"Seine Thesen sind nur ein Mix aus Statistik und Vorurteilen" (Nils Minkmar, FAZ, 21.5.2012)
Zu Sarrazin fällt mir nichts ein. Der Mann hat seine Fangemeinde und er wird sie auch dieses Mal bestens bedienen. Bei seinen brüllvollen Lesungen wird es wieder zugehen wie in der Schalker Nordkurve. Auf den Kern heruntergebrochen, leiert der Ex-Bundesbanker eigentlich immer nur die gleichen zwei Thesen herunter: 1. Früher war alles besser, 2. Es steht schlimm um Deutschland. Dabei sind seine Thesen in all ihrer Schlichtheit gar nicht so sehr das Problem, sondern das Getöse, das seine Anhänger veranstalten. Einen Vorteil hat die ganze Sache diesmal: Das, was uns in nächster Zeit ins Haus steht, kommt nicht mehr überraschend.
Allen, die es wagen, gegen die Weisheit des heiligen Thilo Widerspruch zu erheben, werden seine Fans wieder kollektiv Leseschwäche und Ignoranz unterstellen. Wenn die linkslinken Deppen und Gutmenschen das Buch denn nur mal ganz genau, Wort für Wort und Buchstabe für Buchstabe aufsaugen würden – dann, ja dann wird ihnen auch die Erleuchtung zuteil werden, die sie in ihrer Verblendung bislang nicht haben erlangen können. Denn das Recht, überhaupt mitreden zu dürfen, hat nur, wer das Buch von hinten nach vorn und zurück durchgearbeitet hat. (Nebenbei: Ist die Schwarte eigentlich dermaßen schlecht geschrieben, dass man so eine Exegese darum betreiben muss, nur um ihre Kernaussagen zu erfassen?) Als Erleuchtete, die sich von jeglicher Pflicht zur Argumentation befreit fühlen, werden sie wieder die Foren und Kommentarsektionen vollmachen mit ihrem triumphalistischen verbalen Fußaufstampfen. Von anderen endlose Selbstkritik und Toleranz für Andersdenkende einfordernd, zu der sie selbst sich keineswegs verpflichtet fühlen, werden sie ein ums andere mal tippen: Sarrazin hat recht!!! Seht es ein! Gebt es doch zu! Wer was anderes sagt, ist ein Ignorant! Fertig, aus, Punkt!!! Diskussion geht anders.
Und von den Sprech- und Denkverboten der Politisch Korrekten werden sie wieder bramabasieren. Wie er missverstanden wird, seine Gedanken böswillig entstellt und aus dem Zusammenhang gerissen! Dabei hat der Mann in einer Woche mehr an Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bekommen als andere Autoren im ganzen Leben (Sonntag eine Stunde Jauch in der ARD, gestern 45 Min. Voß auf 3Sat). Wie viel Bühne, wie viel Öffentlichkeit soll Sarrazin denn noch bekommen, um sein Geschwalle ungestört unters Volk bringen zu können, damit diese Leute mal zufrieden sind? Täglich zwei Stunden Gratis-Sendezeit auf allen Kanälen vielleicht? Wo er dann, unbehelligt von lästigen Diskussionspartnern und Moderatoren, den dummen linken Naivlingen endlich mal in Ruhe und unwidersprochen sein Weltbild erklären kann, bis die ihm endlich die Zehen lutschen? Oder wäre das immer noch zu wenig? Denn er wird ja mundtot gemacht, der arme Kerl, politisch verfolgt wird er! Klar doch. Wenn so im Deutschland des 21. Jahrhunderts die Existenz eines mundtot gemachten politisch Verfolgten aussieht, dann würde ich liebend gern tauschen mit ihm.
Dabei halte ich Sarrazin gar nicht für einen Rechtsradikalen. Er ist nur ein höchst geschäftstüchtiger, eitler Schwätzer, dessen asoziales Gefasel mit Sozialdemokratie im eigentlichen Sinne nur noch die Tatsache verbindet, dass da auch der Wortfetzen 'sozial' drin vorkommt. Der Mann hat einen Weg gefunden, seine als Sorge ums Vaterland verpackte Provokationsmasche Marke 'Endlich sagt's mal einer!' in Millionenumsätze zu verwandeln. Er grast eine Zielgruppe ab die in anderen Ländern von den Le Pens, Wilders, Orbans bedient wird und früher auch von den Haiders bedient wurde. Er gibt jenen, um ihren Lebensstandard bangenden ordentlich Zucker, die das Pflegen von Ressentiments verwechseln mit einer Meinung haben und recht haben müssen mit Diskutieren, weiter nichts. Wenn er auch nur halb so intelligent ist, wie er zu sein vorgibt, dann müsste er sich wahrscheinlich jedes mal schlapp lachen, wenn er Kontoauszüge holen geht.
Erfreulich zumindestens, dass dieses; "Was ist dran an .... Thesen?" nicht wieder durch alle Medien geistert. Aber als Aufhänger, taugt er nach wie vor. Wenn das nicht mehr stattfindet, dann wird er wahrscheinlich versuchen noch aus dem medialen Märtyrertod ein paar Euros zu machen.
AntwortenLöschenFehlt eigentlich nur "Man wird ja wohl noch sagen dürfen..." Aber das werden die Jünger des Herrn Sarrazin dann sicher noch ausgiebig nachreichen.
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