Eigentlich ist es eine durchaus gute Nachricht, wenn es hierzulande immer mehr Menschen gibt, die eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ablehnen. Weil immer mehr Menschen fragen: Für wen oder was würde ich da eigentlich kämpfen? Was bekomme ich dafür, dass ich im Ernstfall das größtmögliche Opfer bringe, nämlich mein Leben gäbe? Ein solches, eher nüchternes Denken zeugt grundsätzlich von gesellschaftlichem Fortschritt und von Demokratisierung.
Demokratien, erst recht kapitalistisch organisierte, haben traditionell Probleme mit der (zwangsweisen) Rekrutierung von Massenheeren. Weil deren Bürger ein eher geschäftsmäßiges Verhältnis zum Staat hegen und dazu neigen, Entscheidungen nach nüchterner Kosten-Nutzen-Rechnung zu treffen. Man schaue sich als Beispiele die USA und Großbritannien im 20 Jahrhundert an. Im ersten und im zweiten Weltkrieg mussten die dortigen Regierungen teils erheblichen propagandistischen Aufwand betreiben, um nennenswerte Zahlen an Soldaten zunächst als Freiwillige zu mobilisieren und dann eine Wehrpflicht durchzusetzen.
Vor allem in den USA war das ausgeprägt. Die Motivation der Wehrpflichtigen ließ sich nur aufrechterhalten über einen 'democratic bargain' genannten Deal: Okay, wir schicken euch in den Krieg und es gibt ein gewisses Risiko, dass ihr dabei draufgeht. Aber Uncle Sam tut alles, um das Risiko möglichst klein zu halten und sorgt außerdem dafür, dass ihr immer ordentlich verpflegt werdet. Nach dem Krieg gibt es ein großzügiges Handgeld und eventuell die Chance auf ein College-Stipendium. Zudem kehrten die Männer zurück in eine boomende Wirtschaft, die beste Aufstiegsperspektiven bot. So läuft das im Prinzip heute auch noch, nur dass die Wehrplicht ruht und man eine Berufsarmee hat. Die ihr Personal vor allem in jenen Teilen der Bevölkerung rekrutiert, die nur wenig Chancen auf höhere Bildung haben.
Im Falle Großbritanniens und der USA kommt noch etwas hinzu: Die Selbstwahrnehmung vor 1914, man werde schon nicht angegriffen und könne sich problemlos, Insellage sei Dank, aus allem so weit heraushalten. Anders in Kontinentaleuropa, wo man sich andauernd der Bedrohung gegenüber sah, dass von irgendwoher jemand militärisch angeschissen kam.
In Frankreich wiederum, das während der Revolution mit einigem Erfolg als erstes eine Wehrpflicht ('Levée en masse') einführte, lässt sich studieren, was viele der neuen Bürgersoldaten antrieb: Sie kämpften nicht mehr für irgendeinen König im fernen Versailles, sondern für die Nation, die ihnen durch abräumen der Privilegien des Adels den Zugang zu Märkten und immerhin die Aussicht auf einen gewissen Wohlstand eröffnete.
Man kann die Analyse noch weiter treiben, man könnte zum Beispiel über den deutschen Sonderweg des moralisch aufgeschäumten Pazifismus räsonnieren, aber es sollte klar geworden sein, dass es in demokratischen Marktwirtschaften nichts weniger als eine normale Sache ist, dass Armeen Probleme haben, genügend Leute zu finden. Das ist auch in Ländern wie Großbritannien und Frankreich so, das ist sogar in der Ukraine als unmittelbar angegriffenes Land so (trotz Strafen im Falle von Verweigerung). Und kann als ein Indikator für die Liberalität von Gesellschaften begriffen werden.
"So richtig überzeugend finde ich's nicht, dass Menschen in den Krieg ziehen sollen für ein Land, in dem ihnen gar nichts gehört. Mehr als die Hälfte der Menschen in diesem Staat [...] besitzt kein Vermögen -- wofür sollen die hochmotiviert im Gemetzel meucheln? Für ihren Vermieter? Drum sage ich: keine Verteidigungsbereitschaft ohne Verteilungsbereitschaft! Und knüpfe meinen Wehrwillen an die Vermögensteuer. Die möge reaktiviert und an die Militärausgaben gekoppelt werden: Geben wir etwa drei Prozent des BIP für Rüstung aus, soll auch die jährliche Vermögensteuer drei Prozent betragen. Ist doch echt nicht zu viel verlangt für mein Leben, oder? Wenn Sie das umsetzen, Herr Merz, stehe ich Gewehr bei Fuß." (Cornelius W.M. Oettle)
So ist es durchaus ein wenig verwunderlich, wenn eine Gesellschaft, die ihr Bildungswesen seit langem unterfinanziert, der jungen Generation die Strickleitern einzieht, ihr aber gleichzeitig zu verstehen gibt, sie habe gefälligst tüchtig zu rackern, auf dass unser Wohlstand erhalten bleibe (der aber grundsätzlich nur in eine Richtung wandert, nämlich nach oben) -- wenn eine Gesellschaft, in der nur mehr Betriebswirte das Sagen haben und in der es seit Jahrzehnten niemals um etwas anderes als Quid pro quo und Kosten-Nutzen-Rechnungen geht, sich ernsthaft wundert, wenn nicht gar sich empört, wenn junge Menschen eher nicht so begeistert sind, wenn man sie zwingen will, zur Waffe zu greifen und fragen: Was bietet ihr denn so?
Es hilft nichts, wer Wehrpflicht will (und ich halte etwas nach schwedischem Vorbild für sinnvoll), wird jungen Menschen überzeugend erklären müssen, wofür sie kämpfen sollen. In einer Gesellschaft zu leben, in der man frei seine Meinung sagen kann, ohne befürchten zu müssen, dafür ins Lager zu kommen, ist eine immense Errungenschaft. Aber das allein scheint nicht zu reichen. Das zahlt einem keine Miete, kein Essen und bietet noch keine Perspektive. Man wird also auch die Frage beantworten müssen, was für einen letztlich rausspringt dabei als junger Mensch.
Schön wäre es ja, wenn alle Bundestagsabgeordneten mit gutem Beispiel vorangehen würden und ein Jahr Wehrdienst leisten.
AntwortenLöschenKleiner Spaß.
Also bitte, die Zustände bei der Bundeswehr sind nun wirklich schon schlimm genug.
LöschenWieso denn Spaß? Das ist doch eine ganz grandiose Idee! Die Sache ließe sich zudem prächtig vermarkten, z.B. mit einem begleitenden dokumentarischen TV-Doku-Format, Arbeitstitel "Der Schützengraben der Promis - unsere MdB am Limit" (RTL II) oder auch schlicht "Wir. Dienen. Deutschland." (ZDFinfo).
LöschenIch freu mich schon auf die Bilder von Hofreiter, Strack-Zimmermann und Co, wie sie mit Stahlhelm, Marschgepäck und Gasmaske auf allen Vieren über die Sturmbahn kriechen. Vorbilder sind auch und gerade in einer so lebendigen Demokratie wie der unseren ungeheuer wichtig!
"Geben wir etwa drei Prozent des BIP für Rüstung aus, soll auch die jährliche Vermögensteuer drei Prozent betragen"
AntwortenLöschen... das hört sich sehr vernünftig an.
Gruß, Jens