Dienstag, 16. April 2013

Wiederkehr der Spargeltarzane


Man sagt, das Auto sei der Deutschen liebstes Kind. Das mag sein, stimmt aber, wenn überhaupt, nur zum Teil. Zumindest ein paar Monate im Jahr ist der Deutschen liebstes Kind ein saisonal angebautes Liliengewächs. Bis zum Johannistag ist das Land verrückt nach Spargel. Nur nach dem milden Weißen, versteht sich. Mit dem ungleich interessanter schmeckenden und vielseitigeren Grünen kann man hierzulande eher wenig anfangen. Und so pilgern jetzt wieder Freunde des müffelnden Urins und andere Spargeltarzane in Kohortenstärke auf Wochenmärkte und in Hofläden, wobei sie glasig umwölkten Auges ekstatisch stammeln: „Frischer Spargel! Endlich!“ Ich weiß, wovon ich rede, denn hier ganz in der Nähe ist ein Anbaugebiet. Apropos liebstes Kind: Existiert eigentlich irgendwo eine Statistik, die belegt, dass die Zahl der Autozulassungen während der Spargelsaison merklich zurückgeht? Wundern würde es mich nicht. Die Tatsache, dass die Anbaufläche sich binnen zehn Jahren fast verdoppelt hat, spricht jedenfalls dafür.

Dass ich das Tamtam um das angeblich königliche Gemüse absolut nicht nachvollziehen kann, mag an meiner Spargelbiographie liegen: Weil mir als Kind nach einem Spargelessen einmal furchtbar schlecht geworden ist, verweigerte ich mich bis in meine späten Zwanziger völlig. Fairerweise muss ich sagen, dass ich nicht weiß, ob wirklich der Spargel der Übeltäter war oder ob ich mir an dem Tag zufällig etwas eingefangen hatte. Ehrlich gesagt, war mein Streik am Ende mehr rebellische Attitüde, doch in den ersten Jahren kroch in mir schon ein Würgereiz hoch, wenn ich nur daran dachte, das Zeug essen zu müssen. Das hat sich inzwischen gelegt und ist einer indifferenten Haltung gewichen. Setzt man mir eine Portion der gelblichweißen Glipschstangen vor, dann putze ich sie brav weg, gar nicht mal ungern, aber etwas Besonderes vermag ich darin nicht zu sehen. Eine Menge andere Gemüse finde ich weit interessanter: Für glacierte Möhren, eine Ratatouille oder ein indisches Gemüsecurry lasse ich sofort jedes Spargelgericht links liegen.

Zudem der massenhafte Spargelanbau sowohl in ökonomischer als auch in ökologischer Hinsicht kompletter Wahnsinn ist. Um keine andere, in unseren Breiten wachsende Nahrungspflanze muss so ein Aufwand getrieben werden und keine andere, von Blattsalaten vielleicht abgesehen, liefert so wenig Nährstoffe pro Hektar. Ein Spargelfeld kann allein für Spargel genutzt werden, liefert erst im dritten Jahr erste Erträge und die kurze Ernteperiode muss dem reinen Spargelbauern im Prinzip den kompletten Jahresumsatz liefern. Deswegen werden die Felder oft noch künstlich beheizt. Weil darüber hinaus die Ernte immer noch äußerst arbeitsintensiv und kaum automatisierbar ist, sind die ohnehin schon saftigen Preise nur durch die harte körperliche Arbeit zahlloser, meist osteuropäischer Saisonkräfte halbwegs im erträglichen Bereich zu halten. Weil Spargel außer ein paar Mineralstoffen vor allem Wasser enthält, gilt er - wichtig in diesen Zeiten - auch als Schlankmacher. Weil das so ist, würde außer Models und anderen Hungerkünstlern von Spargel allein kaum jemand satt werden, und so pflegt man ihn gern mit mächtiger Sauce Hollandaise zu servieren.

Sicher ist es reine Geschmackssache, Spargel etwas ganz was Feines zu finden. Im Sinne der Esskultur ist es ja eigentlich schön, dass die, die ihm Jahr um Jahr aufs Neue huldigen, sich meist um absolute Frische und um Topqualität bemühen, gern auch mehr Kohle für ein Gemüse hinblättern als für das eventuell dazu gereichte Fleisch. Eines will mir dann aber par tout nicht in den Kopf: Warum wird diesem Gipfel der Genüsse von seinen Liebhabern so oft solche Gewalt angetan? Warum wird er meist in aus Tetrapaks gekratzten oder aus Pülverchen angerührten, großchemisch hergestellten Fertigpampen ersäuft, die mit einer echten Hollandaise gerade mal den Namen gemein haben, die vermutlich im Dunkeln leuchten und die allenfalls zum Fugen abdichten im Bad taugen?

Selbst wer sich die eigenhändige Zubereitung einer Hollandaise absolut nicht zutraut oder wem sie zu gehaltvoll ist, kann notfalls immer noch aus einer hellen Mehlschwitze, etwas von dem Spargelkochwasser, einem Schuss Sahne, einer Prise Muskat und etwas Zitronenabrieb ein feines Sößchen bereiten. Das ist wirklich keine Kunst und schmeckt immer noch um Längen besser als jedes Fertigprodukt. Wer damit immer noch überfordert ist ode einfach zu faul, sei bitte wenigstens so konsequent und schütte seine abgepackte Horrorsauce passenderweise über Spargel aus dem Glas.

6 Kommentare:

  1. Ich muss gestehen, ich habe Spargel schon als Kind gemocht. Vom Geschmack jedenfalls. In unangenehmer Erinnerung sind mir nur die gebetsmühlenhaft wiederholten Beteuerungen diverser, Spargel für unverzichtbar haltender Erwachener, das Zeug sei ja ganz zart und ganz bestimmt kein bisschen faserig.

    Diese Beteuerungen haben sich - wie ich jeweils schon vorher geargwöhnt hatte - in der Regel als unzutreffend herausgestellt. Und es gibt wenig ekligeres, als einen dicken Ballen von zähem Faserzeugs im Mund zu haben und aus Benimmgründen nicht ausspucken zu dürfen. (Das funktioniert übrigens bei "natürlich ganz zartem" Fleisch auch sehr gut!)

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  2. @gnaddrig
    .... es gibt wenig ekligeres, als einen dicken Ballen von zähem Faserzeugs im Mund zu haben und aus Benimmgründen nicht ausspucken zu dürfen.

    Kann ich schwer nachvollziehen. Das ist, wie rohes Mehl essen. Brrrr.

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  3. @ebc: Genau, und der Klumpen wird immer größer, je länger man ihn im Mund hat. Blärgs. Kein Wunder, dass man beim nächsten Mal vorsichtig ist, ob man das Zeug überhaupt anrührt.

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    1. Auf Holzwolle rumkauen trifft es auch recht gut. Ich meine mich zu erinnern, mein traumatisches Erlebnis rührte auch daher, dass das Zeugs ziemlich holzig war...
      Nu ja, jedem das Seine, aber den Wahnsinnshype um ein unnahrhaftes, irgendwie milde schmeckendes Jemüse halte ich für ziemlich plemplem.

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    2. Kann ich nachvollziehen. Nahrhaft wäre mir noch egal, wenn's nur schmeckt. Schmecken tut's durchaus, aber halt eher nicht so brachial wie Sauerkraut oder geräucherter Schinkenspeck, und das hat schon seinen Reiz. Aber ganz so viel Trara muss man um das Zeug wirklich nicht machen. Zumal der grüne Spargel tatsächlich interessanter schmeckt.

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  4. Bringen wir es doch auf den Punkt: Das Zeug schmeckt eher langweilig, und wer sich eine aphrodisierende Wirkung davon verspricht, muss es wohl zentnerweise essen. Grüner Spargel oder Schwarzwurzel sind da schon interessanter (in Bezug auf den Geschmack).

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