Montag, 23. September 2013

Gemischter Senf zum Sonntag


Natürlich kann man die CDU und ihre Anhänger verstehen, wenn sie gestern eine Riesenparty haben steigen lassen. Ein solches Wahlergebnis, knapp an der absoluten Mehrheit vorbei, trägt fast schon Adenauersche Züge. Oder Bayerische. Als kleinlicher Kritikaster kommt sich leicht vor, wer da in die Suppe spucken will. Dennoch: Wenn der champagnerinduzierte Kater auskuriert ist, dann müsste der Union klar werden, dass das Wahlvolk ihr da ein ziemlich vergiftetes Geschenk gemacht hat. Es spricht nämlich so einiges dafür, dass das Regieren für Angela Merkel trotz der satten Mehrheit längst nicht so einfach werden könnte, wie es auf den ersten Blick aussieht. Der Wahlkampf hat gezeigt, dass die gestrige Wahl beinahe eine reine Personenwahl war und die Union in erster Linie von den traumhaften Beliebtheitswerten der Kanzlerin profitiert hat. Sieht man sich an, was die Partei personell außer Merkel so zu bieten hat, dann müsste ihr bei allem Jubel eigentlich angst und bange werden, denn ohne ihre bleierne Kanzlerin mit der Teflonbeschichtung würde sie vermutlich irgendwo auf Augenhöhe mit der SPD landen.

Auch kann ich Albrecht Müllers Frust und Zorn sehr wohl verstehen, wenn er das gestrige Ergebnis als Folge massiver Meinungsmache der Medien interpretiert. Da ist sicher etwas dran und die Beobachtungen, die er anführt, sind angetan, seine These zu stützen. Doch wird mir bei so was immer ein wenig mulmig, weil ich, bei allem Respekt, das Gefühl nicht loswerde, dass in diesem Punkt auch eine heimliche Wählerbeschimpfung stattfindet. Der Teil des Volkes, der zur Wahl gegangen ist, erscheint allzu leicht als manipulierte, uninformierte Knetmasse, die nach jeder Leimrute schnappt, die der politisch-publizistische Komplex hinhält. Das ist unfair und einseitig. Bei seinen restlichen Überlegungen ist Müller durchaus zuzustimmen.

Man muss es zunächst als Realität anerkennen, dass bei vielen die Mischung aus sich kümmernder Mutti, die den Deutschen nach innen sagt, wie gut es dem Land ginge, und europäischer Zuchtmeisterin nach außen, die den griechischen/italienischen/portugiesischen Lotterbuben zeigt, wie eine schwäbische Hausfrau wirtschaftet, gut angekommen ist. In schwierigen Zeiten tendiert der Deutsche mehrheitlich eher zu 'Keine Experimente!' als zu 'A la lanterne!'. Doch gibt es auch gute Nachrichten: Das Abschneiden von FDP und AfD zeigt, dass mit hohlen Freiheitspathos garnierter, brutaler Marktradikalismus allein nicht bzw. nicht mehr ausreicht, um im Bundestag Sitz und Stimme zu haben. Das vor und während der letzten Legislaturperiode so beschworene bürgerliche Lager ist damit auf eine wenn auch sehr starke CDU geschrumpft, und Rot-rot-Grün hat inzwischen eine knappe absolute Mehrheit, wenn es auch bis auf weiteres keine Koalition geben wird.

So muss man, trotz des Ergebnisses, von dem eine SPD nur träumen kann, man einige Einschränkungen machen. Erstens: Noch nie war es so leicht, eine absolute Mehrheit zu bekommen. Durch die Ergebnisse der FDP, der AfD, der Piraten und der Sonstigen, die allesamt unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen, sind knapp 16 Prozent der abgegebenen Stimmen durch keinen einzigen Sitz im Parlament vertreten. Ein echtes Novum in der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte. Zweitens: Wie es aussieht, sind die Gewinne der CDU vor allem die Verluste der FDP, die überwältigend erscheinende Wiederwahl Angela Merkels somit auch eine deutliche Abwahl der Liberalen. Natürlich wird die CDU alles tun, um die SPD nach 2005 unter dem Label der nationalen Verantwortung erneut in eine große Koalition einzubinden. Das würde der Union nur Vorteile bringen: Als Regierungspartei könnte die SPD Beschlüsse, die sie im Kabinett mitträgt, nicht ohne weiteres im rot-grün dominierten Bundesrat blockieren und die Opposition bliebe weiterhin hübsch gespalten. Dass sich die SPD die dafür nötigen Zugeständnisse teuer würde bezahlen lassen, kann man bei der Merkel-CDU übrigens verschmerzen, denn bei Mutti ging es noch nie um Positionen oder gar um Inhalte.

Für die SPD gilt mehr denn je die alte Weisheit, sie sei eine im Kern bürgerliche Partei mit einem linken Flügel. Die SPD hat vor allem deshalb so mau abgeschnitten, weil sie ihren potenziellen Wählern nicht vermitteln konnte, was sie eigentlich will. Sie hat das Misstrauen unterschätzt, das ihr seit der fatalen Agenda 2010 nach wie vor entgegenschlägt. Solange Wähler mit unteren, mittleren und prekären Einkommen nicht sicher sein können, dass eine SPD-geführte Regierung nicht noch einmal im Wahlkampf links blinkt, um danach rechts zu überholen, wird die alte Tante weiter zwischen 25 und 30 Prozent herumdümpeln. Ironischerweise ist der SPD trotzdem eine theoretische Schlüsselrolle zugefallen. Sie hat es in der Hand, wie es weitergeht. Sie kann sich noch einmal auf eine große Koalition einlassen, sie kann eine CDU-Minderheitsregierung tolerieren oder im Stillen auf eine Rot-rot-grüne Koalition hinarbeiten. wenn Letzteres auch momentan höchst unwahrscheinlich ist. Die zweite Variante hätte zwar einen gewissen Charme, aber die risikoscheue Angela Merkel wird alles tun, um das zu verhindern.

Angesichts von drei Prozent weniger als 2009 hatte es natürlich etwas von Schönreden, als Gregor Gysi kurz nach sechs meinte, die Linke sei mittlerweile drittstärkste politische Kraft. Doch hatte er nicht unrecht. Die Linke bleibt die einzige echte Oppositionspartei im Bundestag, die sich nicht scheut, die Systemfrage zu stellen und es ist ein Segen, dass sie da ist. Für jemanden, der mit der grundlegenden Ausrichtung der Politik von CDU, SPD und Grünen nicht einverstanden ist, bleibt bis auf weiteres eigentlich nur die Option, diese Partei so stark zu machen wie irgend möglich. So glänzend oft ihre Oppositionsarbeit im Bundestag und so solide ihre Regierungsarbeit in einigen Länderparlamenten ist, bleibt die Frage, ob eine Regierungsbeteiligung auf Bundesebene die Linke nicht an den Rand einer Zerreißprobe führen würde. In der Tat scheinen SPD und Grüne oft von einer irrationalen, pathologisch anmutenden Ausschließeritis in Bezug auf die Linken befallen. Doch hat jedes Problem bekanntlich mindestens zwei Seiten: Eine Oppositionspartei kann sich völlige Kompromisslosigkeit in vielen Fragen leisten, eine Partei, die in die Regierung will, schon weniger. Ob's einem nun passt oder nicht, heißt regieren im herrschenden System eben auch, Kompromisse zu schließen. Denn ganz ohne Kompromisse würde es nicht abgehen und das linke Wahlpublikum ist höchst anspruchsvoll.

Wer wählt heutzutage eigentlich grün? Bis zirka 1999 war das einigermaßen klar: Wer pazifistisch dachte, gegen Atomkraft, für einen schonenden Umgang mit diesem Planeten, für eine Frauenquote und für rechtliche Gleichstellung alternativer Lebensformen war, der hatte seine Heimat bei den Grünen. In Zeiten, in denen die Grünen für den Einsatz von Bundeswehrsoldaten stimmen und in der CDU über die 'Homo-Ehe' debattiert wird, ist ein großer Teil dieser Exklusivität passé. Übrig bleibt eine Art Wohlfühlpartei, die irgendwie das Lebensgefühl einer urbanen, etablierten Mittelschicht aus Bessermenschen trifft, die ihren Müll trennt, Fahrrad fährt, sich vegetarisch ernährt und für erneuerbare Energie ist, solange ihr nicht Windräder die Aussicht verschandeln. Und die es für ihr natürliches Recht halten, überall, wo sie geht und steht das Rauchen untersagen zu dürfen und anderen Vorträge über fleischlose Kost hält. Geschadet haben dürfte den Grünen übrigens weniger die unsägliche Pädophilie-Debatte denn ihr Vorschlag eines Veggie-Days. Obwohl das für die meisten kein großes Drama wäre, war das eine Steilvorlage für den politischen Gegner, die Grünen als die Partei des Nanny State hinzustellen, der den Menschen in ihre private Lebensführung hineinregiert. In einer Koalition mit der CDU wären die Grünen wegen ihrer mageren acht Prozent so an den Rand gedrängt, dass sie kaum Forderungen umsetzen könnten.

Bei der FDP schließlich hat sich wieder einmal bewahrheitet: Wer immer sich politisch mit Angela Merkel einlässt, wird auf Zwergengröße geschrumpft. Die Frau hat vielleicht einen Verschleiß! Mehr als einmal konnte die FDP sich auf den letzten Metern vor einer Wahl retten, indem sie sagte: Och Menno, Bundestag ohne uns wäre doch voll doof. Und sooo unfair! Wir sind doch immer dabei gewesen bis jetzt. Also gebt uns doch eure Zweitstimmen, büttööö! Zum ersten Mal hat diese Hundewelpen-Taktik nicht mehr funktioniert. Auch hier ist das meiste längst gesagt worden. Die jede Leistung verweigernde Partei der Leistungsorientierten hat die Quittung bekommen für ihre mindestens dreieinhalb Jahre währende, standhafte Weigerung, irgendwo mal einen Knall zu hören. Eine Transfergesellschaft für die demnächst arbeitslosen Liberalas zu gründen, wird übrigens nicht nötig sein. Es wird sich bestimmt eine Anschlussverwendung finden, da bin ich zuversichtlich. Im Zweifel können die sich ja alle selbstständig machen und leer stehende Schlecker-Filialen übernehmen.



2 Kommentare:

  1. Würden doch die Sozis endlich mal wirklich zu den "vaterlandslosen Gesellen" als die sie seit dem unseligen Mauerfall stets gebrandmarkt werden. Mit der Linken UND den Grünen koalieren... das wäre es doch! Merkel und ihre machtberauschten Schwarzen wären bei einem möglicherweise benötigten Koalitionspartner AfD ganz sicher nicht so zimperlich und würden plötzlich "viele Gemeinsamkeiten" aus dem Hut zaubern.

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  2. Die Grünen haben ihre Kern-Klientel erreicht und nicht mehr , nach der Abkehr von der Offenheit nach allen Seiten - im Nachhinein ist man immer schlauer - eigentlich keine Überraschung und meines Erachtens der Hauptgrund für ihr schlechtes Ergebnis , das genauer betrachtet gar nicht so schlecht ist , sondern einfach nur die Rückkehr zur grünen Normalität darstellt.

    "Wöhlfühlpartei"

    Stimmt , das liegt aber an den Grünen selber , die Energiewende ist erst der Anfang , der übergroße Teil der notwendigen Ökologisierung der gesamten Wirtschaftsweise wird noch nicht mal diskutiert.
    Hier läge nach wie vor ein gigantisches Feld für eine ökologische Kraft , aber die Grünen ziehen es vor , die Energiewende in den Vordergrund zu stellen , dabei ist das Thema doch erfolgreich etabliert und wird vor allem längst mit Merkel verbunden, nebenbei bemerkt eine strategische Meisterleistung.

    Anstatt sich nun aber darüber zu freuen und den eigenen Anteil daran zu betonen , verhalten sich die Grünen wie Kinder , die ihr Spielzeug zurück haben wollen.
    Die Grünen machen offenbar eine Phase der Ermüdung durch und sie sollten sich Zeit nehmen , sich zu regenerieren.

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