Bundeskanzler a.D. Helmut Kohl ist
bekanntlich über alle Maßen stolz auf seinen Doktortitel. "Für Sie bin ich der Herr Doktor Kohl!", pflegte er in bräsigem
Pfälzisch zu blaffen, wenn es galt, sich bei unbotmäßigen
Pressbengels Respekt zu verschaffen. Er erinnerte dabei an eine späte Kopie von
Heinrich Manns Diederich Heßling, der das auch gern tat. Dass sich
im Übrigen hartnäckig das Gerücht hält, Umfang und
wissenschaftliche Bedeutung von Kohls Doktorarbeit - dass sie unter Verschluss gehalten wird, ist wirklich ein Gerücht - verhielten sich
antiproportional zu der Bedeutung, die er selbst der Sache zugemessen
hat, verleiht der Sache eine zusätzliche pikante Note.
Hochfahrendes Getröte wie das des
raumgreifenden Oggersheimers ist von Frau Schavan nicht bekannt. Über
ihre Amtsführung als Ministerin weiß ich nicht viel zu sagen, aber
sie ist bislang nicht als geltungssüchtig oder sonderlich eitel
aufgefallen. Erst recht nicht, was ihren Doktorgrad angeht. Im
Gegensatz zu gewissen anderen ehemaligen oder Immer-noch-Titelträgern
hat man bei ihr das Gefühl, dass ein eventueller Verlust des
Titels sie vielleicht ärgern, aber nicht in eine schwere
Lebenskrise stürzen würde. Sollte das so sein, dann wäre das
sympathisch, denn das Getue, das zuweilen um zwei Buchstaben und
einen Punkt vor dem Nachnamen immer noch veranstaltet wird, ist nicht nur
komplett sinnlos, sondern nervt auch gewaltig.
Ein Zufall hat mich als Kind eines
Angestelltenhaushalts seinerzeit an ein Gymnasium verschlagen, auf
das auch viele Akademiker der Gegend ihren Nachwuchs schickten. Meine
Eltern haben mir damals strengstens eingeschärft, auf keinen Fall zu
vergessen, zum Vater meines damals besten Freundes "Herr Doktor" zu
sagen, wenn ich dort zu Besuch war. Als Zehnjähriger hatte ich das
Gefühl, einen Doktor aus Versehen nicht so zu nennen, sei ein
ähnlich schwerwiegendes Vergehen wie die Schändung einer Kirche oder während einer Beerdigung einen fahren zu lassen.
Apropos Kirche: Während meines Zivildienstes in einem katholischen
Krankenhaus veranstalteten vor allem die dort tätigen
Ordensschwestern bei der Chefarztvisite immer einen Zinnober um den "Herrn Professor", als würde mindestens der Papst aufkreuzen. Es
war vermutlich den Hygienevorschriften geschuldet, dass sie den
Weihrauch im Schrank ließen.
Nicht wissenschaftlicher Ehrgeiz,
sondern genau dieser ehrfürchtige Blick von außen auf die
akademische Welt ist es, der nicht wenige motivieren dürfte, ihren
Doktor zu machen. Meine Erfahrung ist, dass diejenigen, die es sich
noch am ehesten leisten könnten, kaum irgendeinen Bohei darum
machen. Zu meinen Studienzeiten hat kein einziger Dozent und keine
einzige Dozentin, egal ob promoviert, habilitiert oder was auch
immer, jemals ernsthaft Wert darauf gelegt, mit Titel angesprochen zu
werden. Ganz im Gegensatz zu vielen, die ihren Doktor außerhalb der
akademischen Sphäre Gassi führen: Vor Jahren habe ich kurze Zeit
für eine Firma gearbeitet, deren Inhaberin einen Doktor und es auch
sonst schwer nötig hatte. Wer es versäumte, sie entsprechend
anzureden, musste mit ernsten Konsequenzen rechnen. Zum Glück war
ich damals freiberuflich für den Laden tätig und es ergab sich bald etwas anderes, sodass ich meine Mitarbeit dort schnell beenden konnte.
Entgegen einem immer noch weit
verbreiteten Irrtum ist ein Doktortitel, wie alle anderen
akademischen Grade, kein Bestandteil des Namens und niemand
hat irgendein Recht darauf, so angeredet zu werden. Den Titel einfach
wegzulassen, ist daher allenfalls unhöflich, weiter nichts. Wäre
das nicht so, dann könnte ich mit demselben Recht darauf bestehen,
gefälligst mit "Herr Magister" angesprochen zu werden. Oder meine
Kollegin aus dem Büro nebenan mit "Frau Diplom-Sozialarbeiterin". Bei
den neuen Bologna-Graden wäre das bestimmt lustig, denn "Frau Master"
oder "Herr Bachelor" kommen einem doch recht schwer über die Lippen.
Zudem dürfte gerade der Bachelor seit dem Aufkommen gewisser
Fernsehformate und deren Protagonisten nichts sein, mit dem man sich
gern schmückt.
Was sagt ein Doktortitel aus?
Eigentlich nichts weiter, als dass die betreffende Person ein gutes Examen gemacht
und danach ein paar Jahre ihres Lebens damit verbracht hat, sich mehr
oder weniger intensiv mit einer wissenschaftlichen Problemstellung zu
befassen. Das kann, je nach Universität, Fach, Fakultät und
Vernetzung mehr oder weniger aufwändig sein. Es gibt
Doktortitel, die hart und ehrlich erarbeitet sind und es gibt welche,
die woanders als Diplom-, Magister- oder Masterarbeit durchfallen
würden wegen Leistungsverweigerung, wenn sie nicht gleich
abgeschrieben sind. Auch die Motivation, einen Doktor zu machen, kann
unterschiedlich sein. Für die einen ist es eine Frage des
persönlichen Ehrgeizes, andere sehen den Titel als reinen
Karrierebonus und wieder andere schrecken davor zurück, sich den Fährnissen des
Arbeitsmarktes auszusetzen und hängen lieber noch ein paar Jahre Uni
dran. Genau so verschieden können die Umstände sein, unter denen
eine Doktorarbeit entsteht. Es gibt Doktoranden, für die diese Zeit
eine echte Tortur ist, weil sie sich mit befristeten, miserabel
bezahlten Assistentenstellen irgendwie durchschlagen müssen. Und es
gibt privilegierten, mit großzügigen elterlichen Zuwendungen
ausgestatteten Nachwuchs, der die Sache eher lässig angehen kann.
Und wenn's nicht so laufen sollte, kann immer noch der Alte mit den
richtigen Leuten telefonieren. Mit Chancengleichheit oder Leistung
hat das alles im Zweifel wenig zu tun.
Erst recht sagt ein Doktortitel nichts
aus über die Eignung für die meisten Berufe. Mein Zahnarzt zum
Beispiel hat keinen. Er meinte einmal, für einige ältere Patienten sei
das manchmal ein Problem, weil ein Arzt für sie nun einmal der Herr
Doktor sein müsse. Er habe einfach keinen Bock mehr auf Uni
gehabt und reise außerdem gern. Das koste aber Geld, das er als
Doktorand nicht gehabt hätte. Außerdem sei bei vielen medizinischen
Doktorarbeiten in wissenschaftlicher Hinsicht das Papier, auf dem sie
gedruckt seien, deutlich wertvoller als der Inhalt. Was Zahnmedizin
angeht, bin ich zwar kompletter Laie, kann also nicht beurteilen, wie
gut der Mann seinen Job wirklich macht, aber die Haltung gefällt
mir.
Was also ist ein Titel noch wert, der
auf so viele unterschiedliche Arten und unter so vielen verschiedenen
Umständen erworben werden kann, unter anderem nach Feierabend neben
einer Tätigkeit als Abgeordneter? Richtig, gar nichts. Und sollte
doch was davon übrig sein, dann haben das die Guttenbergs,
Koch-Mehrins, Chatzimakis' und Saßs inzwischen gründlich der
Lächerlichkeit preisgegeben.
Einen einmal erworbenen akademischen
Grad lebenslang zu führen und daraus irgendeine Bedeutung in Bezug
auf die eigene Person abzuleiten, ist ein Relikt aus vergangenen
Zeiten und im wesentlichen ein Phänomen des deutschen Sprachraums.
August von Kotzebue hat sich schon 1802 in seiner Komödie Die deutschen Kleinstädter über die Titelhuberei des aufstrebenden
Bürgertums lustig gemacht. Bis auf wenige Nischen ist das heute
weitgehend passé. Kaum jemand kommt noch auf die Idee, einen
Feuerwehrmann mit "Herr Oberbrandmeister" anzureden oder eine
angehende Anwältin mit "Frau Rechtsreferendarin". Die Welt ist
deswegen nicht ins Chaos gefallen und keinem ein Zacken aus der
Krone. Im Gegenteil: An der Uni erwiesen sich Kommilitonen, die sich
als erstes Visitenkarten drucken
ließen, um sich fürderhin als stud. bzw. cand. irgendwas dicke zu tun,
fast immer als arge Peinsäcke und lösten eher Heiterkeit oder
Mitleid aus.
Also weg mit dem Doktor? Das ist nicht
nötig, denn man kann ihn weiterhin gut als Berufsbezeichnung
verwenden. In anderen Ländern ist ein Doktor- oder Professorentitel
in der Regel an eine Tätigkeit in der Forschung gekoppelt und spielt
ansonsten im alltäglichen Leben keine Rolle. Auch bei uns klappt das
anderswo problemlos. Es ist völlig normal, beispielsweise einen
gewählten Bürgermeister für die Dauer seiner Amtszeit mit "Herr Bürgermeister" anzusprechen und danach nicht mehr. Damit ist dem Protokoll
Genüge getan und gut. Mehr muss nicht sein im 21. Jahrhundert.
Völlig lächerlich finde ich es auch, die Ehefrau eines Promovierten mit "Frau Doktor" anzureden. Aber glücklicherweise ist dieser Brauch mittlerweile so gut wie ausgestorben.
AntwortenLöschenNeinneinneinneinnein, ein Doktortitel ist schon ganz was anderes als ein schnöder Bildungsabschluß - er ist was für's Leben! Schließlich kann ein Doktorgrad auch wegen "Unwürdigkeit" nachträglich wieder entzogen werden, selbst wenn mit der Arbeit alles in Ordnung ist. Kann man ein Abi oder ein Sozialpädagogikdiplom wieder aberkennnen, weil der Träger sich eines Abiturienten oder Sozialpädagogen unwürdig verhalten hat?
AntwortenLöschenDa bleibt noch viel mehr Muff auszulüften...