Freitag, 12. Juni 2015

James, at last


Na, wer erinnert sich noch an Partykeller? Diese Räuberhöhlen des Frohsinns begannen sich westdeutsche Wohlstandsfamilien vermehrt ab den Sechzigern unter ihren Eigenheimen einzurichten (wie das im Osten war, weiß ich nicht, ich glaube, da war’s eher die Datsche, oder?). Die gab es nicht allein aus Spaß, sondern auch, weil genau der Platz im Keller frei war, den die vorige Generation noch zum Einlagern von Vorräten genutzt hätte, für schlechte Zeiten. In den Achtzigern wurde der Partykeller dann zunehmend von der Heimsauna verdrängt, danach von Fitnessgeräten. Seither verzichten immer mehr Häuslebauer gleich ganz auf einen Keller. Aus Kostengründen

Partykeller kamen natürlich in vielen Varianten daher. Von der einfachen, selbst gezimmerten Eigenbau-Version mit viel rohem Holz, deren luxuriöseste Features ein Kühlschrank und eine selbst gelötete Lichtorgel waren, bis hin zu mit professionellen Zapfanlagen, discomäßig illuminierter Tanzfläche und ledernen Sitzgruppen ausgestatteten Wohlfühllandschaften. Endgültig geschafft hatte es übrigens, wer neben dem Mercedes vor der Tür noch einen Billardtisch im Partykeller hatte. Als Kind wurde ich in so einige dieser Keller mitgeschleppt. Hatte ich Glück, waren ein paar andere Kinder da, mit denen ich mich gemeinsam langweilen konnte, derweil die Erwachsenen sich gepflegt die Kante gaben und zu vorgerückter Stunde der Onkel Erwin der Tante Heidi schon mal von hinten an die Schulter fasste.

Die Beschallung war nicht selten von James Last. Es war die Musik des allerkleinsten gemeinsamen Nenners. Musik an der man sich unmöglich stoßen konnte, auch wenn man mit Anlauf dagegen gerannt wäre. Lasts Konsensmusik war der Soundtrack der kleinbürgerlichen Konsensrepublik Westdeutschland in den Siebzigern. Egal, was ihm unter die Finger kam, Last bügelte es glatt und machte es partytauglich. Keine Musikrichtung auf der Welt war sicher davor, durch die "Last’sche Klangeinebnungsmaschine" (Jan Feddersen) gewurstet zu werden. Freundlicher ausgedrückt, kannte der Mann keinerlei Berührungsängste. So kam es, dass nicht nur Partykeller mit seiner Musik beschallt wurden, sondern auch Kaffeekränzchen, Cocktailpartys und jede Menge andere Anlässe.

Das Ergebnis waren unzählige Platten, die heute teils für Cent-Beträge verhökert werden. Wegen der hohen Auflagen und weil so viele die inzwischen geerbten Häuser ihrer Eltern ausmisten. Happy Sound. Non Stop Dancing. Polka Party. Man sieht’s und mag einfach nicht glauben, wie ungeheuer erfolgreich das einmal war. Alle Erwachsenen schienen das im Schrank gehabt zu haben damals.

Vielleicht war es nicht nur die aalglatte Musik, die niemandem weh tat, sondern auch sein ganzer Habitus, der den 1929 in Bremen geborenen Last so zeitgeisttauglich machte. In jenen Zeiten galten Dirigenten noch als Übermenschen, als höhere Wesen, die ihr Leben der Kunst geweiht hatten. Meine im Kirchenchor aktive Mutter erzählte einmal, dass Chorleiter sich in den Sechzigern durchaus noch mit ‚Meister‘ anreden ließen. In Gegenwart weißmähniger Pultdiktatoren wie Herbert von Karajan und Leopold Stokowski krochen selbst gestandene Orchestermusiker ergriffen zu Kreuze und brachten vor Ehrfurcht kaum einen Ton heraus. Auch die Jazzer umwehte oft was Elitäres.

Last dagegen, der wegen seines Fleißes und riesigen Outputs auch von ordnungsliebenden Zeitgenossen allgemein respektiert wurde, obwohl sie ihn vielleicht gern mal zum Friseur geschickt hätten, war da anders. An ihm war nichts Zackiges, seine Rolle als Bandleader interpretierte er kumpelig, sein Dirigat war, wenn überhaupt zu sehen, minimalistisch. Warum auch groß dirigieren, die tollen Jungs und Mädels, die ich da um mich habe, die haben das doch drauf, war sein Motto. Insgesamt wirkte er wie der Sozialkundelehrer von nebenan, der alles Autoritäre ablehnte und es anders machen wollte als die prügelnde, NS-belastete Generation der Befehlsausführer.

Was mich angeht, verhält es sich bei James Last ein bisschen wie mit ABBA. Als Kind der Siebziger wuchs ich damit auf, weil die Eltern das da hatten und ich auch selbst gern reinhörte. Kinder mögen Zuckrig-Klebriges nun mal besonders gern. In den Achtzigern, dem Jahrzehnt der Adoleszenz, in dem wir in den Partykellern unserer Eltern Feten veranstalteten, sofern dort noch keine Sauna eingebaut war, waren ABBA und James Last maximale Peinlichkeiten, die es mit Punk und Heavy Metal zu exorzieren galt. Ladies first, James Last.

Wer nämlich ab einem gewissen Alter gestand, gern auch einmal James Last zu hören, konnte sich gleich die Eselsmütze aufsetzen. Hätte man statt dessen eingestanden, es zu lieben, sich am ganzen Körper mit Fußpilzsalbe einzureiben, zu Marschmusik in Vaters alte Socken zu onanieren und dazu an Muttis getragenen Schlüpfern zu riechen, die Reaktionen wären kaum anders ausgefallen. James Last gut finden war so unfassbar und abgrundtief uncool wie Handarbeitsunterricht, Heino-Platten und Blümchenbadekappen. Das Thema schien erledigt.

In den ironischen Neunzigern wurde James Last von einer unbelasteten, unvoreingenommenen Generation als 'Easy Listening' wiederentdeckt und ohne Probleme in eine Reihe mit andern Legenden wie Burt Bacharach, Herp Alpert und Bert Kaempfert gestellt. Da zeigte der tiefenentspannte Alte dann, dass er nicht nur immer noch knackig Bass spielen konnte, sondern sich auch vor absolut nichts bange machte, was die jungen Leute so hören, sondern sich im Gegenteil eine entwaffnende Offenheit bewahrt hatte. Gefiel mir.

Weil seitdem wieder häufiger über den Bremer Bandleader berichtet wurde, war so einiges zu erfahren, was ihn noch sympathischer werden ließ. Dass sein Werk neben der berüchtigten Massenware auch echte Perlen aufwies. Dass Geld ihm lange völlig egal war, dass er bis ins hohe Alter hinein gern Party machte, dass er sich seine Musiker, alles echte Könner, ein Leben lang kümmerte und nicht zuletzt, dass Tourneen und Probenworkshops oft in legendäre Besäufnisse ausarteten. Ein Arbeitstier, aber aus Lust an der Sache, nicht aus Verkrampfung, aus Gehorsam oder bloß des Geldes wegen. Zu seinen besten Zeiten war das ein echter Fortschritt. Schwer in Ordnung gewesen, der Typ. In diesem Sinne: Lass' krachen, Hansi!



3 Kommentare:

  1. Moin Stefan

    Ich kenne den Stagemanager von James Last. Der ist stilistisch eigentlich ganz woanders unterwegs, aber wenn eine Tour anstand, hat der alles stehen und liegengelassen und ist mit. Da konnte das schönste Job-Angebot in allen Farben des Geldes leuchten.
    Die J. Last-Nummer war wohl nicht nur hochprofessionell aufgezogen, sondern auch in familiärer und kollegialer Atmosphäre. Der Umgangston hob sich nach vielen Berichten wohltuend vom Normalfall ab. Das soll nach übereinstimmenden Worten in erster Linie am Chef gelegen haben, der wohl der Obersympath vor dem Herren war.

    Das mit der Musik… ach, mein Gott: Wir müssen alle von irgend etwas leben. Und im übrigen hieß er James Last und nicht »die bösen Onkelz«. Nicht nur deswegen sollte man ihn in guter Erinnerung behalten.
    Aber das hast Du in Deinem schönen Artikel ja bereits begonnen.

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    1. Moinsen,
      besten Dank auch. Den Stagemanager kann man verstehen. Die Truppe muss wirklich eine große Familie und Last mehr als ein vorbildlicher Chef gewesen sein. Hat in den Siebzigern für seine Musiker sogar eine Art Erholungsheim in der Lüneburger Heide gebaut. Konnten alle kostenlos nutzen, hatten alle einen Schlüssel, Kühlschrank war immer voll.

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  2. Ist eigentlich kaum noch etwas hinzuzufügen.
    Hätte mir in den 70ern jemand vorhergesagt, dass ich mir später jemals in fortgeschrittenem Alter tatsächlich ne Scheibe von James Last kaufen würde: Ich hätte ihn für verrückt erklärt. Aber es kam anders - und ein Link dazu fehlt vielleicht noch:
    Fettes Brot & James Last - Ruf mich an
    https://www.youtube.com/watch?v=ImhavCwxscM

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