Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Freitag, 16. August 2013
Ohrenpein beim Reitverein
Die Betreiber des nahe gelegenen Reiterhofs mit angeschlossener Gastronomie verstehen ihr Handwerk. Im schön gelegenen Biergarten lässt sich gutes Gebräu zu unschlagbaren Preisen genießen, auf Bestellung wird einem etwas Gutes auf den Grill gelegt, das nicht aus dem Großmarkt kommt, sondern von einem Metzger und ebenfalls zum schwer schlagbaren Preis verkauft. Im Hintergrund hält vornehmlich weibliches Jungvolk die Zossen auf Trab. Wenn der Wind günstig steht, bemerkt man auch den Geruch der hundert Meter entfernten Kläranlage kaum. Was soll's, die Emscher will schließlich gereinigt werden. H. ist nach einem mehr als ein Jahr währenden Dating-Marathon wieder in einer Beziehung angekommen und kennt kaum ein anderes Thema als seine neue Flamme. Man ordert noch ein Weißbier und lässt den lieben Gott einen jolly old fellow sein. Idyllen wie diese machen langmütig. Doch auch das hat Grenzen.
Aus den Boxen hinter der Getränketheke war ein Zusammenschnitt nicht hitparadentauglicher Musik aus den Achtzigern zu vernehmen. Plötzlich geschah es. Wüstes, doch dicksoßiges Klaviergeklimper hub an. Dann setzte eine belfernde Jallerstimme ein, die mit eiserner Akkuratesse jeden Vokal zu Tode walzte, dessen sie habhaft wurde. Die Finger krallten krampfig sich ums Glas. Trotzdem, irgendwie brachte diese Attacke auf die Hörnerven eine Saite in mir zum klingen, denn, Schrecken aller Schrecken, sie kam mir bekannt vor. Ganz hinten in meiner bescheidenen Plattensammlung, gut versteckt, befinden sich drei Langspielplatten des Urhebers. Zu erdulden war Heinz Rudolf Kunze mit seinem Frühwerk 'Der schwere Mut'.
Als die litaneiisch gehechelte erste Strophe überstanden war, schwang die Stimme sich auf zum Refrain aller Refrains: "Ich denke also bin ich also gut / Mein Lebensmittel ist der schwere Mut." Hatta aba fein gedrechselt, die Worte! Ich fragte mich, ob die Gläser, die man hier verwendete, aus Panzerglas waren, denn normalerweise hätte handelsübliche Ware längst kapitulieren müssen. Was hatte ich an Gangsta-Rap und Rummsbummstechno eigentlich immer zu meckern gehabt, wenn solche Ballermannmucke für Leute, die sich gebildet vorkommen, in der Welt ist?
Es gibt Musik, die auf der Stelle Bilder im Kopf entstehen lässt. Hebt ein Tom Jones die Stimme oder ein Roland Kaiser, sieht man einen öligen Busengrapscher vor dem geistigen Auge. Bei Peter Maffay eine Schüssel Kartoffelknödel und bei Heinz Rudolf Kunze ein paar Ärmelschoner. Bei kaum einem anderen deutschsprachigen Sänger ist es einem spätestens ab Anfang zwanzig so peinlich, ihn einmal gut gefunden zu haben oder gar Tonträger von ihm zu besitzen wie bei ihm. Das hat offensichtlich Methode: Sein Geschäftsmodell scheint zu sein, vierzehn- bis achtzehnjährigen Gymnasiaten das Gefühl zu vermitteln, sie seien Intellektuelle und ein Stück weit unkonventionell, wenn sie sein Zeug hörten und vor allem kauften. Nach ein paar Jahren ist denen das, wie gesagt, peinlich und der Zyklus beginnt aufs Neue. Wem das auch im Erwachsenenalter nicht peinlich ist, der dürfte zu jenen Schmerzfreien gehören, die einem leuchtenden Auges erzählen, sie seien vorgestern zum dritten Mal in 'Tabaluga und Lilli' gewesen und immer noch hin und weg von so viel Poesie.
Übrigens muss Kunze irgendwann aufgefallen sein, dass er vielleicht doch ein wenig verkopft rüberkommt. Und so beschloss er Mitte der Achtziger mehr auf Rock 'n Roll zu machen. Beziehungsweise auf das, was er dafür hält. Dummerweise hat das Resultat der Kunzeschen Lockerungsübungen einem Musikredakteur beim WDR wohl so gut gefallen, dass der Sender damals gefühlte zehn Mal am Tag die an einen gewissen Marlowe gejaulte flehentliche Bitte, eine gewisse Mabel zu finden, in den Äther Nordrhein-Westfalens jagte.
"Ich pflanze einen Baum in meine Wut / Mein Lebensmittel ist der schwere Mut.", nudelte es überakzentuiert aus dem Boxen. Deutschlehrer lieben so was. Hat Reimschema, Holzhammermetaphern, Versmaß und tut so, als habe es sogar eine Aussage. Ideal, um sich eine Checkliste zu Abhaken für die Korrektur der nächsten Klassenarbeit anzufertigen – interpretieren Sie bitte diesen Songtext! Apropos: Es heißt, Kunze habe ursprünglich Lehrer werden wollen. Trotz zweifelsfrei vorhandener Eignung, hat ein gnädiges Schicksal das seinerzeit verhindert. Denn im Gegensatz zu Konzertbesuchern und Tonträgerkäufern, haben Schüler in der Regel keine Chance wegzulaufen.
9 Kommentare:
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Ich muß dich leider enttäuschen. Auch im fortgeschrittenen Debilitätsstadium um die 50 hat der Herr Kunze durchaus noch Kundschaft vorzuzeigen, die in unpassenden Momenten, so ab 2,8 Promille zum Plattenschrank fällt und "Dein ist mein ganzes Herz" und ähnliche Produkte auf den Teller zaubert. Und nicht zu vergessen, das imaginäre Feuerzeug entzündet und sich den alkoholischen Belag von der Zunge jodelt. Vertreter dieser Spezies entstammen meist aus der Prä-Pur-Zeit, bzw. Post-Pfefferminzprinz-Ära.
AntwortenLöschenHaben Sie gewusst, dass Herr Kunze seinerzeit (im Jahre 1996*) die Forderung nach einer gesetzlich vorgeschriebenen Mindestquote für deutsche Rockmusik in Rundfunk und Fernsehen erhob.
AntwortenLöschen@nömix: Ja, das ist mir bewusst. Und da waren auch einige andere der üblichen Verdächtigen unterwegs, wie der erwähnte Herr Maffay und der jodelnde Laienprediger Naidoo.
Löschen@piet: Ich sag's ja - Tabaluga...
Oh, - jeh. Ganz schwer nachvollziehbar. Das Jazzfest hier im Kaff jedes Jahr, - wäre eigentlich auch eine feine Sache. Wenn da nicht jedes Mal auch wieder Endzeitstimmung mit Bierbankgetöse angesagt wäre. (Man beachte die Zusammenstellung edler Namen im Link). Dafür ist man hier aber von Maffay verschont. Dessen Zielgruppe liegt mehr im Badischen. (Die halten sich für intellektueller als die Schwaben). Auf beiden Seiten der Demarkationslinie Theodor Heuss'scher Glücksfälle, gipfelt deutsches Liedgut dafür aber gerne alljährlich in Dieter-Thomas-Kuhn-Föhnwellen-Parties. Das sind dann die Tage, wo sich unsereiner verkriecht. Weil allerortens plötzlich schwäbisch-badisches Landgut mit Perücken auftaucht, und einem dann mit dem Satz in der Matte rum fuchtelt; Was, - die sind echt? Ich hasse das. Naja, - the show must go on.
AntwortenLöschenIch verstehe Euch gar nicht^^ ich finde die Musik echt genial.Sie hat genau die passende Länge,um schnell zm Klo zu laufen,sich in die Schlange einzureihen und rechtzeitig wieder zum nächsten Lied zurück zu sein.Sollte das nächste Lied ein NENA "Hit" sein,dann hat man noch Zeit,eine lecker Currywurst,Pommes Schranke zu ordern.Sollte dann noch Maffay angestimmt werden,dann ißt man das ganze draussen.Genug Leidensgenossen zwecks leichten Small talk hat man genug vor der Pommes Bude stehen^^Normalerweise passiert es aber,dass die Lieder gut verteilt am Abend angestimmt werden,so dass man regelmäßig die Blase entleeren kann.In unseren Freundeskreis heißen solche Lieder auch "Kloschüsseltreiben"
AntwortenLöschen@eb: Ischa ne heftige Zusammenstellung beim ortlichen Jazzfest! Wenn die einem jetzt noch erklären würden, was der letztgenannte Deutsch-Rocker da verloren hat, dann gönge es ja.
Löschen@ritick: Man kann das in der Tat von der pragmatischen Seite sehen... :-)
Ihr Glücklichen lebt nicht in den Alpen ... HRKs "Dein ist mein ganzes Herz" erscheint mir wie ein Klang aus dem Paradies, wenn ich den Ländler-Müll anhöre, mit dem ich in meinem Tal zugedröhnt werde
LöschenGesegnet seien die Erfinder der Kopfhörer!
So trage jeder seine Last... ich entkam Deutschland und Kunze und Maffay et al. dafür muss ich mir hier in Irland Chris de Burgh, The Coors und Enya antun!
AntwortenLöschenJa, es steckt große Weisheit in den Worten: So hat jeder sein Kreuz zu tragen.
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