Sonntag, 24. August 2014

Sendungsbewusst und von sich ergriffen


Gewiss, Typen, die vor Dummheit nur so stinken, die permanent auf Opiaten sein müssten, wenn Dummheit weh täte, weil sie sich sonst die ganze Zeit vor Schmerzen auf dem Boden wänden und sich auch keine Hemmungen auferlegen, die Welt daran teilhaben zu lassen, sind ärgerlich. Zwar gelten Jähzorn und Rachsucht als schwere Sünden, doch ist es selbstredend verzeihlich, wenn jemand Gewaltphantasien bekommt, der es mit einem dieser Intelligenz- und Empathieallergiker zusammentrifft - so lange es bei Phantasien bleibt, versteht sich. Doch so nervig solche Typen sein können, sie stechen vielleicht am unangenehmsten ins Auge, sind aber nicht das größte Problem. Man kann ja bekanntlich auf viele verschiedene Arten Unterschicht sein.

So ist es eine verbreitete bildungsbürgerliche Selbsttäuschung, zu glauben, möglichst viel Bildung bzw. ein möglichst hoher Schulabschluss immunisiere grundsätzlich gegen Dummheit und Naivität, lasse Menschen weniger verführbar werden. Wer das glaubt, braucht sich nur in der Esoterikszene umzusehen. Dort tummeln sich nicht wenige mit Abitur und/oder Studium, die alle den gläubigen Blick draufhaben und denen man noch für den absurdesten Unfug eine Menge Geld aus der Tasche ziehen kann, solange man ihnen den Kram bloß richtig andreht. Zudem man auch ein hervorragendes Abitur machen kann, ohne auch nur über einen Funken kritisches Bewusstsein oder Herzensbildung zu verfügen. Bildung, erst recht formelle, schützt einen im Zweifel vor gar nichts.

Nein, wirklich schlimm sind Halbgebildete, die irgendwann das eigenständige Denken eingestellt haben (wegen anstrengend), sich aber dennoch für ganz große Durchblicker halten und sich gegen jedes noch so sorgfältig abgewogene Gegenargument abschotten. Ein Beispiel unter vielen ist die so genannte Reichsbürgerbewegung. Überflüssig zu sagen, dass sich dem größten Teil ihres politischen Weltbildes schon mittels einer kurzen Wikipedia-Recherche binnen zehn Minuten komplett die Luft rauslassen lässt, aber das hat Verschwörungstheoretiker, die sich im Besitz der Wahrheit dünken, bekanntlich noch nie sonderlich gestört. Viel interessanter ist, welche prominenten Unterstützer sich inzwischen so um sie scharen.

Die Mannheimer Wimmerbrille Xavier Naidoo fällt schon länger dadurch auf, es nicht mehr dabei zu belassen, larmoyant in Mikrophone zu knödeln und das für Soul auszugeben, sondern sich auch zum politischen Aktivisten berufen zu fühlen, der eine wichtige Mission hat. 2012 hat er sich gemeinsam mit seinem Kumpel Kool Savas öffentlich Gedanken darüber gemacht, welche Alternativen zum herkömmlichen Strafvollzug man Kinderschändern am besten angedeihen lassen sollte. Jetzt hat er offenbar auch den Reichsbürger in sich entdeckt bzw. seine Sympathie zu entsprechendem Gedankengut, und performt auf Montagsdemonstrationen vor durchgeknallten Querfrontlern. Nehmt dies, Systemmedien!

Um Missverständnissen vorzubeugen: Selbstverständlich geht es völlig in Ordnung, wenn ein erfolgreicher Popmusiker wie Xavier Naidoo eine politische Haltung hat, die überhaupt nicht meine ist und diese auch öffentlich verkündet. Darf er gern tun, man kann über alles diskutieren und ich will gewiss niemandem den Mund verbieten. Nicht in Ordnung aber ist jenes heiligmäßig missionarische, keinerlei Widerspruch duldende Sendungsbewusstsein, mit dem er das tut. Ohne Frage ist es gut und sinnvoll, herrschenden Mainstream und gängige Deutungen infrage zu stellen, aber mit sich diskutieren lassen sollte man schon noch. Und da hapert es oftmals, nicht nur bei den Reichsbürgern.

Abgesehen davon dass durch grenzwertige Laienprediger wie Naidoo christlicher und sonstiger Fundamentalismus in den Mainstream einsickern, wie Georg Diez meint, macht einer wie Naidoo sich zum nützlichen Idioten von Rechten und anderen gründlich Hohlraumversiegelten. Die versuchen seit langem, beim braven Normalbürger zu punkten, indem sie hirnrissige aber populäre Forderungen stellen, die auch von Leuten unterstützt werden, die sich nie im Leben als rechts bezeichnen würden: Todesstrafe für Kinderschänder und Drogendealer, weg mit den Besatzungstruppen und so weiter.

In Naidoo haben sie nun einen Vorzeigemigranten mit - Yo, man! - massig Credibility bei der Jugend gefunden, auf den sie sich jederzeit berufen können. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob der in erster Linie von sich selbst ergriffene Säuselbarde schon begriffen hat, wer ihm so alles applaudiert und zu wem er sich ins Bett legt.


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