Dienstag, 14. August 2012

Quält euch!


Die Kulturpessimisten blicken mal wieder voll durch: Die geringer als erwartet ausgefallene deutsche Medaillenausbeute bei den am Sonntag zu Ende gegangenen Olympischen Spielen sei darauf zurückzuführen, dass wir Deutschen nicht mehr bereit seien, uns zu quälen, es fehle uns am letzten Quentchen Siegeswillen. Silber dürfe nicht das neue Gold sein. Und weil Sport der Spiegel der Gesellschaft sei, stehe es schlimm um Deutschland. So entfuhr es Michael Backhaus in der BamS in schöner Verleugnung dessen, was den Olympischen Geist irgendwann einmal ausgemacht hat.

Solch hanebüchenes imperialistisches Getröte geben besonders gern Leute von sich, die sich schon zum Mitredenkönnen legitimiert fühlen, weil sie gelegentliches Gejogge und einarmiges Stemmen von Bordeauxgläsern mit Sportlichsein verwechseln. Aber stopp! Backhaus' zentrale These, Sport sei ein Spiegel der gesamten Gesellschaft, ist zwar wolkig, aber nicht ganz falsch. Nur ist sie nicht in dem Sinne nicht falsch, wie Backhaus meint. Sportliche Erfolge sind zum Teil sicher abhängig vom Willen der Athleten, aber eben auch und vor allem von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.

Wenn man sich also schon die Grundannahme zu eigen machen will, Spitzensport sei lebenswichtig und möglichst viele Medaillen bei Olympia etwas per se Erstrebenswertes, dann sollte man daher erst einmal über ein paar andere Dinge reden, anstatt mal wieder einer ganzen Generation kollektives Schlaffitum vorzuwerfen

Reden wir doch einmal davon, ...
  • … dass Ganztagsschulen und G8-Gymnasien Jugendlichen heute deutlich weniger Raum lassen, ihre sportlichen Ambitionen zu leben als die klassische Halbtagsschule und das entschleunigte neunjährige Gymnasium,
  • … dass studierende Spitzensportler wegen straff organisierter Bologna-Studiengänge es erheblich schwerer haben, Training, Wettkämpfe und Studium zu vereinbaren, 
  • … dass es schwierig ist, Kinder und Jugendliche für Sport zu begeistern, wenn an Schulen Sportstunden wegfallen,
  • … dass in vielen Sportarten die Eltern sportelnder Jugendlicher sowohl finanziell als auch im Hinblick auf die erforderliche Zeit bereit und in der Lage sein müssen, das sportliche Engagement ihrer Sprösslinge zu unterstützen und dass Kinder aus so genannten sozial schwachen Familien dadurch qua Herkunft von vielen Sportarten ausgeschlossen sind,
  • … dass man nicht über die Vorstellung zum Beispiel des dsv jammern kann, ohne zu erwähnen, dass zahlreiche Kommunen Schwimmbäder schließen müssen,
  • … dass die besten Trainer auch optimale Bedingungen und anständige Arbeitsverträge erwarten und sich eher nicht mit befristeten Verträgen abspeisen lassen,
  • … dass das bewunderte Vorbild Großbritannien seine erheblichen finanziellen Aufwändungen für den Spitzensport fast ausschließlich auf Sommersportarten konzentriert, weil Wintersport auf den Inseln so gut wie keine Rolle spielt,
  • … dass die meisten Sportarten auf Spitzenniveau kaum noch neben Beruf, Ausbildung oder Studium betrieben werden können
  • … dass immer mehr Länder ihre Sportförderung dergestalt professionalisiert haben, dass es dort nicht vorkommt, dass Athleten, die bei den Olympischen Spielen antreten, sehen müssen, wie sie Arbeit bzw. Ausbildung und Training unter einen Hut bekommen und...
  • … dass einfach die Konkurrenz größer geworden ist, weil immer mehr Länder, die sich voll auf einzelne Sportarten konzentrieren, an den Spielen teilnehmen. 

Und nicht zuletzt: Welche Perspektiven bieten sich Medaillengewinnern nach ihrer sportlichen Karriere? Denn in vielen Sportarten winken mitnichten Ruhm und Reichtum. Den Staatssportlern sind Beamtenlaufbahnen bei Bundeswehr oder Bundespolizei sicher, das ist klar. Einige kommen auch als Trainer unter oder werden Medienexperten, wie jüngst die ehemalige Schwimmern Franziska van Almsick. Aber was ist mit denen, die nach ihren fünfzehn Minuten Ruhm und dem Auftritt bei Günter Jauch solche Perspektiven nicht haben? Kann man es denen wirklich verdenken, wenn die sich zuweilen fragen, warum sie sich die Schinderei Tag für Tag antun?

Wenn man es schon wichtig findet, wie viele Medaillen Deutschland einheimst und es für eine Katastrophe hält, dass es in London so wenige waren, dann gibt es, wie gesagt, in der Tat vieles, über das man reden kann. Sich aber wie Backhaus hinzustellen und den Medaillenspiegel zu missbrauchen, um den Deutschen die alte Gebetsmühle vorzuleiern, sie seien einfach zu weichlich für diese Welt, ist reine Propaganda.

Übrigens scheinen die Athleten, die verpasste Siege und Medaillen ganz entspannt kommentiert haben, Silber sei jetzt das neue Gold und das sei eben das gewesen, was an diesem Tag möglich gewesen sei, voll auf der Höhe der Zeit zu sein. Sie scheinen längst begriffen zu haben, dass immerschnellerhöherweiter und immer der Beste sein müsssen um jeden Preis auf Dauer nur krank macht und man sich auch mal locker machen muss. Damit haben sie vielen hierzulande einiges voraus.


4 Kommentare:

  1. Schöner Artikel.
    Das ist der Witz bei der Geschichte. Sportler haben mittlerweile annähernd das gleiche Problem wie der Rest der Kulturlandschaft. Sie quälen sich nebenbei dazu. Und bekommen das sogar noch vorgeworfen. Und dies ist nur die praktische Seite. Sport ist zum puren Gewinnen als Statussymbol für andere verkommen. Und oben drüber, hampeln die Bewerter dessen, wofür sie selber niemals fähig wären. Dieses mediale und politische Medallien- WM- und EM-Getöse, ist so was von armselig und geistig erbärmlich.

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  2. Übrigens scheinen die Athleten[...] längst begriffen zu haben, dass immerschnellerhöherweiter und immer der Beste sein müsssen um jeden Preis auf Dauer nur krank macht und man sich auch mal entspannen muss.

    Irgendwann dürfte auch das ausgereizt sein, was der menschliche Körper so hergibt. Irgendwann geht es nicht mehr schneller, weiter oder höher. Höchstens ein Ausnahmetalent (wie Usain Bolt eines genannt wird) hat dann überhaupt noch eine Chance, ungedopt einen Rekord zu holen. Vielleicht sollten wir schonmal anfangen, weltrekordfähige Ausnahmetalente zu züchten. Legalisiert die Gentechnik in Deutschland, damit wir(TM) wieder ordentlich Weltrekorde hinkriegen!

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  3. Ansonsten wirkt es auf mich manchmal so, als betrieben gerade Höchstsleistungssportler ihren Sport als eine Art Selbstzweck.

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  4. Der ganze Arbeits-und Karrierewahn bleibt nicht folgenlos , auch nicht im Sport.

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