Natürlich kann man die CDU und ihre
Anhänger verstehen, wenn sie gestern eine Riesenparty haben steigen
lassen. Ein solches Wahlergebnis, knapp an der absoluten Mehrheit
vorbei, trägt fast schon Adenauersche Züge. Oder Bayerische. Als kleinlicher Kritikaster kommt sich leicht vor, wer da in die Suppe spucken will. Dennoch: Wenn
der champagnerinduzierte Kater auskuriert ist, dann müsste der Union
klar werden, dass das
Wahlvolk ihr da ein ziemlich vergiftetes Geschenk gemacht hat. Es spricht nämlich so
einiges dafür, dass das Regieren für Angela Merkel trotz der satten
Mehrheit längst nicht so einfach werden könnte, wie es auf den
ersten Blick aussieht. Der Wahlkampf hat gezeigt, dass die
gestrige Wahl beinahe eine reine Personenwahl war und die Union in erster Linie von den traumhaften Beliebtheitswerten der Kanzlerin profitiert
hat. Sieht man sich an, was die Partei personell außer Merkel so zu bieten
hat, dann müsste ihr bei allem Jubel eigentlich angst und bange werden, denn
ohne ihre bleierne Kanzlerin mit der Teflonbeschichtung würde sie
vermutlich irgendwo auf Augenhöhe mit der SPD landen.
Auch kann ich Albrecht Müllers Frust und Zorn sehr wohl verstehen, wenn er das gestrige Ergebnis als Folge massiver Meinungsmache der Medien interpretiert. Da ist sicher etwas dran und die Beobachtungen, die er anführt, sind angetan, seine These zu stützen. Doch wird mir bei so was immer ein wenig mulmig, weil ich, bei allem Respekt, das Gefühl nicht loswerde, dass in diesem Punkt auch eine heimliche Wählerbeschimpfung stattfindet. Der Teil des Volkes, der zur Wahl gegangen ist, erscheint allzu leicht als manipulierte, uninformierte Knetmasse, die nach jeder Leimrute schnappt, die der politisch-publizistische Komplex hinhält. Das ist unfair und einseitig. Bei seinen restlichen Überlegungen ist Müller durchaus zuzustimmen.
Man muss es zunächst als Realität anerkennen,
dass bei vielen die Mischung aus sich kümmernder Mutti, die den
Deutschen nach innen sagt, wie gut es dem Land ginge, und europäischer
Zuchtmeisterin nach außen, die den
griechischen/italienischen/portugiesischen Lotterbuben zeigt, wie
eine schwäbische Hausfrau wirtschaftet, gut angekommen ist. In schwierigen Zeiten tendiert der Deutsche mehrheitlich eher zu 'Keine Experimente!' als zu 'A la lanterne!'. Doch gibt es auch gute Nachrichten: Das Abschneiden von
FDP und AfD zeigt, dass mit hohlen Freiheitspathos garnierter,
brutaler Marktradikalismus allein nicht bzw. nicht mehr ausreicht, um
im Bundestag Sitz und Stimme zu haben. Das vor und während der
letzten Legislaturperiode so beschworene bürgerliche Lager ist damit
auf eine wenn auch sehr starke CDU geschrumpft, und Rot-rot-Grün hat
inzwischen eine knappe absolute Mehrheit, wenn es auch bis auf weiteres keine Koalition geben wird.
So muss man, trotz des Ergebnisses, von
dem eine SPD nur träumen kann, man einige Einschränkungen machen.
Erstens: Noch nie war es so leicht, eine absolute Mehrheit zu
bekommen. Durch die Ergebnisse der FDP, der AfD, der Piraten und der
Sonstigen, die allesamt unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen, sind
knapp 16 Prozent der abgegebenen Stimmen durch keinen einzigen Sitz
im Parlament vertreten. Ein echtes Novum in der bundesdeutschen
Parlamentsgeschichte. Zweitens: Wie es aussieht, sind die Gewinne der
CDU vor allem die Verluste der FDP, die überwältigend erscheinende
Wiederwahl Angela Merkels somit auch eine deutliche Abwahl
der Liberalen. Natürlich wird die CDU alles tun, um die SPD nach
2005 unter dem Label der nationalen Verantwortung erneut in eine
große Koalition einzubinden. Das würde der Union nur Vorteile
bringen: Als Regierungspartei könnte die SPD Beschlüsse, die sie im
Kabinett mitträgt, nicht ohne weiteres im rot-grün dominierten
Bundesrat blockieren und die Opposition bliebe weiterhin hübsch
gespalten. Dass sich die SPD die dafür nötigen Zugeständnisse
teuer würde bezahlen lassen, kann man bei der Merkel-CDU übrigens
verschmerzen, denn bei Mutti ging es noch nie um Positionen oder gar
um Inhalte.
Für die SPD gilt mehr denn je die alte
Weisheit, sie sei eine im Kern bürgerliche Partei mit einem linken
Flügel. Die SPD hat vor allem deshalb so mau abgeschnitten, weil sie
ihren potenziellen Wählern nicht vermitteln konnte, was sie
eigentlich will. Sie hat das Misstrauen unterschätzt, das ihr seit
der fatalen Agenda 2010 nach wie vor entgegenschlägt. Solange Wähler
mit unteren, mittleren und prekären Einkommen nicht sicher sein
können, dass eine SPD-geführte Regierung nicht noch einmal im
Wahlkampf links blinkt, um danach rechts zu überholen, wird die alte
Tante weiter zwischen 25 und 30 Prozent herumdümpeln.
Ironischerweise ist der SPD trotzdem eine theoretische Schlüsselrolle
zugefallen. Sie hat es in der Hand, wie es weitergeht. Sie kann sich
noch einmal auf eine große Koalition einlassen, sie kann eine
CDU-Minderheitsregierung tolerieren oder im Stillen auf eine
Rot-rot-grüne Koalition hinarbeiten. wenn Letzteres auch momentan höchst
unwahrscheinlich ist. Die zweite Variante hätte zwar einen gewissen
Charme, aber die risikoscheue Angela Merkel wird alles tun, um das zu
verhindern.
Angesichts von drei Prozent weniger als
2009 hatte es natürlich etwas von Schönreden, als Gregor Gysi kurz
nach sechs meinte, die Linke sei mittlerweile drittstärkste
politische Kraft. Doch hatte er nicht unrecht. Die Linke bleibt die
einzige echte Oppositionspartei im Bundestag, die sich nicht scheut,
die Systemfrage zu stellen und es ist ein Segen, dass sie da ist. Für jemanden, der mit der grundlegenden
Ausrichtung der Politik von CDU, SPD und Grünen nicht einverstanden
ist, bleibt bis auf weiteres eigentlich nur die Option, diese Partei
so stark zu machen wie irgend möglich. So glänzend oft ihre
Oppositionsarbeit im Bundestag und so solide ihre Regierungsarbeit in
einigen Länderparlamenten ist, bleibt die Frage, ob eine
Regierungsbeteiligung auf Bundesebene die Linke nicht an den
Rand einer Zerreißprobe führen würde. In der Tat scheinen SPD und Grüne oft von einer irrationalen, pathologisch anmutenden Ausschließeritis in Bezug auf die Linken befallen. Doch hat jedes Problem bekanntlich mindestens zwei Seiten: Eine
Oppositionspartei kann sich völlige
Kompromisslosigkeit in vielen Fragen leisten, eine Partei, die in die
Regierung will, schon weniger. Ob's einem nun passt oder nicht,
heißt regieren im herrschenden System eben auch, Kompromisse zu schließen.
Denn ganz ohne Kompromisse würde es nicht abgehen und das linke
Wahlpublikum ist höchst anspruchsvoll.
Wer wählt heutzutage eigentlich grün?
Bis zirka 1999 war das einigermaßen klar: Wer pazifistisch dachte,
gegen Atomkraft, für einen schonenden Umgang mit diesem Planeten,
für eine Frauenquote und für rechtliche Gleichstellung alternativer
Lebensformen war, der hatte seine Heimat bei den Grünen. In Zeiten,
in denen die Grünen für den Einsatz von Bundeswehrsoldaten stimmen
und in der CDU über die 'Homo-Ehe' debattiert wird, ist ein großer
Teil dieser Exklusivität passé. Übrig bleibt eine Art
Wohlfühlpartei, die irgendwie das Lebensgefühl einer urbanen,
etablierten Mittelschicht aus Bessermenschen trifft, die ihren Müll
trennt, Fahrrad fährt, sich vegetarisch ernährt und für
erneuerbare Energie ist, solange ihr nicht Windräder die Aussicht
verschandeln. Und die es für ihr natürliches Recht halten, überall,
wo sie geht und steht das Rauchen untersagen zu dürfen und anderen
Vorträge über fleischlose Kost hält. Geschadet haben dürfte den
Grünen übrigens weniger die unsägliche Pädophilie-Debatte denn
ihr Vorschlag eines Veggie-Days. Obwohl das für die meisten kein
großes Drama wäre, war das eine Steilvorlage für den politischen
Gegner, die Grünen als die Partei des Nanny State hinzustellen, der
den Menschen in ihre private Lebensführung hineinregiert. In einer
Koalition mit der CDU wären die Grünen wegen ihrer mageren acht
Prozent so an den Rand gedrängt, dass sie kaum Forderungen umsetzen
könnten.
Bei der FDP schließlich hat sich
wieder einmal bewahrheitet: Wer immer sich politisch mit Angela
Merkel einlässt, wird auf Zwergengröße geschrumpft. Die Frau hat
vielleicht einen Verschleiß! Mehr als einmal konnte die FDP sich auf
den letzten Metern vor einer Wahl retten, indem sie sagte: Och Menno,
Bundestag ohne uns wäre doch voll doof. Und sooo unfair! Wir sind
doch immer dabei gewesen bis jetzt. Also gebt uns doch eure
Zweitstimmen, büttööö! Zum ersten Mal hat diese
Hundewelpen-Taktik nicht mehr funktioniert. Auch hier ist das meiste
längst gesagt worden. Die jede Leistung verweigernde Partei der
Leistungsorientierten hat die Quittung bekommen für ihre mindestens
dreieinhalb Jahre währende, standhafte Weigerung, irgendwo mal einen
Knall zu hören. Eine Transfergesellschaft für die demnächst
arbeitslosen Liberalas zu gründen, wird übrigens nicht nötig sein.
Es wird sich bestimmt eine Anschlussverwendung finden, da bin ich
zuversichtlich. Im Zweifel können die sich ja alle selbstständig
machen und leer stehende Schlecker-Filialen übernehmen.
Würden doch die Sozis endlich mal wirklich zu den "vaterlandslosen Gesellen" als die sie seit dem unseligen Mauerfall stets gebrandmarkt werden. Mit der Linken UND den Grünen koalieren... das wäre es doch! Merkel und ihre machtberauschten Schwarzen wären bei einem möglicherweise benötigten Koalitionspartner AfD ganz sicher nicht so zimperlich und würden plötzlich "viele Gemeinsamkeiten" aus dem Hut zaubern.
AntwortenLöschenDie Grünen haben ihre Kern-Klientel erreicht und nicht mehr , nach der Abkehr von der Offenheit nach allen Seiten - im Nachhinein ist man immer schlauer - eigentlich keine Überraschung und meines Erachtens der Hauptgrund für ihr schlechtes Ergebnis , das genauer betrachtet gar nicht so schlecht ist , sondern einfach nur die Rückkehr zur grünen Normalität darstellt.
AntwortenLöschen"Wöhlfühlpartei"
Stimmt , das liegt aber an den Grünen selber , die Energiewende ist erst der Anfang , der übergroße Teil der notwendigen Ökologisierung der gesamten Wirtschaftsweise wird noch nicht mal diskutiert.
Hier läge nach wie vor ein gigantisches Feld für eine ökologische Kraft , aber die Grünen ziehen es vor , die Energiewende in den Vordergrund zu stellen , dabei ist das Thema doch erfolgreich etabliert und wird vor allem längst mit Merkel verbunden, nebenbei bemerkt eine strategische Meisterleistung.
Anstatt sich nun aber darüber zu freuen und den eigenen Anteil daran zu betonen , verhalten sich die Grünen wie Kinder , die ihr Spielzeug zurück haben wollen.
Die Grünen machen offenbar eine Phase der Ermüdung durch und sie sollten sich Zeit nehmen , sich zu regenerieren.