Sonntag, 4. August 2013

Wieder rausgekramt: Der Philip Marlowe von Essen


Man könnte doch mal wieder 'Steeler Straße' lesen, so fuhr es mir die Tage durchs Hirn und ich tat wie befohlen. Drei Tage später hatte ich alle Bände durch und das sichere Gefühl, diese treuen Begleiter meiner Essener Studienjahre nicht zum letzten Male wieder hervorgekramt zu haben. 'Steeler Straße' ist eine aus sechs Bänden bestehende Serie von in Essen spielenden Detektivromanen des ehemaligen IT-Angestellten Friedrich Hitzbleck alias Conny Lens. Lens hat den Traum vieler wahrgemacht und sich vom Hobbyschriftsteller zum gefragten Roman- und Drehbuchautor gemausert. 'Steeler Straße' gehörte zu seinen ersten Gehversuchen.

"Neunzig Prozent aller Klischees, die [in Krimis] über Privatdetektive verbreitet werden, treffen zu. Es gibt keine Zunft, die so kitschig ist wie diese. Wir parodieren uns am laufenden Band selbst." ('Die Sonnenbrillenfrau')

Wolfgang 'Wolli' Schröder betreibt an der namengebenden Steeler Straße in Essen ein Detektivbüro. Eigentlich handelt es sich dabei nur um seine arg chaotische Wohnung, die noch ein vollgemülltes Arbeitszimmer enthält. Seine Klienten bestellt er zum Gespräch daher gern ins ungleich repräsentativere Café Overbeck am Hauptbahnhof. Im Erdgeschoss befinden sich praktischerweise die Hubertus-Stuben, Schröders Stammkneipe. Eigentlich müsste Schröder längst dicht gemacht haben, denn der Laden läuft nicht. Das liegt zum Teil daran, dass er nur Aufträge annimmt, die seinen ethisch-moralischen Grundsätzen entsprechen. Zum anderen ist er dem Alkohol, vor allem dem Dosenbier deutlich mehr zugetan als es für einen Menschen gesund ist. Außer dem Finanzamt sitzt ihm noch seine exzentrische Ex-Frau mit ihren Unterhaltsforderungen im Nacken. Sein uralter Opel Ascona fällt beinahe auseinander und einige seiner Kumpels wie der schusselige Tunichtgut Gerd-Uwe oder der blasierte Lokalreporter Fiffi Mausthaler sind auch nicht immer eine Hilfe.

"Peter Alexander sang was von einer kleinen Kneipe und meinte, dort sei das Leben noch lebenswert. Wolli beschloß, seine eher negative Beziehung zum deutschen Schlager zu überdenken. Der Mann hatte doch vernünftige Ansichten." ('Ottos Hobby')
 
Neben der Detektei an der Steeler Straße, ist der idyllische Birkenhof in Essen-Heidhausen ein weiterer Mittelpunkt der Ereignisse. Dort hat die resolute, früh verwitwete Oma Lene eine Truppe skurriler aber liebenswerter Typen als eine Art Ersatzfamilie um sich geschart: Da ist der dicke Bonvivant und passionierte Pfeifenraucher Benno Korn, der für die ebenfalls auf dem Birkenhof lebende Taxiunternehmerin Irmchen Prangenberg fährt und nebenbei als Detektiv jobbt, wenn er Geld braucht. Dann noch der Teilzeit-Automechaniker Hannes Rohleder nebst Familie. Der sieht zwar aus wie ein gesuchter Schwerverbrecher, hat jedoch ein Herz aus Gold. Wie Schröder selbst, alles gescheiterte Existenzen und Lebenskünstler, die sich irgendwie so durchschlagen, aber eine Menge Spaß haben dabei.

"Die Strecke zwischen Karnap und Bottrop, zu beiden Seiten der B 224, hatte ihn in ihrer einzigartigen Häßlichkeit seit jeher fasziniert. Hier konzentrierte sich wirklich alles, was stank und obendrein äußerst unvorteilhaft aussah. Schnellstraße, Kraftwerk, Kokerei, Hochspannungsmasten und – als würde das nicht reichen – die liebliche Emscher. Die Leute, die es hier aushalten mußten, verdienten vierstellige Mietzuschüsse." ('Casablanca ist weit')

Die Geschichte beginnt Ende der Achtziger, als die arbeitslose Bürokraft Christiane Ullmann bei Schröder für einen Hungerlohn anheuert. Absehbar, dass sich nach und nach zwischen den beiden etwas anbahnt, aber Lens macht es gehörig spannend. Und, ebenso logisch, entwickeln sich auch die Nebenfiguren weiter, etablieren sich sogar ein wenig. Spießig werden sie deswegen nicht; sie behalten durchaus ihren leicht anarchischen Charme der frühen Jahre. Das Ende ist dann 2000 mit dem sechsten Band erreicht. Weiteres ist nicht zu erwarten. Schade.

"Etwas Rosiges stemmte sich aus den Polstern. Es knöpfte ein Vier-Mann-Zelt zu, das wohl ein Jackett war. »Nowak. Dr. Ernst Nowak.« Eine Art Kußmündchen verzog sich. Mit diesen Lippen konnte er sich gefahrlos im vierten Stock an einer Fensterscheibe festsaugen. Von außen. So lange er nicht »Mama« sagte." ('Endstation Abendrot')

Lens' erster Versuch 'Die Sonnenbrillenfrau', ursprünglich im Selbstverlag herausgegeben und daher vermutlich nicht lektoriert, zeugt hier und da noch davon, dass er noch übte. Das legt sich aber schnell weicht bald echtem Lesevergnügen. Klar, hier wird weder das Erzählen neu erfunden noch das Genre neu definiert, aber das ist auch gar nicht Sinn der Sache. Deutlich sichtbar ist Lens bei Chandler und Hammett, den Säulenheiligen des Detektivkrimis in die Lehre gegangen. Er macht nichts anderes als alle bewährten Ingredienzien des klassischen Hard-Boiled-Krimis zusammenzurühren und sie gehörig auf die Schippe zu nehmen. Das aber macht er sehr gekonnt. Die Dichte an coolen Sprüchen, parodistischen Seitenhieben und abgefahrenen Gestalten macht einfach Laune. Schnell hat man diese Ansammlung leicht schräger Typen ins Herz geschlossen. Das bedeutet nicht, dass es zwischendurch nicht auch tragisch und abgründig wird. Ab dem dritten Band wird es zum Teil sogar richtig heftig. Wie Lens es hinbekommt, das mit dem gewohnten Humor der Protagonisten unter einen Hut zu bringen, ist schon großes Kino.

"Und er, Wolfgang Schröder, Chef der Agentur Oma Lene, Schröder und Partner stand hilflos außer Hörweite und rätselte sich nen Wolf. Gab da jetzt Richtmikrofone, nur 500 Gramm schwer, aber mit 2000facher Verstärkung. Die Dinger schlugen schon an, wenn fünfzig Meter vor dir ein Straßenköter eine Erektion bekam. Doch wer hatte so ein Ding nicht? Richtig." ('Die Kattowitz-Connexion')

Ein wenig wehmütig stimmt es zuweilen, wenn man sieht, wie ungeheuer die Welt sich in den letzten zwanzig Jahren weiter gedreht hat. An der Steeler Straße gibt es noch kein Internet, keine Social Networks und auch keine Smartphones. Zu Beginn tippt der Chef auf einer altersschwachen IBM-Schreibmaschine herum und hantiert mit Kohlepapier, womit er sich durchaus auf der Höhe der Zeit bewegte. Irgendwann halten auch ein gebrauchter XT-Rechner, schnurlose Telefone und am Ende auch Handys Einzug. Fotos werden mit einer alten Minox geschossen und in der Dunkelkammer entwickelt, Dateien werden auf Disketten gespeichert, im Auto werden Kassetten gehört, es wird in D-Mark bezahlt und überall wird fröhlich gequalmt.

"Anderthalb Stunden und eine Kanne Kaffee später hatte Schröder wieder Farbe angenommen und hackte im Chefbüro einen Abschlussbericht in die Tastatur. Seit er kapiert hatte, dass er auf seinem Monitor weder Bärbel Schäfer noch Lindenstraße reinkriegte, sich dafür aber nie wieder mit Kohlepapier herumquälen musste, war aus Schröder ein glühender Verfechter der elektronischen Bürokommunikation geworden" ('Drecksgeschäfte')

Wer etwas mit handwerklich sauber gemachten Krimis anfangen kann, noch auf der Suche nach einer nett eskapistischen Urlaubs- oder Sommerlektüre ist, die schmeckt und nicht belastet und zudem mit dem Charme des Ruhrpotts etwas anfangen kann, sollte Wolli Schröder und seiner Truppe eine Chance geben. Zwar werden die 'Steeler-Straße'-Krimis meines Wissens nach leider nicht mehr aufgelegt, sind aber problemlos und für kleines Geld antiquarisch zu ordern. Mir waren Band 1 und 2 irgendwie abhanden gekommen. Eine Suchanfrage bei einem Antiquariatsportal hat das Problem für ein paar Euros binnen dreier Tage behoben.


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Conny Lens: Steeler Straße. Die Sonnenbrillenfrau. Zürich: Haffmans 1990.
Ders.: Ottos Hobby. Zürich: Haffmans 1990. Casablanca ist weit. Zürich: Haffmans 1991. Endstation Abendrot. Zürich: Haffmans 1992. Die Kattowitz-Connexion. Zürich: Haffmans 1995. Drecksgeschäfte. Hamm: KBV 2000. (Die ersten vier Bände sind auch in einem Sammelband mit dem Titel 'Die Sonnenbrillenfrau' als Taschenbuch erschienen).





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