Sonntag, 15. Juni 2014

Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (4)


Obwohl dem Fußball durchaus zugetan, frage ich mich bekanntlich schon des Längeren, was Leute dazu treibt, anlässlich von Fußball-Welt- und Europameisterschaften ihre Autos mit diesen über die Maßen albernen Devotionalien in Landesfarben zu behängen wie nicht gescheit. Eigentlich wollte ich mich zu dieser Unsitte ja nicht mehr weiter äußern, denn ich glaubte, alles Nötige gesagt zu haben. Überflüssig zu sagen, dass ich eher meine rechte Hand in einen mit Volldampf laufenden Häcksler hielte, als meinem Auto so was anzutun. Wie dem auch sei, seit gestern weiß ich, was Menschen so tief sinken lässt. Es ist nicht etwa Patriotismus, wie man vielleicht meinen sollte, weit gefehlt! Es ist vielmehr weibliche List und Tücke, es sind jene Waffen der Frauen, gegen die kein entsprechend veranlagter Mann mit einem schlagenden Herzen in der Brust etwas auszurichten vermag.

Gestern betrat ich den Getränkemarkt meines Vertrauens, um ein, zwei Dinge einzukaufen, die sowohl nötig als auch angetan sind, das Leben ein wenig netter zu machen. Als es ans Bezahlen ging, da frug die nette junge Kassiererin, ob ich vielleicht etwas fürs Auto bräuchte, es sei umsonst. Ich wollte gerade danken und antworten, ein paar Liter Synthetiköl, 5W-40, plus Filter wären wirklich nett, da hakte sie nach: Eine Fahne vielleicht oder ein Paar Überzieher für die Rückspiegel? Sie hatte es noch nicht zu Ende ausgesprochen, da hatte sie schon in einen Karton gegriffen und hielt mir die in China gefertigten, schwarzrotsenfenen Werbemittel des Bösen unter die Nase. Ich war entsetzt. Sehe ich am Ende gar aus wie ein Patriot? Nicht auszudenken!

Dann geschah etwas, was mir nur sehr selten passiert, eigentlich nie: Ich fuhr die Lady an, sie solle ihren Sondermüll um Himmels Willen behalten, einen Teufel würde ich tun, mir die Karre mit so was zu verschandeln. Ihre Reaktion war schwer zu beschreiben. Geschockt, das war sie freilich, aber da war noch etwas anderes. Sie schien überhaupt nicht begreifen zu können, wie ein Mensch angesichts dieser Offerte nicht in sofortige Verzückung ausbrechen, ja, wie jemand es überhaupt wagen konnte, in diesen Wochen, in denen so viel auf dem Spiel steht für die Volksgemeinschaft, seine Liebe zu selbiger durch möglichst penetrantes Herzeigen der nationalen Trikolore nicht öffentlich kundzutun. Die bloße Vorstellung, sich diesem Treiben zu verweigern, schien ihr in etwa so fremd wie die, mitten in der Sahara auf Salzwasser zu stoßen oder in ihrem Vorgarten auf Erdöl.

Aber da war noch etwas. In ihrem Blick lag echte Enttäuschung, ja Trauer. Schon meinte ich, ein leichtes Zittern ihrer Unterlippe wahrzunehmen. Ich fürchtete, dass bald schon bittere Tränen ihr in die Augen schießen würden und wenn sie am Abend wegen schwerer Depressionen in einer psychiatrischen Klinik landete, dann wäre das meine Schuld, dachte ich. So wurde ich schließlich doch weich. Ich nahm das zusammengerollte Banner entgegen, die Außenspiegel-Verhüterli auch, zwang mir ein Dankeschön ab und brummte, vielleicht freuten sich ja die Kinder darüber (das zieht immer). Kaum war ich eingeknickt, da hellte sich ihre Miene wieder auf, ein strahlendes Lächeln umschmeichelte ihre Mundwinkel und ihr Tag schien gerettet. Ich kann eine Frau einfach nicht weinen sehen. Verdammte Galanterie, elende! Sind es die Gene?

Glücklicherweise waren auf dem Parkplatz mehrere geräumige Mülleimer verteilt, sodass der Krempel sich diskret verklappen ließ. So ist sie, unsere Wirtschaft, dachte ich noch beim Einsteigen. Wegen lumpiger 8,50 Euro Mindestlohn einen Riesenzinnober veranstalten und einen auf Weltuntergang machen, aber für so einen Humbug Kohle verballern.



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