Donnerstag, 12. Juni 2014

Lasset das Ausblenden beginnen!


So, das Bier kaltgestellt, den Grill angeworfen, alle, die lächerliche Fanartikel am Körper tragen und auf einmal zu großen Fans mutieren, des Umfeldes verwiesen, das Gehabe der FIFA-Bonzen gnädig ignoriert - es geht lo-hos! Wie immer die große Frage: Wer wird es denn nun? Im festen Bewusstsein, dass Tipps eigentlich nie eintreten, lege ich mich dennoch mal ein wenig fest:


Wer was reißen kann

Natürlich gehört Brasilien zu den heißen WM-Favoriten, nicht nur, weil die Heimmannschaft fast immer einen gewissen Vorteil hat. Sicher aber ist da gar nichts. Die Seleção steht unter riesigem Erwartungsdruck und vieles wird vom ersten Spiel abhängen. Zeigen sie da, was sie draufhaben und lässt das im Hinblick auf die WM sehr gespaltene Land sich anstecken, dann könnten sie auf einer Welle der Euphorie zum Titel reiten. Andererseits haben die Brasilianer während der letzten Weltmeisterschaften gezeigt, dass sie nicht nur joga bonito, sondern auch pomadig herumpöhlen können. Der gern angenommene Heimvorteil wegen des Klimas fällt eh kaum ins Gewicht, weil alle aufgebotenen Feldspieler in Europa spielen. Trotz allem, für mich der größte Favorit.

Uruguay ist eine Mannschaft, die man als Europäer meist nicht so auf dem Zettel hat, die aber unbedingt ein Wörtchen um den Titel mitreden kann. Zur Erinnerung: 15 mal die Copa America gewonnen, 2006 und 2010 jeweils bis ins Halbfinale gekommen. Einmal mag vielleicht noch Glück gewesen sein, ein zweites Mal schon weniger. Könnten zudem den entscheidenden konditionellen Vorteil haben: Uruguay hat die meisten Aktiven im Kader, die tatsächlich bei südamerikanischen Vereinen spielen. Die halbe Mannschaft spielt also nahe der Heimat und ist ans Klima gewöhnt. Engerer Favoritenkreis und mein Geheimtipp.

Ob Spanien noch einmal an die Glanzzeit der letzten sechs Jahre anknüpfen kann, ist fraglich. Zwar sind alle Schlüsselspieler von 2010 bis auf Puyol und Capdevila wieder dabei, aber es wird schwer wie nie. Alle Trainer der Welt haben Spanien inzwischen genauestens studiert und längst taktische Gegenmaßnahmen entwickelt, Der FC Barcelona, der mit Fábregas, Iniesta, Busquets und Xavi immer noch das Mittelfeld des Nationalteams stellt, ist in letzter Zeit arg ins Schwächeln gekommen. Und jünger werden sie auch nicht. Zudem daheim längst nicht mehr alles rund läuft. Im Spanien der Austerität sind die vom Verband ausgelobten hohen Siegprämien gar nicht gut angekommen, hört man. Mitfavorit mit Fragezeichen.

Unbequem vielleicht, aber wahr. Italien ist immer für einen Titel gut. Ich schrub’s schon zur EM 2012: Egal, ob daheim die Stadien bröseln, die Liga in Korruption versinkt, die Leistungsträger sich aufs Rentenalter zubewegen oder sonstwie Krise herrscht - die Squadra Azzurra ficht das alles nicht an. Abgezockt, diszipliniert, cool und mit einem kreativen Durchgeknallten wie Balotelli in ihren Reihen, ist den Italienern auch 2014 vieles zuzutrauen. Write them off at your own peril! Engerer Favoritenkreis, wie immer.

Argentinien ist eine dieser Mannschaften, die der Papierform nach immer um den Titel mitspielen müssten und deswegen von Experten immer wieder als heißer Kandidat gehandelt wird. Vielleicht war Argentiniens größter Trumpf und gleichzeitig größtes Problem während der letzten Turniere der mehrfache Weltfußballer Lionel Messi, auf dessen Künste allein man zu lange gesetzt hat. Bei Barca lange die dominierende Kraft, konnte er im Nationaltrikot nie wirklich überzeugen, wirkte auch sonst arg neben der Spur in letzter Zeit. Allenfalls erweiterter Favoritenkreis.

Es gibt ja Leute, die meinen, Deutschland sei jetzt endlich mal dran mit dem Titel. In der Tat, Zeit würde es langsam. Doch das dürfte schwierig werden. Es scheint sich auch mittlerweile eine Art Löw-Müdigkeit im Lande breitgemacht zu haben. Verletzungsmisere, schlechte Vorbereitung, nur ein klassischer Stürmer, während der gesamten Qualifikation keine echte spielerische Linie erkennbar. Zu viel scheint noch ungeklärt, vielleicht zu vieles hängt davon ab, wie die Mannschaft im ersten Spiel gegen Portugal in den Tritt kommt und zueinander findet. Gehört zum Favoritenkreis, aber mit vielen Fragezeichen. Vielleicht mit zu vielen. Zwischen Heimflug nach der Vorrunde und Halbfinale ist vieles denkbar. Ich lasse mich gern überraschen.


Wer wohl nichts reißen wird

Sicher, die Vorzeichen für Belgien stehen so günstig wie lange nicht. Hervorragende Spieler, ein höchst erfolgreiches Nachwuchssystem. Nach längerer Zeit wieder einmal ein David, der es den etablierten Goliaths zeigen könnte. Trotzdem, ich bin da nicht so sicher, denn allzuviel Expertenlob im Vorfeld ist immer mit högschder Vorsicht zu genießen. Leicht kommt da Portugals 'Goldene Generation' der 1990er und 2000er in den Sinn, die von vielen Experten als die kommende Mannschaft schlechthin gehandelt wurde und bei Turnieren regelmäßig mit leeren Händen heimgefahren ist. Sympathisches Nachbarland, gutes Bier, gute Küche, gute Fußballer, aber wohl kein Geheimfavorit. Erweiterter Favoritenkreis vielleicht.

Gegen spanische Spielkunst fiel Bondscoach van Marwijk 2010 nur ein Gegenmittel ein: Spielkultur ade und gnadenlos auf die Knochen. Damit dürften die Niederlande in die Fußballgeschichte eingegangen sein als die übelste Tretertruppe, die seit Jahrzehnten in einem WM-Finale stand. Hätten die Schiedsrichter das Regelwerk konsequent ausgelegt, dann hätten vielleicht noch sechs Mann den Abpfiff hören dürfen. Der alte Rinus Michels hat wohl noch tagelang im Grabe rotiert. Hans-Peter Briegel, Katsche Schwarzenbeck und Berti Vogts indes dürfte der Neid gefressen haben. Mehr als fraglich, ob der eigenwillige Louis van Gaal es in seiner kurzen Amtszeit geschafft hat, daran etwas zu ändern. Trotz zahlreicher Tore während der Qualifikation, diesmal mangels Klasse kein Mitfavorit.


Die mögliche Sensation

Vielleicht holt vierundzwanzig Jahre nach dem Auftritt Kameruns um Roger Milla endlich mal eine afrikanische Mannschaft den Pott, pardon, die Statue. Kamerun und Ghana haben in der Vorbereitung mehr als solide Leistungen gezeigt und viele etablierte Mannschaften ernsthaft ins Schwitzen gebracht, nicht zuletzt, weil inzwischen viele Profis aus afrikanischen Ländern bei europäischen Topclubs spielen. Mangelnde internationale Erfahrung und Schwächen bei der taktischen Disziplin waren lange die Hauptprobleme afrikanischer Teams, aber das ist längst Geschichte. Schwer auszurechnen.


Zu guter Letzt

Für alle, die sich in den nächsten Tagen das dämliche Gelaber der Kollegen darüber anhören müssen ("Haste schon gehööört...?"), noch einmal zum Mitschreiben. 'Fuleco', der Name des WM-Maskottchens, ist mitnichten ein in Brasilien gebräuchliches Slangwort für das Gesäß, sondern schlicht ein Kofferwort aus 'futebol' (Fußball) und 'ecologia' (Umweltschutz). Danke, BildBlog! Ob das besonders originell ist oder eine Fußball-WM nun unbedingt viel mit Umweltschutz zu tun hat, ist natürlich eine ganz andere Frage.




7 Kommentare:

  1. *hüstel* Fred ... *hüstel* Jô ... ;-)

    AntwortenLöschen
  2. Neben den albernen Fanartikeln (ganz groß und innovativ: Schwarzrotgoldene Schminke im Deckel von Nutella-Gläsern!) kommt jetzt auch eine Zeit der Dauerbeschallung mit dem offiziellen Lied der WM auf uns zu. Musikalisch zwischen allen Stühlen und so gar nicht mein Geschmack, der Text unsäglich banal (nicht, dass man da intellektuelle Höhenflüge erwartet, aber ganz so dümmlich hätte es dann doch nicht sein müssen). Und es wird jeden Tag von morgens bis abends auf allen Sendern laufen. Ole ole ole ola...

    AntwortenLöschen
  3. @Anonym: Wieso das denn? War doch ne gekonnte Schwalbe. XD
    @gnaddrig: Nicht zu vergessen: Scheißrotgold-Überzieher für die Radkappen (letztens gesehen) und Tütennudeln Marke 'Kopfball-Pasta' für die Halbzeitpause *kopfschüttel*. Und bei 'WM-Hymnen' höre ich seit den Tagen von Udo Jürgens grundsätzlich nicht mehr hin, ist besser für die Ohren...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Die beliebten nationalfarbenen M&Ms habe ich neulich auch wieder gesehen. Schwarzrotgoldene Variationen auf Bierdosen sind sowieso de rigeur. Fehlen nur noch schwarzrotgoldener Brotaufstrich und eingefärbte Zahnpasta.

      Und Schnaps. Den kann man sehr schön einfärben, und sicher kann man eine Methode finden, den dreistöckig in Schnapsgläser zu füllen, ohne die Farben zu vermischen, sodass man dann bei jedem Tor unserer (also dem Jogi seiner) Junx stilsicher einen Schwarzrotgoldenen kippen kann.

      Und die Musik, man kann der ja kaum entkommen, so sehr weghören kann man kaum. Blärgs...

      Löschen
    2. Kondome haben sie noch vergessen, glaube ich - Orgien! Orgien! Wir wollen Orgien!

      Löschen
    3. Kartoffelchips lassen sich sicher auch mit drei verschiedenen Würzmischungen bedrucken - Chili/Kakao, Paprika und Curry oder so.

      Löschen
  4. @Stefan: mein Hüsteln war nur als kleiner und gänzlich unwichtiger Hinweis auf den Beschäftigungsort der aufgebotenen Feldspieler gemeint...

    Schwalbe? Aber sicher doch ... die schauspielerischen Einlagen selbst bei kleinsten Fouls, nebst dem ständigen Einfordern von Karten, hatten schon italienische Qualität. Den krassen Gegensatz dazu lieferten gestern die Chilenen ab - wohltuend für mein altes Mannstopperherz. ;D

    Ansonsten völlig d'accord - ich weiß ein gutes Spiel zu schätzen, der ganze (nicht nur nationale) Klimbim drumrum ödet mich auf vielfältige Weise an und läßt mich zum Teil gar fassungslos zurück. Schopenhauer über Patriotismus erklärt das imo ganz gut...

    AntwortenLöschen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.