Samstag, 21. Februar 2015

Bücher für den Neurotischen


Was für eine schöne Überraschung am Samstagvormittag! Den einzig wahren, von mir sehr geschätzten kiezneurotiker interessiert offenbar, was ich so zu lesen beabsichtige und schmeißt darob mit Stöckchen nach mir. Und dann noch mit einem, das mir deutlich sympathischer ist als das vorherige (nicht persönlich nehmen, Roger). Fünf Bücher soll ich aufzählen, die ich im Laufe dieses Jahres lesen möchte und dann fünf bei mir verlinkte Blogger nominieren, es mir gleichzutun. Das ist doch schon eher meine Welt! Finde ich eine schöne Idee, mache ich sehr gern.

Zwar möchte ich nicht mit großen Vorreden langweilen, erlaube mir aber drei Bemerkungen: Obwohl ich überwiegend Sach- und Fachbücher lese, steht hier zu 80 Prozent Belletristisches. Das liegt daran, dass ich mir Sach- oder Fachbücher zu aktuellen Themen in der Regel nicht vornehme, sondern dass sie mir eher passieren. Sehe ich in meiner exzellenten Stadtbücherei etwas, das mich interessiert, leihe ich's aus und schau mal rein, damit ist der Fall in neun von zehn Fällen erledigt. Weiterhin sind keine Bücher dabei, die ausschließlich als E-Books zu haben sind. Kind der Gutenberg-Galaxis, das ich bin, bevorzuge ich bedrucktes Totholz, das ganz altmodisch im Schrank vergammelt. Wen ich also jemals bitte, mir beim Umzug zu helfen, sollte sich auf einige Bücherkisten gefasst machen. Und schließlich nenne ich die fünf Bücher alphabetisch nach Autorennamen, weil ich keine Bewertung vornehmen mag.


Stefan Aust/Dirk Laabs: Heimatschutz. Der Staat und die Mordserie des NSU

Klar, Aust ist nicht eben unkontrovers. Ist er doch der Hauptverantwortliche dafür, dass das einst so stolze, antiautoritäre, im Zweifel linke Sturrrmgeschütz der Demokrrratie sich zu einer neoliberalen Propaganda- und Kampfpostille gewandelt hat. Andererseits ist der Mann ein akribischer Recherchierer, weswegen sein 'Baader-Meinhof-Komplex' bis heute ein Standardwerk über die RAF ist und unerreicht, was die Fülle der Fakten angeht.

Daher ist zu vermuten, dass Stefan Austs und Dirk Laabs' 'Heimatschutz' für längere Zeit die wichtigste Quelle sein wird für alle, die sich gründlich darüber informieren möchten, wie es in Bezug auf Rechtsextremismus um dieses Land, um diese Gesellschaft im 21. Jahrhundert bestellt ist und wie gewaltig das Staatsversagen war, als es darum ging, einem mordenden Nazinetzwerk das Handwerk zu legen. Ein Buch, das man vielleicht nicht gern liest, das aber wahrscheinlich gelesen werden muss. Ich kann nicht sagen, mich darauf zu freuen.


Raymond Chandler: Der große Schlaf

Wichtiges Buch. Für die Kriminalliteratur definitiv das, was man einen Schlüsselroman nennt. Vielleicht ist Raymond Chandlers Debütroman der Urknall eines ganzen Genres. Und ich mag Krimis. Wenn Edgar Allan Poe den Krimi als literarische Gattung erfunden hat, Arthur Conan Doyle die Figur des modernen Detektivs und nebenbei die personale Erzählperspektive, dann hat Chandler mit Philip Marlowe den Hardboiled detective erfunden, ohne den der 'Film noir' nicht denkbar ist. Fast alles, was man über Detektive zu wissen glaubt und fast alles, was andere seitdem mit Detektiven als Hauptfiguren geschrieben haben, steht oder stand zuerst bei Poe, Doyle und Chandler.

Bekanntlich ist gute Literatur - Phrasenalarm! - zeitlos. Wenn das so ist, dann ist Chandlers 'großer Schlaf' ganz große Literatur. Nach kurzer Zeit hat man vergessen, dass die Handlung im Los Angeles der 1930er spielt. Weil solche Kleinigkeiten nicht wichtig sind. Weil hier infrage gestellt wird, die Verhältnisse in einer Tour ins Rutschen kommen. Weil hier nichts Geringeres als die Conditio humana in der Moderne verhandelt wird. Marlowe bewegt sich durch eine Welt, in der es gut und böse, richtig und falsch nicht mehr gibt, versucht dabei halbwegs anständig zu bleiben und bekommt dafür auf die Fresse. Ein an Leib und Seele verwundeter Zyniker, ein heutiger Schmerzensmann. Das und nicht seine Trenchcoat-Coolness hat ihn zum Klassiker gemacht.

Hey, Moment, wenn der das Buch so gut kennt, warum steht es dann hier? Weil 'Der große Schlaf' für mich bislang auch eines dieser Bücher geblieben ist, die sich nicht so leicht hergeben, die erobert werden wollen. Zwei, drei mal habe ich es angefangen, aber nie zu Ende gelesen. Fasziniert war ich, doch der Sog hatte irgendwann nachgelassen. Trotzdem lässt mich das nicht los, ich habe das Gefühl, noch nicht fertig zu sein damit und es zu Ende lesen zu müssen. Da kommt noch was, ganz sicher. Weil es immer noch cool ist, groß und wahr. Außerdem habe ich jetzt, da ich die von Thomas Müller (nein, nicht von dem) wunderschön illustrierte Ausgabe der Büchergilde Gutenberg besitze, eh keine Ausrede mehr.

[Normalerweise ist das hier ja eine werbefreie Zone, doch sei an dieser Stelle allen, die sich für liebevoll gestaltete Bücher erwärmen können, die Büchergilde Gutenberg ans Herz gelegt. Ein Buchclub, dem man viermal im Jahr etwas abkaufen muss, sicher, doch ohne Mindestumsatz. Außerdem ist es der schönste, den es gibt. Ehrlich! Nicht bezahlte Anzeige, gern geschehen.]


Michel Houellebecq: Die Möglichkeit einer Insel

Das Getue um so genannte Modeautoren geht mir gehörig auf den Sack. Je mehr medialer Wirbel um so einen gemacht und je aufdringlicher mir verklickert wird, dass ich das unbedingt zu lesen hätte, wollte ich nicht überall als Missing Link zwischen Neandertaler und Homo sapiens durchgehen, desto mehr schalte ich normalerweise auf Durchzug. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Michel Houellebecq ist so eine. Man kann halten von ihm, was man will, aber der Mann hat einen geradezu unheimlichen Riecher für relevante Themen, er spricht Fragen an, die tatsächlich unbequem sind, klatscht unserer modernen, aufgeklärten Gesellschaft ihre Widersprüche und Lebenslügen um die Ohren und hat die Gabe, das wie kein Zweiter sprachlich auf den Punkt zu bringen. Überdies ist er ein Erzschelm. Noch jedem, der ihn vor einen Karren spannen wollte, hat er eine Nase gedreht. Ein Hofnarr.

Noch zwei Dinge zeichnen Houellebecq aus: Seine Kunst, komplexe Zusammenhänge und provokante Gedanken mittels essayistischer Einschübe in wenigen Sätzen auf ihren Kern herunter zu schälen. Und seine Fähigkeit peinliche Situationen derart plastisch zu schildern, dass einen beim Lesen die Fremdscham packt. Ich habe mich schon dabei ertappt, wie ich laut sagte: "Junge, lass' es bleiben, das wird nichts!"

Das Leiden seiner Figuren an der Gegenwart, das wohl auch seins ist, hat dazu geführt, dass er immer mal wieder zur Gallionsfigur von irgendwas erklärt wird. Alt- und neukonservative Anti-Achtundsechziger, Antifeministen und neuerdings so genannte Islamkritiker haben ihn schon als ihren Fürsprecher auf den Schild gehoben. Zu unrecht. Houellebecq ist eben kein verbohrter Anti-Achtundsechziger, seine Figuren müssen nur ein ums andere Mal schmerzlich feststellen, dass fast alle Verheißungen und Erwartungen, die gemeinhin mit der Chiffre '68' verbunden sind, nicht in Erfüllung gegangen sind, wenn sie sich nicht gleich in ihr genaues Gegenteil gewendet haben. Auswege? Mord und Therapie ('Ausweitung' der Kampfzone'), eine neue Rasse von Superklonen ('Elementarteilchen') oder Rückkehr zur Religion ('Unterwerfung')? Antworten gibt es keine.

'Die Möglichkeit einer Insel' ist mir damals irgendwie durchgegangen. Habe es gekauft, ganz kurz hineingesehen und es dann ins Regal gestellt. Seitdem steht es da und reizt.


Tommy Jaud: Resturlaub

Ja, richtig gelesen: Tommy Jaud. Eskapismus. Schenkelklopfer. Rückstandsfreie Unterhaltung. Piepe, was man von mir denken mag, aber Jauds 'Millionär', das hier eigentlich nicht auftauchen darf, weil ich es schon gelesen habe, das ich aber trotzdem empfehle, hat nicht nur eine schnurrig-schräge Grundidee, sondern hat mir auch einen der heftigsten Lachanfälle der letzten Jahre beschert. Ich musste es zwischendurch weglegen, weil ich nicht mehr weiterlesen konnte (an welcher Stelle, wird natürlich nicht verraten). Ein Autor komischer Bücher, der so was hinbekommt, versteht jedenfalls sein Handwerk und verdient daher unbedingt Respekt und Beachtung. 'Vollidiot', den Vorgänger zu 'Millionär', fand ich nicht so dolle, aber 'Resturlaub' wird allgemein gelobt, vor allem von der lieben M., die mir damals 'Millionär' schmackhaft gemacht hat. Also das. Vielleicht passiert's ja nochmal. Wäre schön.


Kurt Tucholsky: Rheinsberg, Schloss Gripsholm

Sind eigentlich zwei Bücher, ich weiß, doch handelt es sich um so schmale Bändchen, dass ich es vertretbar finde, sie unter einem Posten zusammenzufassen. Tucholsky ist nun einmal der unangefochtene Meister der kleinen Form, und so sind auch seine beiden eigenständigen Bücher eher knapp geraten. Trotzdem habe ich sie beide immer noch nicht gelesen. Eigentlich seltsam, denn Tucholsky ist einer meiner Favoriten, ja, er hat einen festen Platz auf meinem literarischen Hausaltar. Es besteht also Nachholbedarf.

Es gab Zeiten, in denen ich meine inzwischen arg zerlesene Taschenbuch-Gesamtausgabe, die ich, glaube ich, noch als Schüler für fünfzig Mark erstanden habe, mindestens einmal im Jahr hervorgekramt und genussvoll quergelesen habe. Die tiefe Menschlichkeit, die immer wieder aus seinen Zeilen spricht, war mir in schweren Zeiten mehr als einmal Trost und Stütze, die juristisch geschulte Unbestechlichkeit manchmal Leitstern. Nur bin ich, wie gesagt, irgendwie nie so recht dazu gekommen, auch die beiden längeren Sachen zu lesen. Möge der Geier wissen, warum

Übrigens bekommt gerade 'Schloss Gripsholm' oft so tantige Attribute angeheftet wie 'charmant', 'reizend' oder 'entzückend'. Ich müsste Tucholsky jedoch schlecht kennen, um nicht wenigstens zu vermuten, dass es da im Subtext noch ganz anders zur Sache geht. Denn mit den Frauen konnte er's, und zwar nicht zu knapp. Ein Grund mehr, in diesem Jahr noch einmal zur Gesamtausgabe zu greifen.


So denn, das wären meine fünf Buchbaustellen für dieses Jahr, es hat mich sehr gefreut. Wird aber höchstwahrscheinlich eh nicht klappen, weil mir anderes in die Quere kommen wird, aber das ist ja gerade das Schöne am Lesen. Jetzt, wo ich so drüber nachdenke, kommt mir natürlich auch noch jede Menge anderes in den Sinn, was ich seit langem unbedingt mal lesen wollte. Operation gelungen also. Bleibt noch zum Schluss, fünf bei mir verlinkte Blogger zu nominieren. Auch das fällt mir deutlich leichter als beim letzten Mal (ich würde eher gern einige mehr nominieren, nicht genannte bei mir Verlinkte mögen also bitte nicht enttäuscht sein).

Ladys und Gentlemen, the nominees are (in alphabetical order):

Elmar Benninghaus
gnaddrig, ob ad libitum oder nicht
Thomas Steinschneider
Markus Vollack alias Epikur
und Was weg muss muss auch ran.

Also, Hasso, fass! Apport!



5 Kommentare:

  1. Wuff. Wuff. Stöckchen gefangen und morgen wieder ausgespuckt ;-)

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  2. Es tut mir leid, aber hier muß ich mich entschuldigen lassen. Ich fühle mich durch das Interesse gegehrt, aber ich habe ein grundsätzliche Abneigung gegen Blogstöckchen und werde auch dieses nicht aufgreifen. Hoffentlich klingt das nicht zu unfreundlich, denn es ist ganz und gar nicht unfreundlich gemeint!
    Und vielleicht kannst Du ja noch jemanden nachnominieren, denn es wäre ja schade, wenn meine Verweigerung jemanden um eine Möglichkeit bringen würde, die er mehr zu Würdigen vermag als ich! :)

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    1. Nu ja, wer nicht will, der will eben nicht, kann man nix machen...
      @epikur: Braaav! *tätschel* ;-)

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  3. Also, ich bin jetzt mal voll ad libitum und überlege noch, ob ich diese Steilvorlage zur Selbstdarstellung verwandeln soll.

    * mit einem Poff veschluckt eine Rauchwolke die Bühne; als der Rauch sich verzieht, ist gnaddrig verschwunden *

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