Donnerstag, 5. Oktober 2023

Gruselige Mischung


"Wir sind das Volk, und wir wollen, daß kein Gesetz sei; ergo ist dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt's kein Gesetz mehr, ergo totgeschlagen!" (Georg Büchner, Dantons Tod)

Irgendwann muss das doch mal jemandem auffallen. Noch jeder Schweinediktator hat sich auf den 'Willen des Volkes' berufen. Oder darauf, nach selbigem zu handeln. Der Tweet zur deutschen Migrationspolitik zum Beispiel, den Elon Musk auf seiner persönlichen Spielwiese teilte, steht ihm als politische Meinungsäußerung selbstredend frei, offenbart aber sehr schön die Unreife, das Demokratiedefizit bzw. das mangelnde Verständnis für Politik, das Möchtegerndiktatoren wie er und andere Demokratieverächter unter der Fontanelle spazieren tragen und Gassi führen.

Ob das Volk denn auch Bescheid wisse über die Migrationskrise, will er rhetorisch wissen. Und ob es eine Umfrage gegeben habe. Wieso? Das braucht es nicht. Das glauben nur Kindsköpfe, die sich in einer Diktatur wähnen, weil sie finden, die Regierung habe sie für jeden Pups gütigst um Erlaubnis zu fragen. Das hat mit aufgeklärter Staatsbürgerschaft nichts zu tun, das ist infantiles Konsumverhalten von Leuten, die das herrschende System ('den Staat', 'die Politiker') zutiefst verachten, gleichzeitig aber erwarten, dieses verhasste Gebilde habe sich gefälligst um ihr höchstpersönliches Lebensglück zu kümmern und dabei jede einzelne ihrer Empfindlichkeiten zu achten.

Richtig, das Volk ist der Souverän, Träger aller Staatsgewalt, so steht es im Grundgesetz. Das Volk aber legt die Verantwortung für die Staatsgeschäfte in die Hände einer gewählten Regierung. Oh mein Gott! Diktatur??? Nö. Macht zum Beispiel das britische Königshaus schon lange so. Wer jeweils auf dem Thron sitzt, ist und bleibt der Souverän, hat aber nur wenig zu melden. Die einzige wirkliche Einflussmöglichkeit ist das streng geheime wöchentliche Vieraugengespräch mit dem Premierminister.

Eine demokratische Regierung wird für einen bestimmten Zeitraum gewählt, meistens für vier oder fünf Jahre. Innerhalb dieser Legislaturperiode kann sie im Rahmen der geltenden Gesetze im Prinzip agieren wie sie will. Solange sie eine Mehrheit im Parlament hat, kann sie auch schwerwiegende Entscheidungen fällen, ohne dafür jedes Mal extra 'das Volk' befragen oder auf Umfragen schielen zu müssen. Nach Ende der Legislaturperiode finden dann Wahlen statt, die als Referendum über die Arbeit der Regierung anzusehen sind. So haben sich nicht nur unsere Verfassungsväter und -mütter das mal gedacht. Aber die hatten schließlich auch kein Internet.

Dass ein autoritärer, libertärer Radikalinski wie Musk der AfD die Daumen drückt, ist indes kein Zufall. Beiden ist gemein, dass sie das herrschende System hassen und einen Shit auf Soziales geben. Musk, dessen Reichtum ohne staatliche Subventionen nicht möglich gewesen wäre, gibt für seine ihn sektenhaft verehrenden Fans den genialen Selfmade-Milliardär. Die autoritäre, libertäre AfD bekommt das Kunststück hin, ihrem sich abgehängt bzw. vom Abstieg bedroht dünkenden Stimmvieh das Gefühl zu geben, dereinst, wenn es so weit ist, bevorzugt zu werden und nur Ausländer und Linke würden zu leiden haben. Sie könnten sich täuschen.








7 Kommentare:

  1. > Oh mein Gott! Diktatur??? Nö. Macht zum Beispiel das britische Königshaus schon lange so.

    Also nicht Diktatur, sondern Monarchie? Schräger Vergleich. (Wobei: Was unterscheidet den Bundespräsidenten eigentlich hinsichtlich seiner Amtsführung von einem König?)

    Spekulation: Die Wahlbeteiligung wäre höher und das Frustwählerpotenzial geringer, würden Parteien nach der Wahl das machen, was sie Wählern vor der Wahl versprochen haben. Alle Regierungen seit wenigstens 1933 neigen hingegen dazu, immer krassere Gegensätze zwischen dem, was das Volk gewählt hat, und dem, was das Volk bekommt, zu verursachen. "Keine Waffen in Kriegsgebiete", plakatierte die ehemalige Friedenspartei "Die Grünen" noch 2021. Ein halbes Jahr nach der Wahl müssten sie das Versprechen plötzlich einlösen, haben aber irgendwie nicht so recht Bock drauf. Die SPD verspricht "weniger Altersarmut", was nach Hartz IV (SPD) allenfalls ein Arschtritt ist. Die CDU verspricht mehr Sozialstaat (die CDU! Mehr Sozialstaat! Um Himmels Willen) und zum Rest fiele mir bestimmt auch noch was ein.

    Wähler haben die Demokratie schon völlig richtig verstanden. Aber ob die Parteien nicht vielleicht etwas Nachhilfe brauchen?

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    1. ... Gründe AfD zu wählen gibts bei "Den Reichen" en Masse. Aber das Vertrauen dieser Partei in die Doofheit der eigenen Massenklientel ist schon erstaunlich. Respekt — so dreist muss man erstmal sein.
      Aber so lange es Stimmen bringt ...
      Warten wir mal ab, was die aktuelle "Mini-Reichstagsbrand-Aktion" denen bringt.
      In der Focus Kommentarspalte ist soviel Schaum vorm Mund, damit bekommt man die A3 von Oberhausen bis Frankfurt sauber geputzt.

      Gruß
      Jens

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  2. Ich würde statt von Demokratie lieber von einer Diktatur des Kapitals reden. Bei diesem Thema darf nämlich der Einfluss von Lobbyisten auf das Parlament nicht ausgeblendet werden. Es waren doch auch Industrievertreter, die "Hartz" 4 ausgearbeietet haben. Und bei den EU-Abgaswerten hat meine Wissens doch ein Stab von Rechtsberatern der Autoindustrie den Gesetzesentwurf erarbeitet.
    https://www.abgeordnetenwatch.de/recherchen/lobbyismus/die-lobbykontakte-der-bundesregierung

    Ähnlich ist es beim Klimaschutz, der durch Interessenvertreter im Beirat der RWE verhindert wird. In diesem Gremium sitzen die Bürgermeister und Oberbürgermeister des Landes NRW - überwiegend Sozialdemokraten.

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  3. Das stimmt schon. Hinzufügen könnte man auch, dass Medien ebenfalls in den Händen von einer Handvoll einflussreicher Kapitalisten sind. Auch in einem demokratischen Musterland wie der Schweiz, in der die Bevölkerung in vieles eingebunden ist, gibt es einen überproportionalen Einfluss des Kapitals.
    Die andrere Seite ist: 'Das Volk' in Toto hat auch gern Verantwortung abgegeben, solange das Leben nur bequem so weiterging und soziale Härten immer nur die anderen betrafen. Jetzt kommen die Einschläge näher und der Kleinbürger entdeckt den Fascho in sich.

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    1. Siewurdengelesen6. Oktober 2023 um 11:14

      "Jetzt kommen die Einschläge näher und der Kleinbürger entdeckt den Fascho in sich."

      Auch da nur +1

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  4. "solange das Leben nur bequem so weiterging und soziale Härten immer nur die anderen betrafen. Jetzt kommen die Einschläge näher und der Kleinbürger entdeckt den Fascho in sich."
    Hmm — das könnte wahrscheinlich anthropologisch begründet werden. Abgesehen davon glaube ich, dass es ein dünner "sozialer und demokratischer Firnis" ist, der den "innen" latent vorhandenen "Fascho" in uns allen mehr oder weniger übertüncht.

    Gruß
    Jens

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  5. Das mit dem Volkswillen sollte man nicht überbewerten. Unsere Demokratie hat sich evolutionär als Optimum heutiger Wirtschaftsweise herausgebildet. Von Diktatur kann man da nicht sprechen. Das kapitalistische Wirtschaftssystem legt den Rahmen fest in dem sich alle bewegen müssen, es agiert im Hintergrund. Gerade das Politiker ihre Versprechen meist nicht halten und man es sowieso weiß, es gibt ja auch noch die Opposition, macht die Dynamik der Demokratie aus. Erstens ist die Welt ja vor der Wahl eine andere als nachher und zweitens, stelle man sich vor, die Politik würde immer das machen was das Volk will. Dann gäbe es keine Opposition und das wäre dann wieder eine Diktatur. Tragischer Weise Denken viele Leute, die AFD werde alle Versprechen einlösen. Es ist zum Haare raufen.

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