Donnerstag, 25. April 2024

Jenseits der Blogroll - 04/2024

 
Schon wieder ist der Monat fast herum und es ist Zeit für die Fundstücke des Monats. Bitte anschnallen, es ist wieder einiges zusammen gekommen.

Politik. Robert Misik zur 'Aufarbeitung' der Corona-Maßnahmen. Ich denke, der letzte Halbsatz des ersten Absatzes erklärt einiges.

"Politiker und Politikerinnen [...] mussten auf Basis von Empfehlungen, unter den Bedingungen von Ungewissheit Entscheidungen treffen, die manchmal richtig, manchmal zu lasch, manchmal zu streng ausfielen. Die Normbetroffenen, wie die Bürger im Fachjargon heißen, reagierten gereizt. Die einen fühlten sich einem unnötig hohen Todesrisiko ausgesetzt, die anderen durch autoritäre Maßnahmen gegängelt, und ganz generell war man auf viel existenziellere, eklatantere Weise von Regierungshandeln betroffen, als das sonst der Fall ist.

Zur Aufarbeitung würde natürlich auch die Erörterung der Frage gehören, wie klar und eindeutig eine Risikobeurteilung sein muss, um massiv in individuelle Freiheitsrechte einzugreifen, weil generell die ewige Spannung im demokratischen Rechtsstaat die zwischen bindenden Regeln einer sozialen Ordnung und den individuellen Freiheitsrechten des Einzelnen ist." (Misik, a.a.O.)


Armin Nassehi analysiert das Buch 'Politik von rechts' von Maximilian Krah. Niemand wird sagen können, wir seien nicht gewarnt worden...

Für Leo Fischer ist das 'Bündnis Sahra Wagenknecht' eine "Alternative für Leute, die rechts wählen, aber den linken Habitus nicht ablegen wollen."

Man stelle sich meine Überraschung vor...


Ulli Hannemann zur Cannabis-Legalisierung. Für das Pflänzchen findet er so schöne Bezeichungen wie "Schwafelkraut" und "psychoaktive Petersilie".

Oliver Schott mit einer Kritik des Begriffs 'Narrativ'.

Arnold Voss über die Freiheit.

"Das ist für viele Menschen schwer zu akzeptieren. Aber spätestens wenn ihr Leben riskant wird, und das wird es früher oder später unvermeidlich, zeigt ihnen ihre Angst, dass sie von Grund auf feige sind. Sie konterkariert in geradezu bösartiger, weil in unkontrollierbar hormongesteuerter Weise, all das individuelle Freiheitsgeschwätz und lässt das diesbezüglich sorgsam gepflegte Selbstbild sang und klanglos in sich zusammenbrechen. [...] Selbst die professoralen Erfinder und Verteidiger des freien Marktes z.B. mussten sich ihm selbst in den seltensten Fällen stellen, geschweige denn hätten sie ihn aus eigener Kraft überlebt. Er bedeutet nämlich, sofern er wirklich funktioniert, höchstes Risiko bei gnadenloser Auslese. Sowas macht nur wenigen Leuten wirklich Spaß." (Voss, a.a.O.)

Kultur/Gesellschaft/Gedöns. Minh Schredle über 'Benjamin Blümchen und der Kampf der Klassen' von Lara Wenzel und Matheus Hagedorny.

Matthias Warkus analysiert Heinz Budes 'Abschied von den Boomern'.

Für Cory Doctorow sind bequeme Nutzer nicht der Grund für die Enshittification des Netzes.

Heike-Melba Fendel verzweifelt an Sprachlern-Apps.

Musik. Pardon, das wird jetzt länger. Denn nun hat es auch mich erwischt. Nein, sie hat mich erwischt. Dem Phänomen Taylor Swift stand ich lange eher ratlos gegenüber. Was mich aber nicht weiter beunruhigte. Man kommt eben in ein Alter, in dem man zunehmend das Gefühl hat, nicht mehr alles verstehen zu müssen, sich sagt, die Dinge sind halt wie sie sind und gut. Ich wusste natürlich, dass Mrs. Swift die momentan hammermegabrüllerfolgreichste Musikerin der Galaxie ist, sie ihre Songs selbst schreibt, ursprünglich aus der Countrymusik kommt, ihr Produzent im Hauptberuf Indie-Rocker, sie inzwischen Milliardärin ist und Platz 1 bis 15 der US-Charts dauerblockiert. Was aber nichts heißen muss, sind Musikcharts oft genug bloß ein statistischer Beleg dafür, dass signifikante Teile der Bevölkerung keinen Geschmack haben. Zurück zu Taylor Swift: Den Pailetten- und Glitzerfimmel, den sie auf der Bühne auslebt, finde ich eher geht so, was ich an Musik bislang mitbekommen habe, zum Beispiel 'Shake It Off' -- nun ja, professionell gemachte Popmusik eben. Wiewohl die 'Fuck you!'-Attitüde mir sympathisch ist. Dass sie Trump und die US-Republikaner hasst und bekämpft, natürlich auch.

Und dann stieß ich durch Zufall auf 'All Too Well' (Taylor’s Version). Und war, ich kann es nicht anders sagen: geflasht. Hat mich ehrlich berührt. Mich abgeholt und ein Stück mitgenommen. Sparsam instrumentiert, Gitarre, Bass, Schlagzeug, bisschen Klavier/Keyboards und Backgroundgesang. Dezente Produktion, keine Autotuneeffekte. Die Nummer würde auch nur mit Klavier funktionieren. Swift singt ungekünstelt und intensiv, hält die Spannung über volle zehn Minuten aufrecht und erzeugt eine geradezu intime Stimmung. (Als Amateursänger kann ich noch hinzufügen: So ein Ding muss man erst mal geatmet bekommen, ohne bei der Hälfte wegzusacken.) Worum geht es? Um eine zerbrochene Liebe. Aber das hat Tiefgang, Kraft und Poesie, ist manchmal schonungslos und bitter, aber nie kitschig. Das ist definitiv kein plattes Hupfgedohle, das ist einfach verdammt gute, zeitlose Musik. War ich in der Form nicht drauf vorbereitet.


(Video im erweiterten Datenschutzmodus. Anklicken generiert keine Cookies.)

Mit 'echter', 'handgemachter' Musik lässt sich heute nichts mehr reißen? Junge Leute sind oberflächlich und haben dank TikTok nur mehr die Aufmerksamkeitsspanne von Grottenolmen auf Speed? Think twice. Man kann natürlich kritteln, wenn man mag. Etwa, dass der obige Song nicht zehn, sondern eher so acht bis neun Minuten lang ist, weil dann nichts mehr kommt außer einem langen Fadeout. Und ja, Taylor Swift ist supererfolgreich, pervers reich und hat eine Klimabilanz wie ein Flugzeugträger. Aber das macht das, was ich da gehört habe, eben auch nicht schlechter. Kommerzieller Erfolg und Kunst können sich ausschließen, müssen aber nicht. "So wenig subversiv es auch ist, ein »Business-Genie« zum größten Popstar der Welt zu haben: Taylor Swift und ihr immenser Erfolg ist auch eine Bastion gegen Zweieinhalb-Minuten-Reißbrett-Pop." (Mathis Raabe)

Ein Swiftie wird aus mir in diesem Leben aber wohl nicht mehr werden, denke ich.

Sport. Stephan Klemm erinnert an die EM 1972, bei der Günter Netzer in Wembley, so Karl-Heinz Bohrer, "aus der Tiefe des Raumes kam". Und Peter Unfried räumt mit einigen diesbezüglichen Mythen auf. Man sollte das ein wenig runterkochen. Die westdeutsche Nationalmannschaft hatte damals in der Tat das Glück, mit Beckenbauer und Netzer zwei Ausnahmespieler zu haben, die ihre jeweiligen Positionen (Libero und hängende Sechs) quasi erfunden haben und die – das lässt sich mit Videoaufnahmen gut studieren – mit Ball am Fuß meist schneller waren als alle anderen ohne. Aber auch diese beiden wären aufgeschmissen gewesen ohne einen Sepp Maier im Tor oder einen Sigi Held, der alle drei Tore in gegen England vorbereitet hat.

Essen/Trinken/gut leben. Die Grillsaison naht wieder. Andrea Thode über den Nudelsalat. Der sei "spätestens mit dem Beginn der Nullerjahre aus der Mode gekommen, galt plötzlich als altmodisch, stillos gar, der Prolet am Grillbuffet." Zu unrecht, wie sie findet.

Michael Langoth von den Kochgenossen fragt sich: Ist Kochen Kunst?

Vincent Klink über ein Sternelokal an unerwartetem Ort.

"Nach wie vor nehme ich Reissaus, wenn unter »Fine Dining« firmiert wird. Das Wort »fein« hat für mich einen besonderen Mief." (Klink, a.a.O.)

Recht hat er!

Das Rezept. Gulasch, so schmieren es einem Kulinariknerds bei entsprechenden Gelegenheiten gern aufs Butterbrot, sei in Ungarn ein Eintopf, den sich Pusztahirten einst im Kessel über offenem Feuer zubereiteten, und hieße Guylás. Was wir hingegen als Gulasch bezeichneten, also eine Art Ragout mit Beilagen wie Knödeln oder Teigwaren (oder einer Semmel), gliche eher dem, was dort 'Pörkölt' hieße. Also schön. Stimmt ja. Daher heißt auch das, was in unseren Breiten Gulasch heißt, in Österreich, wo das aus ungarischen Ursprüngen einst entwickelt wurde, korrekterweise 'Rindsgulasch'. Aber wir wollen nicht pingelig sein.

Und wie geht das nun, so ein Pörkölt? Der Herr Graubaum hat ein Rezept für Sertes Pörkölt am Start, ungarisches Schweinegulasch. Frei übersetzt, versteht sich, weil 'Gulasch' ja eigentlich... Sie wissen schon. Mir scheint aber, wenn man das richtig authentisch hinbekommen will, kommt man mit Paprikapulver aus dem Supermarkt an der Ecke nicht weiter, sondern muss aus Ungarn. importieren.








3 Kommentare:

  1. Danke fürs Rezept, wird getestet. Dennoch sollte im Text oben in der dritten Zeile nach Das Rezept. besser „Gulyás“ stehen.

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  2. Zur Ergänzung und Einordnung sei diese Podcast-Episode zum Gulasch empfohlen:
    https://www.geschichte.fm/podcast/zs181/

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  3. Vor ca. 15 Jahren gab's in Berlin am Richard-Wagner-Platz für kurze Zeit mal ein ungarisches Restaurant. Bei denen hab ich mich mal nach Paprikapulver erkundigt. Die importierten selbstverständlich aus Ungarn, hatten in der Küche ca. 12 verschiedene Sorten am Start. und der Koch bezeichnete das als "Notausstattung". Das ist ein extrem weites Feld, das mit dem Paprikapulver...

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