht über 'Cancel Culture' gegreint und die Neigung, sich deswegen für Sophie Scholl auszugeben, war wohl auch geringer. Heute scheint die spezifische, inhärente Dynamik von Social Media immer mehr glauben zu lassen, ihre Minderheitsmeinung sei in Wahrheit die einer unterdrückten, schweigenden Mehrheit.

Natürlich kann man streiten, ob die Demokratie as we know it eine erhaltenswerte Regierungsform ist. Stichwort: Demokratische Regierungen als Büttel des Kapitals. So lange ich aber keine wirklich überzeugende Alternative sehe (theoretische Wolkenkuckucksheime betrachte ich nicht als solche), die schon einmal wo erprobt wurde, bleibe ich dabei: Ich ziehe jede noch so unvollkommene liberale Demokratie mit allen unbestreitbaren Schwächen und Webfehlern im Zweifel jedem diktatorischen bzw. autoritären System vor. In denen zum Beispiel ein fraglos schandbarer Fall wie der Julian Assanges nicht bloß ein Auswuchs von Machvergessenheit ist, sondern Staatsräson.

"Wenn ein Kommunist ist, wer es nicht mag, dass Menschen ausgebeutet, entrechtet, vernachlässigt oder unterdrückt werden, und wenn ein Kommunist ist, wer dafür weder die Natur noch das Wesen des Menschen verantwortlich macht, sondern konkrete Verhältnisse, in denen Profit und Macht auf eine spezielle, extrem ungerechte Weise verteilt werden, dann bin ich eben ein Kommunist. [...]

Wenn Kommunismus bedeutet, einer Partei anzugehören, die behauptet, immer recht zu haben, wenn es bedeutet, sich einer großen Idee zu unterwerfen, die sich als wissenschaftliche Weltanschauung sieht und ansonsten keinen Spaß versteht, wenn es bedeutet, die Geschäfte ausgerechnet in die Hände einer Staatsbürokratie mit Polizei, Geheimdienst und despotischen Vorsitzenden zu legen, und wenn es bedeutet, dass dieser Staat seinen Bürgern im Austausch für eine Grundversorgung die persönliche Freiheit nimmt -- nö, dann will ich lieber kein Kommunist sein. [...]" (Georg Seeßlen)


Und natürlich herrscht Doppelmoral im Westen. Die Diskrepanz zwischen dem Propagieren von Menschenrechten und der traurigen Realität an den Grenzen der EU z.B. ist nur schwer erträglich. Wer aber sagt, dass das in einem wie auch immer gearteten anderen System automatisch besser wäre? Rechte haben es da übrigens leichter. Die wollen mit dem Rest der Welt im Zweifel nix zu tun haben. Grenzen dicht und fertig. Ob dieses Land aber ein so viel besseres wäre, wenn es sich vom Welthandel abkoppelte, ist aber ebenfalls fraglich.

Allerliebst auch das selbstgerechte Gepluster über Annalena Baerbocks Diktatur-Sager. Pardon, aber wo sie recht hat, hat sie recht. Ob das jenen, die auf den Grünen herumzuhacken inzwischen zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben, nun in ihren Kram passt oder nicht, ist irrelevant. Natürlich weist das chinesische Regime deutliche diktatorische Züge auf und kann sich allein aufgrund seiner wirtschaftlichen Bedeutung westliche 'Belehrungen' über Menschenrechte empört verbitten. Das Social Credit System ist ebenfalls ein Beispiel. Demokratische Staaten sind allein berechtigt, von denen, die sich in ihrem Geltungsbereich aufhalten, zu verlangen, sich an die geltenden Gesetze zu halten. Nicht, in irgendeinem Sinne, 'gute', ‚soziale‘ Menschen zu sein.

Fun fact: Vor ein paar Tagen ist erneut ein chinesischer Minister spurlos verschwunden. Sicher nur Zufall. Oder hat einfach seinen Urlaub verlängert.

Anmerkung 2: Die Rubrik 'Wahre Worte' wird hiermit in die Rubrik 'Schmähkritik des Tages' hineinfusioniert und die laufende Nummerierung fortgeführt. Weil vieles, das ich unter diesem Rubrum veröffentlicht habe, eigentlich keine Schmähkritik war.








12 Kommentare:

  1. Der Begriff "Alternative Medien" wurde schon vor Coronazeiten von den Rechten, Rechtsoffenen und Rechtsintellektuellen okkupiert. Linke nennen sie heute Schwurbelpresse. In der 70er und 80er Jahren war unter Alternativen Medien genau das Gegenteil zu verstehen. Eine Gegenöffentlichkeit von links, eigene Presseerzeugnisse fortschrittlicher Zusammenhänge, Antifamagazine und femministische Frauenmagazine. Schwarzer Faden, radikal, Alternative Kommunalpolitik, Interim, Emma, Konkret, Analyse und Kritik (AK), Pardon, Dr. med. Mabuse, Pflasterstrand, Graswurzelrevolution, Von all denen sind nicht mehr viel übrig geblieben.

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  2. Als Nuance "könnte" noch angemerkt werden, dass von rechter Seite die "MSM" zumeist quasi rundheraus abgelehnt und eben von vornherein als lügend, gleichgeschaltet usw. definiert werden, ohne die Inhalte überhaupt zu erfassen und zu hinterfragen. Bei den Ablehnenden von linker Seite sehe ich da zumindest noch den Punkt, das zu tun, obwohl die Inhalte oft auch pauschal abgelehnt werden.

    Eine gewisse "Mitschuld" ist den Medien dabei durchaus zu geben, da leider auch bei den ÖR der Eindruck wächst, dass viele Beiträge mit flinker Feder, als C&P oder ungeprüft veröffentlicht werden und hin und wieder auch tendenziös über das normale Maß berichtet wird. Negativ dazu fällt mir in jüngster Zeit das auch in den ÖR im Kontext negative und abwertende Berichten über die Klimaaktivisten der LG z.B. über den Begriff "Klima-Kleber" und das Bedienen der Bullshit-Themen über das Zulässige von Gewalt gegen diese auf. Das steht natürlich in keinem Verhältnis zu privaten Medien, die von Haus aus eine Agenda bedienen, wird aber wegen des Finanzierens durch öffentliche Hand dort deutlich "kritischer" abgeprankert und ist oft Killerargument.

    CDU und auch anderen Parteien dürfte das schon deshalb ein Dorn im Auge sein, weil deren Kritikfähigkeit zunehmend abnimmt und das meiste davon kommt immer noch aus den ÖR und eher nichtkommerziellen Medien wie Blogs usw. Gleichzeitig wird im Allgemeinen reaktionäres Denken und Tun immer mehr in besagte "bürgerliche Mitte" hineinprojiziert und damit inhärent Rechtes immer mehr salonfähig.

    Kommunist, Marxist und dergleichen? Wäre ein eigenes Thema, aber die "Partei hat immer recht" und Stalinsche Prägung haben mit dem auch von Marx selber geforderten (selbst)kritischen Hinterfragen von Allem und Allen abgeschlossen und darauf gewartet, dass sich das bessere System von selbst durchsetzt. Hat jetzt leider nicht so gut geklappt.

    Die letzten beiden Punkte sind dabei sehr verkürzt dargestellt, aber ist ja ein Blog und nicht die Uni und der Text sowieso schon wieder tl;dr

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  3. Dafür, dass China, seit sieben Jahren unser größter Handelspartner ist, kann man schon mal Piep sagen. Besonders wenn die Außenhandelsbilanz sehr positiv für China ausfällt. Wenn der Handel läuft wie am Schnürchen, kann sich Diktatur woanders auch lohnen. Außer es geht gegen den Strich. Bin gespannt was wird, sollte sich die Lage in Taiwan verschärfen. Ich bin immer großer
    Fan der grünen gewesen, aber nur, solange sie in der Opposition
    waren. Ich glaube die Grünen sind als Regierungspartei überfordert.

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    1. "Ich glaube die Grünen sind als Regierungspartei überfordert"
      Definitiv — fatale Selbstüberschätzung aufgrund tief verankertem Bewusstsein "auf der richtigen Seite zu stehen".
      Es wird sich bestimmt bei der nächsten Wahl rächen.
      Die sogenannte Schweigende Mehrheit wird ihr Kreuzchen aus recht nachvollziebaren, egoistischen Gründen bei den Antidemokraten machen.
      An dem reaktionären Swingback werden wir dann noch zwei bis drei Legislaturperioden unsere Freude haben.
      (wie doof kann man sein?)

      Gruß
      Jens

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  4. Mir sieht das eher wie ein Strohmann aus, dass man behauptet, dass die Kritiker alles von den "Mainstream-Medien" immer als gelogen ansehen oder bezeichnen würden.
    Gerade auch wenn man die NDS erwähnt, fehlt da eben die Erwähnung der dortigen durchaus differenzierten Betrachtung der Medien (zumindest als ich die NDS vor zehn Jahren noch gelesen habe), wo immer wieder auf die vernünftigen Ausnahme-Artikel hingewiesen wurde, aber auch aufgezeigt wurde, wie sehr diese im Strom von Bullshit untergehen.
    An dem Strohmann arbeitet man sich dann gerne immer wieder ab und wischt damit tatsächliche Kampagnen/Gleichschaltung/etc. beiseite.

    Dass Sasse dann ausgerechnet aus dem Spiegel zitiert, von dem in letzter Zeit besonders offensichtliche und besonders bösartige Kampagnen bekannt wurden (Mockridge, Rammstein) und der damit Anlässe zu noch stärkerem Misstrauen liefert, ist ziemlich peinlich.

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  5. Sasses 'Deliberation Daily' ist immer zu empfehlen. Was macht eigentlich Stefan Pietsch (schon bekannt vom Spiegelfechter)? Seit Mai keine Artikel mehr.

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  6. So als Abklatsch dazu im auch hier verlinkten Bildblog zwei Beiträge, welche mit zeigen, warum oft der tatsachengehalt so mancher Meldung in Zweifel gezogen wird.

    - KI und daraus resultierende "Deepfakes" als Nachrichten im Deutschlandfunk

    - Stefan Niggemeier zum Thema Quellen bei Veröffentlichungen im Internet auf Übermedien.

    Dieses bloße Behaupten von Statistiken ohne Nachweis der Quellen ödet mich in den Medien schon länger an. Da kann sich der größte Blödsinn aus dem Hintern gezogen werden, ohne das Belege gebracht werden. Dann wird sich gewundert, dass niemand mehr etwas glaubt und hin und wieder haben sich solche Dinge ja auch schon als falsch, tendenziös oder selektiv verzerrend herausgestellt. Bei jeder wissenschaftlichen Arbeit müssen Quellen und Sekundärliteratur nachgewiesen werden, während es sehr oft weder bei Artikeln im Internet oder selbst in der Zeitung zuviel verlangt ist, diese anzuführen. Seriös ist anders und die Arbeit, das zeug zu suchen, machen sich leider die Wenigsten.

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    1. Beim Weglassen der Quellen geht es um SEO. Nichts Anderes. Die Leser*innen sollen auf der Seite bleiben und nicht woanders hin surfen. Seltsam, dass Niggemeier das nicht thematisiert. Mit "Qualitätsjournalismus" hat das alles nur noch wenig zu tun.

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  7. Es gibt schon lange eine "Herstellung von Konsens" (Chomsky, Herman) in den konzentrierten Massenmedien der Demokratien bis hinein in die ÖRn. Und die Inhaftierung von Assange dürfte weniger ein "Auswuchs von Machtvergessenheit" sein, als eine kaltblütig zweckgerichtete Machtdemonstration.

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    1. Und deswegen schlottern uns auch allen so die Knie. Versuchen Sie mal Demos gegen Assange, wie sie im bösen Westen problemlos veranstaltet werden, in Russland oder China. Viel Glück!

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    2. "Russland oder China" war, ich denke erkennbar, nicht mein Thema.

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  8. "Beim Weglassen der Quellen geht es um SEO. Nichts Anderes."

    Das mag bei dem von Niggemeier kritisierten T-Online der Fall sein. Es gibt auch genügend andere "seriösere" Portale bis zur Tagesschau et al, die sich nicht ansatzweise die Mühe machen. Da geht´s dann eher darum, in kürzester Zeit eine Ticker-Meldung umzuschreiben und da ist die Zeit für Recherche usw. einfach nicht vorgesehen - Hauptsache der Artikel steht. Mit SEO hat das nichts zu tun.

    Trotzdem trägt das dazu bei, Medien und deren Vertreter schlecht aussehen zu lassen. So btw. führt das bei den Verbreitern von Bullshit dazu, dass die sich bei ihren Halb- und Nichtwahrheiten darauf ausruhen, dass die "MSM" ja auch keine Belege bringen.

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