Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Freitag, 11. Juli 2014
Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (5)
Sondernummer: Ach, Karstadt!
Ist es bloß der Lauf der Dinge? Führt der Weg mich einmal zu Karstadt, dann denke ich ein wenig wehmütig daran, dass der Laden früher fast immer meine erste Anlaufstelle war, wenn ich irgendetwas brauchte und wie wenig das jetzt noch der Fall ist. Meine Besuche während der letzten zehn Jahre lassen sich fast an den Fingern einer Hand abzählen. Der Alternativen sind inzwischen viele: Allein auf dem Heimweg von der Arbeit komme ich auf gerade drei Kilometern an einem wohlsortierten Verbrauchermarkt, einem Baumarkt, meinem Leib-und-Magen-Asia-Laden und an drei Discounterfilialen vorbei. Da lassen sich fast alle Notwendigkeiten des Alltags besorgen, alle haben massig kostenlose Parkplätze direkt vor der Tür, keine Rolltreppen und sind übersichtlich aufgeteilt.
Vielleicht wäre es immer noch klüger, öfter bei Karstadt vorbeizuschauen, denn wenn man bloß ein paar Kleinigkeiten in sinnvollen, vernünftigen Mengen und nicht in Großgebinden braucht, die bald vor sich hingammeln, ist der Laden nach wie vor tatsächlich schwer zu toppen. Allein, ein paar Kurzwaren allein werden's wohl nicht richten.
'Kackstadt' - so verhohnepiepelten wir als Pubertierende den Firmennamen immer. Damals war es Spaß. Sollte der Konzern in nächster Zeit wirklich den Bach heruntergehen, dann sicher nicht wegen der Mitarbeiter. Die wurden im Zweifel schlecht gemanagt, im Stich gelassen, schlecht bezahlt, schlecht geschult. Sie haben immer wieder auf Sonderleistungen verzichtet, haben Lohnkürzungen und eine Nullrunde nach der anderen hingenommen, um die Firma zu retten. Wenn welche unter ihnen sind, die resigniert haben, demotiviert sind und ihren Job nur noch herunterreißen, als hätten sie etwas ausgefressen, kann man es ihnen wirklich verdenken? Nein, die Versäumnisse haben andere sich zuschulden kommen lassen.
Nehmen wir meine örtliche Filiale. Die liegt inmitten einer weitgehend autofreien Innenstadt und hat sich nur aus zwei Gründen bis heute irgendwie halten können: Wegen der Lebensmittelabteilung, die als einziger Nahversorger übrig geblieben ist für all jene, die noch in der Altstadt wohnen und nicht bzw. nicht mehr mobil sind und wegen der wirklich gut sortierten Haushaltswarenabteilung. Im Herbst letzten Jahres war ich mal wieder dort, weil ich einen Weindekanter als Geburtstagsgeschenk besorgen wollte. Wie erwartet, bekam ich da nicht nur die größte Auswahl zu fairen Preisen, sondern wurde auch kompetent und freundlich beraten - auf die Abteilung ist eben Verlass, immer noch.
Ein milder Schrecken überkam mich jedoch, als ich beim Bezahlen bat, mir das gute Stück als Geschenk einzupacken. Die Kassiererin verwies mich auf einen Packtisch in der Ecke und meinte süffisant, da dürfe ich mich jetzt selbst dran versuchen. (Ich unterstelle ihr übrigens keine Häme; möglicherweise fand sie das, gestandene Verkäuferin, die sie war, genau so armselig wie ich.)
Man verstehe mich nicht falsch. Ich hasse es, wenn unzivilisierte Arschgeigen Servicepersonal mit Leibeigenen verwechseln und lege keinen Wert darauf, dass alle immer Kotau und Männchen vor mir machen. Ich erwarte nicht, dass sofort zehn dienstbare Geister devot mich umschwirren und dass jeder Wunsch mir von den Augen abgelesen wird. Im Gegenteil, mich nervt diese aufgesetzte Hilfsbereitschaft und Unterwürfigkeit. Ich will auch nicht immer alles gratis und wäre durchaus bereit gewesen, für das Verpacken einen kleinen Aufpreis hinzulegen. Aber so was geht, mit Verlaub, gar nicht. Wer ordnet so was an? Der Laden hat aufgegeben, dachte ich, als ich mich widerwillig ans Werk machte.
Wer weiß, möglicherweise hat das Prinzip des klassischen Kaufhauses, zumindest in der gewohnten Form, sich wirklich überlebt im Zeitalter von Internet und Shoppingmall und funktioniert vielleicht noch im Hochpreissegment in besonders zahlungskräftiger Umgebung. Bei Karstadt jedenfalls hat man mehrere Jahrzehnte lang offenbar nicht wahrhaben wollen, dass die Welt sich weiterdreht. Sollte es wirklich zum Schlimmsten kommen, dann würden den höchsten Preis die zahlen, die sich am wenigsten wehren können: Die Mitarbeiter.
Immerhin lässt sich etwas wichtiges lernen aus der Krise bei Karstadt (so man das nicht schon längst an anderer Stelle getan hat): Was von einem Investor wie Nicolas Berggruen zu halten ist, der sich für einen symbolischen Preis beim siechen Karstadt-Konzern eingekauft hatte und der ihn jetzt schnellstens wieder loswerden will. Berggruen inszenierte sich nicht nur großspurig als kunstsinniger Retter und Heilsbringer, sondern salbaderte auch ohne rot zu werden, wie sehr es ihm an den Menschen gelegen sei, die in seinem neu erworbenen Konzern arbeiten.
Der feingeistige und humane Retter wurde vielerorts so kritiklos wie hymnisch gefeiert. Jetzt, da die Maske fällt, will man es entweder schon immer gewusst haben oder glotzt mit enttäuschten Kuhaugen in die Gegend. Dabei ist es ganz einfach: Kapitalismus und Mitmenschlichkeit schließen sich aus, immer. Ist nicht mal böser Wille, sondern systemisch. Sobald es irgendwie um Geld geht, gibt sich, was ein echter Kapitalist ist, nur dann menschlich und mitfühlend, wenn es dem Image und letztlich den Kontoauszügen dient. Anders kriegt man nun einmal kein Milliardenvermögen zusammen, da sollte niemand sich Illusionen machen.
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