Der Begriff 'bürgerlich' ist ja nicht völlig ohne Grund ein wenig belastet. Nicht nur, weil der große Wolfram Siebeck entweder sofort die Flucht oder die nächste Pumpgun ergriff, sobald irgendwo von 'bürgerlicher Küche', oder schlimmer, 'gutbürgerlicher Küche' die Rede war.
Bürgerlich, das kann im schlechten Sinne bedeuten: Kleingeistigkeit, Enge, Intoleranz, Bigotterie, Abschottung, Krämerseeligkeit, Missgunst, als Bescheidenheit ausgegebene Rapschigkeit. Andererseits kann das auch einen gewissen Lebensstil, ein bestimmtes, gar nicht mal unsympathisches Mindset bedeuten. Umgangsformen. Höflichkeit. Dezenz. Anstand. Eine gewisse Grundfreundlichkeit, Langmut und Großzügigkeit. Weltoffenheit, kultureller Horizont, Neugierde, Theater- und/oder Konzertvormiete, Büchereiausweis, Sinn für die schönen Dinge des Lebens. So in der Art. Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin in im weitestem Sinne klein- bis bildungsbürgerlichen Verhältnissen groß geworden und habe sowohl das eine als auch das andere erlebt.
Dass der syrische Diktator Assad gestürzt wurde und bei seinem Moskauer Kumpel und Partner in Crime um Asyl bitten musste, ist eine verdammt gute Nachricht. Ein blutiges Arschloch weniger auf der internationalen Bühne ist nichts weniger als ein Grund zur Freude. So sahen es auch viele hier lebende Menschen aus Syrien, die das am Wochenende fröhlich, friedlich und ausgelassen feierten. Hier in der Provinz sollen es 1.000 auf dem Rathausplatz gewesen sein, in Essen sogar 10.000. Und womit? Mit recht.
Da hätte das, was sich gemeinhin das 'bürgerliche Lager' nennt, eine Gelegenheit gehabt, Bürgerlichkeit im besten Sinne zu demonstrieren. Sich mit den Feiernden mitfreuen. Applaudieren. Einfach mal 48 Stunden nett sein. So hätte zum Beispiel die Union sich erfreut zeigen können darüber, dass ein mieser Diktator vertrieben wurde. Weil: Freiheit! Oder der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass neue Machthaber Stabilität und Menschenrechte zurückbringen. Anbieten, Syrien beim Neuanfang zu unterstützen, wenn gewünscht. Aber was ihnen als erstes einfiel, allen voran Maskenmann Spahn und Gummirücken Söder, war ein kaum verklausuliertes "Ausländer raus!"
Wer subsidiären Schutz genießt, und das tut die Mehrheit der hier lebenden Syrer:innen, verliert ihn in dem Moment, in dem der Grund dafür entfällt, das ist korrekt. Aber wem an so einem Tag der begründeten Freude, an dem übrigens absolut noch nicht klar ist, wie es in Syrien weitergeht, als erstes "ausweisen!" einfällt und dass aber jetzt bitteschön alle Syrer gefälligst sofort die Koffer zu packen hätten, offenbart damit ein Ausmaß an Herzenskälte und menschlicher Verkommenheit, die einen auch als einigermaßen erfahrenen, schwer zu überraschenden politischen Beobachter nur mehr sprachlos macht. Von der weitgehend empathiefreien Miesmenschenveranstaltung namens AfD erwartet man nichts anderes. Aber diese sauberen, sich, warum auch immer, 'christlich' schimpfenden Bonzen -- pfui Deibel!
"Alle, die jetzt anfangen, über Abschiebungen nach Syrien zu reden, sind einfach nur, und entschuldigen Sie die Wortwahl, das sind einfach nur verkommene Drecksäcke." (Jan van Aken)
Und ja, viele der hier lebenden Syrer:innen erhalten Transferleistungen. Und? Erstens verschwindet der Löwenanteil derselben nicht auf Nimmerwiedersehen in irgendwelchen Schwarzen Löchern, sondern wandert umgehend wieder in den hiesigen Wirtschaftskreislauf. Vor allem in die Taschen von Vermieter:innen, Einzelhändlern, Telekommunikationsfirmen u.a. (Es ist immer wieder faszinierend, wie wenig das selbsternannten Wirtschaftskompetenten bewusst zu sein scheint.) Und zweitens müssen alle syrischen Bürgergeldabgreifer:innen ziemlich lange stricken für den volkswirtschaftlichen Schaden, den allein Jens Spahn mit seinen Milliarden-Maskendeals angerichtet hat. Dass diese Marmelade die Kühnheit besitzt, sich irgendwie über Geldverschwendung zu empören, ist für sich genommen schon ein Skandal.
Überhaupt sollte man ja vorsichtig sein mit dem Syrerausweisen. Syrische Ärzt:innen halten inzwischen nennenswerte Teile des hiesigen Gesundheitssystems am Laufen. Gerade in kleinen Krankenhäusern in ländlichen Gegenden könnte das zu erheblichen Problemen führen, wie erste Krankenhausgesellschaften bereits verlauten lassen. Und nein, die syrischen Medici werden nicht mit schlechteren Gehältern abgespeist, denn es dürfte kaum ein Krankenhaus ohne Tarif und Betriebsrat geben. Klar werden in Deutschland genügend Ärzte ausgebildet, nur hat ein nicht geringer Anteil von denen keinen Bock auf hiesige Arbeitsbedingungen und Gehälter und wandert ab ins Ausland.
Ist sowieso immer lustig, das. Ich bin einmal einem in Persona begegnet, der offen für das rechte Remigrationsprojekt eintrat und sich an entsprechenden Phantasien berauschte (immerhin war der Typ wenigstens ehrlich). Einfach ein paar Millionen Kuffnucken raus und alles wird gut. Auf meine Frage, wann er sich zuletzt mit Verstand in einem deutschen Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung umgeschaut habe, und wie das gehen sollte mit ein paar Millionen weniger, bekam ich zur Antwort: "Man kann doch nicht immer nur alles mit Ausländern machen wollen!" Aha.
Bürgerlichkeit kann - neben einer gewissen Grundfreundlichkeit -übrigens auch Faschismus bedeuten, da unterscheidet sich der Kleinbürger, wenn erst einmal wildgeworden, nicht sonderlich von seinem besserbürgerlichen Pendant mit Sinn für die schönen Dinge des Lebens. Ich weiß nicht, ob Reinhard Heydrich ein Konzertabo hatte, aber er soll sehr schön Geige gespielt haben, und Heinrich Himmler hat immer mal wieder gern vom "anständig bleiben" geredet. Bourgeoise Mediokritäten wie die Herren Spahn und Söder lassen sich natürlich nicht annähernd mit den beiden Massenmördern gleichsetzen, abgesehen davon finde ich die Charakterisierung von Jan van Aken doch recht gelungen. Hoffentlich zeigt ihn keiner an.
AntwortenLöschenVon der weitgehend empathiefreien Miesmenschenveranstaltung namens AfD erwartet man nichts anders. Aber diese sauberen, sich, warum auch immer, 'christlich' schimpfenden Bonzen
AntwortenLöschenwahlkampf, babe, wahlKAMPF! scheints ich bin mittlerweile zynisch genug, daß, als ich las, assad habe syrien verlassen, mein erster gedanke war, ob die afd oder doch eher die cdu-schweineköppe am nächsten tag das fass der ausweisung öffentlich als erste anstechen.
Ich hatte auf die vereinten Christen getippt. Egal. Steck sie allesamt in einen Sack und hau mit dem Knüppel drauf, du triffst immer den Richtigen, hätte mein Vater gesagt.
LöschenIch hoffe wirklich, dass mit Assads Sturz für Syrien eine Periode des Friedens und Wohlstands heranbricht, aber allein mir fehlt der Glaube. Auch wenn der Chef der HTS den IS hat abblitzen lassen, bleibt trotzdem der Geschmack eines weiteren nahöstlichen Warlords. Währenddessen kochen die Türkei und Israel jeweils ihr ganz eigenes Süppchen, was die Vorstellung eines neuen Syriens angeht. Die Kurden, Alewiten und andere Minderheiten sind auch angespannt, was ihre Zukunft angeht. Nichts Genaues weiß man nicht. In diese "Stunde Null" Menschen zurückschicken zu wollen, ist an ethischer Armut kaum zu überbieten. Doch vom Masken-Spahn erwarte ich tatsächlich nichts anderes. So ist das halt.
AntwortenLöschenEs würde mich sehr wundern, wenn die Menschen in Syrien was Besseres kriegen sollten als einen noch längeren Bürgerkrieg plus Scharia.
LöschenPS. Vielleicht sollte man das türkische Süppchen nicht mit dem israelischen gleichsetzen. Zugegeben, bekömmlich werden beide nicht sein.
unsere kleinfirma besteht zur hälfte aus syrischen flüchtlingen, gut integriert, seit jahren arbeitend, die kinder schulisch durchaus erfolgreich. deutsche arbeitnehmer wollen nicht mehr gerne dienstleistungen erbringen, auch nicht gegen gute bezahlung(gartenbau). ist ebenso im krankenhaus oder altenheim, und wer putzt die firmen?
AntwortenLöschen§ 73 I 3 AsylG verlangt für den Widerruf eine "erhebliche und nicht nur vorübergehende Veränderung der Umstände, sodass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann".
AntwortenLöschenDazu wird nicht nur auf Ankündigungen einer neuen Regierung geblickt, sondern auch auf deren tatsächliche Umsetzung. Zum Beispiel, ob es unabhängige Gerichte gibt, ob freie Wahlen abgehalten werden, dass nicht mehr gefoltert wird, und so weiter.
Das dauert naturgemäß ein oder zwei Jahre.
Und selbst wenn dann mal die Flüchtlingsanerkennung widerrufen wird, werden viele im Einzelfall eine anderweitige Aufenthaltserlaubnis beantragen. Zum Beispiel aufgrund ihrer Arbeit. Oder weil sie mit einem/einer Deutschen verheiratet sind. Oder weil die Kinder schon die deutsche Staatsbürgerschaft haben.
So ist das eben im Leben. 1945 sind ja auch nicht alle, die vor den Nazis geflohen sind, sofort nach Deutschland zurückgekehrt.
Kommentar geklaut bei https://blog.todamax.net/2024/du-weisst-deine-partei-ist-zu-weit-nach-rechts-gedriftet-wenn/
Danke für die Information.
LöschenIch weiß jetzt nicht, sorry, ob Herr Rose auch ein Herz für länger hier lebende Ausländer (SpanierInnen oder ItalienerInnen) hat oder ob dies nur für Menschen aus Syrien und die UkrainerInnen gilt! Übrigens, wo lebt Herr Rose, dass er nicht mitbekommt, dass über Bürgergeld-BezieherInnen von der Union wahrscheinlich härter hergezogen wird, alles durch die böse AFD der Fall ist! Assad hatte ein Herz für ChristInnen, mal sehen,wann Flüchtlingswelle von ChristInnen aus Syrien hier ankommt!
LöschenIhnen ist bewusst, dass im obigen Artikel von CDU-Politikern die Rede ist? Eine weitere Diskussion mit Ihnen halte ich für sinnlos, da ich mir erlaube, die Fähigkeit zum sinnerfassenden Lesen vorauszusetzen. Vielen Dank.
LöschenDer Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
Löschennur noch eines: diesem Spahn gehört mit einem ganz spitzen Schuh kräftig in den Arsch getreten.....
AntwortenLöschenMit Verbalinjurien ist Vorsicht geboten, jüngst sind schon Häuser für weniger durchsucht worden. Und überhaupt sollte man auch ganz spitzen Schuhen nicht JEDES Gesäß zumuten.
LöschenSchade um den Schuh.
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