Sonntag, 5. Januar 2014

Hast du Sorgen, hau den Migranten!


Wie gut, dass wir Horst Seehofer haben. Als einziger der etablierten Politiker traut er sich, mahnende Worte zu sprechen, angesichts der osteuropäischen Apokalypse, die uns ins Haus steht. Heerscharen von rumänischen und bulgarischen Migranten werden nach der Öffnung der Grenzen in unsere Städte einfallen. Sie werden um unsere Häuser streifen, unsere Mülltonnen durchwühlen, uns das Essen vom Tisch klauen und sich in ihrem heimtückischerweise fremden Idiom in einer Tour über nichts anderes austauschen als darüber, wie sich hier am leichtesten Sozialleistungen abgreifen lassen.

Klar, man kann darauf hinweisen, dass mehr oder minder virtuoses Klimpern auf der Klaviatur der Überfremdungsängste seit langem ein bewährtes Mittel der Innenpolitik ist. Man kann darauf hinweisen, dass solche Horrorszenarien, ganz abgesehen von ihrer offen rassistischen Komponente, das Zerrbild implizieren, Deutschland sei eine selige, von aller Welt beneidete Insel des Richtigmachens, deren ehrlich und hart erarbeiteter Wohlstand nun von finsteren Horden aus dem Osten ernstlich bedroht sei. Das tatsächliche Ausmaß der zu erwartenden Migrationsströme lässt sich eh nicht genau ermessen. Andererseits: Hottes Diktum "Wer betrügt, der fliegt!", ist schon ein griffiges Motto. Auch inhaltlich gar nicht mal schlecht. Wenn es auf alle, gerade auch inländischen Betrüger mit gleicher Konsequenz angewandt würde, stünde in diesem Land einiges zum Besseren.

Zumal wahrscheinlich nicht wirklich alle so unglücklich über die totale Öffnung der Grenzen sind. Die Wirtschaft, so ist zu hören, kritisiere Seehofers Vorstoß. Soso. Klar, der Druck auf Löhne und soziale Standards will schließlich aufrecht erhalten werden. Praktischerweise steht eine weitere Reservearmee potenzieller billigster Arbeitssklaven vor der Tür, die für jeden Drecksjob, für den die Deutschen sich angeblich zu fein sind, dankbar sind und sich mit ein paar Brosamen abspeisen lassen. Frischer Spargel und abgepacktes Fleisch müssen schließlich bezahlbar bleiben. Auch Flatrate-Puffs, in denen hiesige Hochleistungsvögler für kleines Geld zeigen können, was für Wahnsinnshechte sie doch sind, haben stetig Bedarf an personellem Nachschub.

Wer sich gelegentlich außerhalb der eigenen Peergroup bewegt, weiß, dass ganz besonders besorgte Bürger zuweilen gern äußern, nach Deutschland wandere ja nur "Abschaum" ein. Formulieren wir es weniger bürgerlich: In der Tat wandern wenige gut bis hoch qualifizierte Menschen bei uns ein. Nur, woran liegt das wohl? Könnte das zu tun haben mit den im internationalen Vergleich inzwischen schandbar niedrigen Löhnen, die hier gezahlt werden, was dann dazu führt, dass bei uns vor allem die landen, die eh kaum mehr etwas zu verlieren haben? Oder damit, dass auch qualifizierte Einwanderer mehrheitlich nicht wie Mitbürger behandelt werden, sondern lediglich wie Gäste, die sich gefälligst zu benehmen haben, hier Leistung bringen sollen, um sich dann schnellstmöglich wieder dorthin zu verziehen, wo sie hergekommen sind?

Die Öffnung von Grenzen und Handelsschranken in Europa im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses wird seit Jahrzehnten von der Politik unter minimalster Beteiligung der Bevölkerung aktiv betrieben und erfolgt vor allem im Interesse der Wirtschaft. Ungebremster Freihandel aber erzeugt Gewinner und Verlierer, immer. Der Gipfel der Verlogenheit ist es daher, wenn Politiker, die über Jahre und Jahrzehnte genau diese Politik gemacht oder wenigstens mitgetragen haben, jetzt politisches Kapital daraus schlagen, indem sie Ängste vor den möglichen Folgen ihrer eigenen Politik schüren und mit dem Finger auf die zeigen, die am wenigsten zu verlieren haben. Und das auch noch eine 'Debatte' nennen.



1 Kommentar:

  1. Eben darum. "Mitgetragen haben" sagt schon alles. Das Problem sind die Konzerne und Ihre Führungsspitzen und nicht die Dummheit Einzelner. Solange die Regierung nur Presssprecher der großen Konzerne mimen, kann man erahnen, wo die Reise hingeht. Und ich bin mir sicher, dass sehr viele das auch total i. O. finden.

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