Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Sonntag, 31. August 2014
Zur Verteidigung des Trolleykoffers
Zum Abschluss der Urlaubssaison eine kleine Apologie
Rollkoffer, auch Trolleys genannt, haben einen schlechten Ruf. Die Teile sind während der letzten Jahre zum Standardaccessoire jener Schlips-, Kragen- und Kostümbratzen geworden, die die ICEs und Flugzeuge dieser Welt in Legionsstärke bevölkern und die Nerven ihrer Umwelt nicht selten mit ihrem penetranten Wichtigsein maximalst strapazieren. Auch das Geräusch, mit dem er verzweifelt Schlaf suchende Anwohner von selbigem abhält, wenn er nächtens von vom Wochenendtrip heimkehrenden Partytouristen über das Katzenkopfpflaster Berliner In-Kieze gezerrt wird, ist für den Leumund des Trolleys nicht gerade hilfreich. Wer mit Trolley unterwegs ist, gilt entweder als karrierefixierter Schweinekapitalist oder als asozialer Ruhestörer.
Was soll das? Eine Zeit lang trug auch jeder hergelaufene Businessfuzzi eine englische Wachstuchjacke. Das änderte nichts daran, dass so ein Stück bei richtiger Pflege nicht nur ein Leben lang halten kann und zuverlässig seinen Dienst tut, sondern auch zeitlos ist, insgesamt also alle Voraussetzungen erfüllt, die ein Kleidungsstück zu einem Klassiker jenseits aller Moden zu und damit zu einer sinnvollen Anschaffung machen. Bestimmte Dinge allein deswegen abzulehnen, weil sie auch von unangenehmen Zeitgenossen geschätzt werden, ist keine Haltung, sondern bloßes Schielen auf andere und zeugt nicht unbedingt von Reife oder Selbstbewusstsein.
Was das das nächtliche Geratter angeht: So what? Wer in die Nähe einer stark befahrenen Bahnlinie zieht, muss auch irgendwie damit klarkommen und soll nicht die Bahn verklagen. Das Genöle erinnert ein wenig an das Gehabe von Zugezogenen, die, so heißt es, seit einigen Jahren massenhaft aus schwäbischen Kleinstädten zum Beispiel nach Prenzlauer Berg ziehen, weil's dort so charmant und ursprünglich ist und dann alles daran setzen, ihre neue Umgebung wieder in jene schwäbische Kleinstadt zu verwandeln, aus der sie gekommen sind. Wer sich par tout nicht mit den Begleiterscheinungen des Großstadtlebens arrangieren kann, soll eben weg bleiben und die Ureinwohner in Ruhe lassen, Herrgott.
So wie Dinge nicht allein dadurch schlecht sind, dass die falschen Leute sie mögen, sind sie es auch nicht, bloß weil sie neu auf den Markt kommen oder Trends sind. Schon die Renaissance des Tagesrucksackes während der Neunziger hat das Leben angenehmer gemacht. Wer wie ich, wenn eben möglich, mit dem Fahrrad unterwegs ist und gelegentlich ein Schwimmbad aufsucht, kann sich ein Leben ohne so einen hilfreichen Affen nur noch schwer vorstellen. Denn eines geht allzu leicht unter: So ein Rolldings ist einfach unschlagbar praktisch. Wenige Erfindungen der letzten Jahre haben das Reisen derart erleichtert und vor allem auch ausnahmsweise die Versprechungen gehalten, wie sie Neuheiten tatsächlich oft zu Unrecht angeheftet bekommen.
Vor zwei Jahren habe ich sommers mal wieder meine Verwandtschaft auf der Insel besucht. Am letzten Tag machte ich mich auf, vom Flughafen Luton aus den Heimweg wieder anzutreten. Obwohl ich schon großzügig Zeit eingeplant hatte - ich war schließlich auf Urlaub - musste ich feststellen, dass das Flughafenmanagement und der dort ansässige Leutezusammenpfercher EasyJet einige zeitraubende Rationalisierungsmaßnahmen ins Werk gesetzt hatten. Weil meine getreue Reisetasche ernsthafte Auflösungserscheinungen zeigte, hatte ich mir vor der Reise bei der örtlichen, seit langem dahinsiechenden Karstadt-Filiale für einen absurd heruntergesetzten Preis einen Trolley eines Markenherstellers besorgt.
Weil in Luton, wie gesagt, die Fluggesellschaft mit der geringsten Beinfreiheit der Welt ihren Firmensitz hat, gibt es in der Abflughalle eine endlose Reihe von zirka dreißig Eincheckschaltern in schreiendem Orange. Nun kostet es leider eine Kleinigkeit, eine gewisse Anzahl davon mit Personal zu besetzen und das geht schließlich gar nicht bei einem Billigflieger. Gerade einmal zwei Schalter befand man für ausreichend für neolithische Deppen wie mich, die es verbaselt hatten, zuvor online einzuchecken. Die Warteschlange war geschätzte hundert Meter lang und die Warterei dauerte eineinhalb Stunden. Das Abfluggate habe ich nur auf den letzten Drücker noch erreicht.
Ich stellte mich widerwillig hinten an, fuhr den Griff meines neuen Rollkoffers aus und war sofort hin und weg. Ohne jeden Kraftaufwand glitt er auf dem polierten Granitboden in bequemer Höhe neben mir her. Wie konnte ich nur jemals mit etwas anderem verreisen? Klar, ich hätte auch einen Gepäckwagen leihen können, hätte mir aber mit dem sperrigen Ding sehr viele Feinde in dem Gedränge gemacht. Ich malte mir aus, wie die Griffe der alten Tasche mir jedes Mal in die Hand geschnitten hätten und was meine nicht mehr taufrische Wirbelsäule dazu gesagt hätte, wenn ich das Ding über neunzig Minuten andauernd hätte hochheben müssen.
Außerdem konnte ich mich im sicheren Bewusstsein wiegen, dass die Hartschalen meines neuen Lieblingsgepäckstücks hart genug sein würden, dass den drei Gläsern englischen Senfs, die ich in ihm importierte, auch bei ruppigster Behandlung nichts zustoßen würde.
1 Kommentar:
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AntwortenLöschenAnders Dykman