Sonntag, 12. Januar 2014

Wenn Toleranz verdächtig wird


Was den Umgang mit Minderheiten aller Art angeht, waren es vor allem zwei, drei Maximen, die mir in den letzten Jahrzehnten dabei geholfen haben, halbwegs entspannt durchs Leben zu gehen. Erstens: Es ist reichlich zweitrangig, welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe und Herkunft ein Mensch ist oder welche sexuelle Orientierung er hat. Viel wichtiger ist die Frage, ob jemand ein Schwachkopf ist oder nicht. Zweitens: Die allermeisten Angehörigen gesellschaftlicher Minderheiten wollen mitnichten das christliche Abendland mit einer klandestinen Agenda unterwandern und erwarten weder Bewunderung noch gesonderte Aufmerksamkeit, erst recht keine roten Teppiche oder Extrawürste, sondern eigentlich nur, dass man sie möglichst unbehelligt und ohne großes Bohei ihr Leben leben lässt. Und drittens: Mein Horizont, meine Wertvorstellungen sind nicht absolut und haben daher nicht für alle zu gelten.

Die wenigsten hier lebenden Migranten schätzen es meiner Erfahrung nach, permanent auf ihren Mitgrantenstatus angesprochen zu werden oder dazu genötigt zu werden oder sich irgendwie erklären zu müssen. Also Fragen zu beantworten wie die, ob sie sich jetzt mehr als Türke oder als Deutscher fühlen. Analog dazu empfinden die Lesben und Schwulen, die ich kenne, Fragen wie die, wer in der Beziehung - hihihi - denn nun der Mann und wer die Frau sei, nicht etwa als Zeichen von Interesse oder Aufgeschlossenheit, sondern als überaus nervend und zudem unerheblich.

Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wovon Menschen sich so alles bedroht fühlen. Zum Beispiel von der Banalität, dass der Fußball sich nicht groß vom Rest der Gesellschaft unterscheidet. Eigentlich wollte ich mich zum Thema Thomas Hitzlsperger nicht weiter äußern, weil ich erstens die Tatsache, dass sich ein prominenter schwuler Fußballspieler geoutet hat, eher minder sensationell finde und zweitens, weil ich eh längst informiert war. Ein Freund von mir arbeitet bei einem örtlichen Sportartikelhandel. Dort verkehrt gelegentlich ein schwuler Mitarbeiter der Pressestelle eines Bundesligavereins. Nach einer kleinen Plauderei mit ihm über diverse Fußballspieler weiß man, Lothar Matthäus hatte definitiv unrecht.

Die verschwiemelten, pseudotoleranten, spitzfingrigen Steilvorlagen aber, die diverse Kommentatoren, allen voran Jasper von Altenbockum und Bernd Lucke, in dieser Angelegenheit von sich gegeben haben, zeigen sehr schön, dass Hitzelspergers Bekenntnis, anders als letzterer meinte, wohl wirklich einen gewissen Mut erfordert hat. Oder sagen wir, Rückgrat. Das wäre nicht der Fall, wenn wirklich Toleranz herrschte. Und zwar Toleranz nicht in dem Sinne, dass sich jemand heldenhaft dumme Sprüche verkneift, weil sich das ja nicht gehört, sondern im Sinne von entspannter Gleichmut. Für tolerante Menschen hätte es nur eine angemessene Reaktion gegeben: Ein schulterzuckendes "Aha. Und?"
"Es gibt bekanntlich drei wahrhaft internationale Mächte: die katholische Kirche, die Homosexuellen und Standard Oil." (Kurt Tucholsky)
Ostentativ vorgetragene Toleranz, wie die in Sonntagsreden mantraartig auftauchende Aussage, Deutschland sei ein weltoffenes, tolerantes Land, war mir schon immer verdächtig. Und zwar deswegen, weil solches Betonen klitzekleiner Selbstverständlichkeiten ein sicheres Zeichen dafür ist, dass da wohl Nachholbedarf besteht. Natürlich hat hierzulande niemand mehr bloß aufgrund seiner sexuellen Orientierung strafrechtliche Konsequenzen zu befürchten. Nur bedeutet das eben nicht, dass wir deswegen eine so tolerante Gesellschaft wären, wie sie gern beschworen wird. Dabei sind die offen Homophoben oder die, die Rassismus, Misogynie und anderes offen zur Schau stellen, weniger das Problem. Diese Leute können zwar nerven, sind aber wenigstens aufrichtig und damit berechenbar. Nein, das Problem sind die Verlogenen. Die, die ihre Intoleranz und Unentspanntheit hinter einer aufgeklärten, bildungsbürgerlichen Fassade verstecken und von Minderheiten erwarten, dass sie sich tunlichst im Rahmen jener Zuschreibungen bewegen, die ihnen freundlicherweise zugestanden werden.

Minderheiten haben sich gefälligst zufrieden und vor allem dankbar in den Nischen und Ghettos aufzuhalten, die ihnen die Mehrheit in ihrer unendlichen Toleranz zugesteht und ansonsten die Klappe zu halten. Wenn nicht, gerät diese Minderheit schnell unter Verdacht, alles unterwandern zu wollen. Reicht es den Schwulen etwa nicht, Friseure, Künstler, Tänzer oder Modemacher zu sein und die schrill-kreativen Hofnarren geben zu dürfen? Müssen die denn jetzt unbedingt auch noch Fußball spielen? Bitteschön, muss denn das sein? Hat man denn nirgendwo seine Ruhe? Ja gut, ein paar schwule und lesbische Politiker gibt's auch, aber jetzt muss doch bitte mal irgendwo Schluss sein.

Stellt sich hingegen heraus, dass diese Minderheiten gar nicht daran denken, sondern ganz selbstverständlich überall dazugehören wollen, dann keimt beim Spießer, der dazu neigt, alles, was seinen Horizont übersteigt zu denunzieren und zu bekämpfen, die Überfremdungsangst und er beißt um sich. Im Falle Hitzlspergers offenbart sich ein verbreitetes Unbehagen, eine paranoide Sehnsucht nach Abgrenzung, nach klaren Verhältnissen und sicheren Räumen, nach Safe Spaces für die Mehrheit, in denen die Welt noch in Ordnung ist, die moderne, plurale Gesellschaften aber immer weniger bieten.

Übrigens: Erwartet Herr Lucke auch von jedem heterosexuellen Mitglied seiner unterhaltsamen kleinen politischen Vereinigung, das ohne Trauschein mit Partner oder Partnerin lebt, ein Bekenntnis zu Ehe und Familie? Dann will ich nichts gesagt haben.


1 Kommentar:

  1. Hallo, das ist ein gut geschriebener Artikel. Der Kern der Debatte wurde ziemlich auf den Punkt getroffen.
    Ich hatte mir in den letzten Tagen auch Gedanken zu diesem Thema gemacht und suche jetzt noch andere, passende Blog-Artikel, die ich verlinken kann.

    Mfg, Julia Böttcher

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