Montag, 2. November 2015

Durchlauferhitzte Krähwinkelei


"History does not repeat itself but it rhymes." (Mark Twain)

Es gibt in Deutschland diese Tradition, Staatswesen, demokratisches gar, nicht als gemeinsame Aufgabe aller Bürger zu begreifen, sondern als Obrigkeit, an die man die Verantwortung für die Politik weitgehend abtritt, die man mal machen, von der man sich bereitwillig regieren lässt und sich ansonsten heraushält. Das ist natürlich höchst bequem, denn wenn's mal schief läuft, dann ist man's auch nicht gewesen als Bürger, sondern "die da oben", die "eh machen, was sie wollen". So bin ich mir alles andere als sicher, ob es sich nur um eine Einzelmeinung handelte, wenn etwa meine selige Großmutter zu sagen pflegte, am zweiten Weltkrieg sei ausschließlich und allein "die Politik" schuld gewesen. Es könnte sich als größte, nachhaltig schädliche Folge der Kanzlerschaft Merkels erweisen, dieser Art von Aversion gegen die Politik mit ihrer jegliche Kontroverse erstickenden Art Politik zu machen massig Futter gegeben zu haben.

Es ist die Ursünde von Teilen des deutschen Konservatismus, vor 1933 in maßloser Selbstüberschätzung geglaubt zu haben, man könne Hitler und seine Mischpoke domestizieren und für eigene Zwecke einspannen und ferner zu glauben, die Nazis würden es ihren Steigbügelhaltern später einmal danken. Theoretische Grundlage für diesen Jahrhundertirrtum war unter anderem eine 'Konservative Revolution' genannte Strömung. Die war recht vielgestaltig, bestand aus alten Monarchisten, neuen Völkischen, Kirchenmännern, Antisemiten und reichen Herrenmenschen. Bei aller Verschiedenheit einte sie aber ein antibürgerlicher Überdruss an der als der deutschen Kultur nicht gemäß empfundenen Republik und an der Moderne, die ihrer Auffassung nach über Jahrtausende gewachsene Ordnungen auf den Kopf stellte. Ein Affekt gegen den als verweichlicht empfundenen Liberalismus, dem das in ihren Augen Heiligste, das deutsche Volk und seine Kultur nämlich, egal zu sein schien.

Es ist wichtig zu verstehen, dass die wenigsten dieser Konservativen Revolutionäre Nazis waren. So teilte vielleicht nur eine Minderheit deren größenwahnsinnige Weltmachtphantasien. Im Gegenteil, die meisten waren eher verzagt und verzweifelt, weil sie andauernd um Deutschland fürchteten, das sie von allem möglichen bedroht sahen. So wie die, die unter dem Rubrum 'Neue Rechte' unterwegs sind, keine Neonazis sind, weil sie nicht auf Hitler und die NSDAP, sondern auf eben jene Konservative Revolution der 1920er und 1930er als Vorbild berufen.

Klar, wir haben 2015, aber die Neigung zu einfachen Lösungen in einer als zunehmend komplexer empfundenen Welt stirbt eben nicht aus. Das Ressentiment gegen die freie Gesellschaft scheint ganz ähnlich zu sein wie damals. Jene Sehnsucht nach einem diffusen, imaginierten Früher, wo klare Verhältnisse herrschten, wo es noch Grenzen gab, wo man Dinge noch ohne Political Correctness beim Namen nannte, wo noch nicht jeder Hans und Franz studieren durfte, wo Frauen, Schwule, Moslems, Ausländer noch nicht dauernd aufmuckten oder wenigstens nicht mit Staatskohle gepampert wurden, geschweige denn uns unterwandern oder gendern, ja verschwulen durften und wo Deutschland noch keine ferngesteuerte Filiale der USA war.

"Die AfD ist ja nicht nur eine Partei, sie ist auch ein wichtiger Vernetzungspunkt für verschiedenste Protagonisten aus dem neurechten Milieu. Selbst wenn sie in Zukunft keine besonders guten Umfrage- oder Wahlergebnisse mehr holen sollte, wird sie weiterhin ihren Teil zur Organisation des neurechten, autoritären, antiwestlichen, fremdenfeindlichen und homophoben Impulses beitragen." (Christoph Giesa)

Auch heute funktioniert das im Lande Pegidistan und der AfD noch so: Man stellt seine eigenen Befindlichkeiten, die die einer Minderheit sind, sowie seine eigene Erfahrungswelt, die die einer Minderheit ist, als maßgeblich, als die einer schweigenden, mundtot gemachten Mehrheit hin und nimmt daher für sich in Anspruch, die wahren Demokraten zu sein, weil man ja lediglich den Volkswillen gegen den Widerstand des linken Mainstreams, der Lügenpresse und der verfilzten Eliten exekutiere. Ferner pflegt man das große Mimimi, einen absurden, gelegentlich in Angstlust umschlagenden Opferdiskurs, in dem Deutschland und die Deutschen als ewig betuppt und qua Islamisierung und Überfremdung, die nach hoch geheimen, nur von Druidenmund zu Druidenohr weitergegebenen Masterplänen vollzogen wird, vom Aussterben bedroht sind. Auf so etwas wie Freiheit ist eh geschissen, weil sie längst von üblichen Verdächtigen usurpiert und abgeschafft wurde.

Solches Denken macht einen noch nicht zum Nazi. Doch steigt die Gefahr, zum Kollaborateur zu werden, die Bereitschaft, sich bei ihnen unterzuhaken. Weil so einer Gemengelage Brandstiftung eben keine ruchlose Tat mehr ist, sondern zu einem durchaus legitimierbaren Akt der Notwehr wird. Das Internet bzw. die Filter Bubbles der sozialen Netze sind nicht die Ursache dafür, sondern wirken da als Durchlauferhitzer. So wie schon die ganzen obskuren, völkischen, nationalrevolutionären, antisemitischen Strömungen der Zwanziger und Dreißiger alle ihr eigenes Schrifttum hatten (Fun Fact: Eine der ersten NS-Publikationen hieß ursprünglich 'Weckruf'), mit dem man sich gegen die Zumutungen einer freien Presse und des gesellschaftlichen Mainstreams immunisieren konnte.

"Der alternde Rassist im Erdgeschoss gönnt sich sein morgendliches Bier, während er sich online mit Gleichgesinnten über die neuesten Tagesmeldungen von „Ausländerkriminalität“ erregt. Die heranwachsende Muslimin nebenan bestätigt sich selbst als Opfer von Diskriminierung und Verschwörungen, indem sie sich und ihre Freundinnen mit immer neuen, emotionalen Videos über Untaten „des Westens“ versorgt und durch ihre selbst gewählte Kleidung Vorurteile auf sich zieht. Der Libertäre im Penthouse scrollt sich empört durch die neuesten Peinlichkeiten staatlicher Bürokratien, während die esoterisch besorgte Mutter im dritten Stock durch Seiten streift, in denen vor den „finsteren Machenschaften der Pharma- und Impfindustrie“ gewarnt wird." (Michael Blume)

Der große Irrtum der Appeaser ("Sorgen und Nöte ernst nehmen") ist zu glauben, man könne dem ganz klassisch demokratisch mit Argumenten und Fakten begegnen. Diese Leute interessieren sich nicht für Argumente, denn sie haben sich in eine paranoide Parallelwelt aus Narrativen und Gefühlen verabschiedet. Ihr Weltbild besteht zum Teil aus Gerüchten, Verschwörungstheorien und modernen Legenden, die einer Überprüfung keine Minute lang standhalten, was aber nichts macht, weil für sie jedes Gegenargument im Zweifel manipuliert, gekauft oder eh gleich erstunken und erlogen ist. Natürlich ist es Quatsch zu glauben, Asylbewerber bekämen mehr als deutsche Hartz-IV-Bezieher, bekämen Gott weiß was irgendwo hineingeschoben oder würden sonstwie in irgendeiner Weise bevorzugt, aber das ist eben irrelevant. Man muss dem ansonsten gewiss kritikwürdigen TTIP-Eiertänzer Sigmar Gabriel zugute halten, das vermutlich als erster aus der politischen Chefetage des Landes erkannt und entsprechende Konsequenzen ("Pack!") gezogen zu haben.

Nur: Wie umgehen damit? Weiterhin Verständnis zu haben, da ist Sascha Lobo zuzustimmen, wäre sicher falsch, denn das wirkt erst recht befeuernd. Problematisch hingegen ist seine Forderung, sich solchen Leuten entgegenzustellen, da zu wolkig. Wie soll das aussehen? Das Dumme ist doch, dass man mit welchen, die zu 100 Prozent von der Richtigkeit ihrer Wahrnehmungen und ihres Tuns überzeugt sind, schlecht diskutieren kann. Ein befreundeter Psychologe und Therapeut meinte einmal zu mir, einem depressiven Menschen zum Beispiel oder einem Angstpatienten helfe, allen guten Absichten zum Trotze, irgendwann keine Empathie mehr, sondern nur noch die blanke Verständnislosigkeit seines Umfeldes. Erst die massive Konfrontation damit ermöglichte in vielen Fällen erst die Einsicht, ein Problem zu haben.

Vielleicht funktioniert das ja. Viele haben tatsächlich Angst und keilen deswegen um sich. Oder man fragt einfach mal ganz doof. Klaus Jarchow hat nach einer Woche experimenteller Twitterei unter den Hashtags #AfD und #Pegida folgende Erfahrung gemacht:

"Die Forderung nach Aktivität und Handeln ist allgegenwärtig – es müsse unbedingt etwas geschehen. Wenn man aber fragt, was denn konkret geschehen solle, werden die Antworten inhaltsleer und ärmlich, noch dürftiger als die Lösungsvorschläge der CSU. Im Grunde läuft es auf ‚Zugbrücken hochklappen‘ hinaus. Krähwinkelei als autoritär-konservatives Projekt."

Fast schon wieder beruhigend. Ein wenig jedenfalls.


6 Kommentare:

  1. Die Frage bleibt aber dann doch am Ende, wie soll man diesen Menschen begegnen? Sie schreiben, dass man mit ihnen nicht diskutieren kann, weil sie in ihren eigenen Welten gefangen sind. Aber sollte man nicht wenigstens versuchen, sie da wieder rauszuholen? Wie sonst soll man sonst an sie rankommen?

    Von Sascha Lobo sowie seinem Geschreibsel und dauernden Talk-Show-Auftritten habe ich persönlich noch nie wirklich was gehalten. Er behauptet in dem verlinkten Text, dass sinngemäß sich die "rechten Terroristen", wie er schreibt, über soziale Medien aufheizen, um dann final auf der Straße zuzuschlagen. Befeuert von der AfD und anderen Parteien sowie unterstützt von Pegida. Was er aber unterschlägt, weil er Meister im Unterschlagen und Relativieren ist, ist doch der Fakt, dass die Befeuerung der Ressentiments gegen Muslime und Ausländer doch viel eher von den bürgerlichen "Qualitätsmedien" wie vor allem Spiegel und FAZ ausging, also Medien für die er auch schreibt. Die ganze Anti-Islamismus-Propaganda hat ihre Anfänge in dem kommerziellen Massenmedien wie Bild, Spiegel und Co. Nicht, dass das Zusammenrotten von Gleichgesinnten in sozialen Kanälen nicht unproblematisch wäre, aber die Gehirnwäsche ging da vor allem viel eher von den etablierten Medien aus. Die AfD war damals noch gar nicht geboren.

    Jetzt zu sagen, wir müssen was gegen Pegida und die AfD tun, weil die sind alle rechts und böse, die mögen keine Ausländer und keine Muslime, ist deswegen total verlogen. Man hätte schon viel eher "was machen" müssen. Vor allem die hetzerische Presse unterbinden. Das hat aber keiner gemacht, weil die Agenda so gewollt war. Und weil steter Tropfen den Stein höhlt, sind das jetzt die Auswirkungen. Das Internet ist dabei vielleicht nur der Katalysator, der die ganzen Ängste und Ressentiments unkontrollierbarer macht. Facebook alleine ist nicht das Problem und wird es auch durch Löschung von "Hass-Postings" nicht lösen. Das jetzt zu fordern, obwohl das Problem ein ganz anderes ist, ist irgendwo auch lächerlich. Und es ist eine Ablenkung von den wirklichen Ursachen, nämlich der Propaganda der etablierten Medien.

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  2. Fluchtwagenfahrer3. November 2015 um 09:48

    Moin Hr. Rose, kurz zu meinem Background, lese seit ca. einem halben/dreiviertel Jahr hier im Net diverse Blog, die man als sogenannt "links" einordnen kann, wenn man denn muss. Ihr Blog gefällt mir auch sehr gut.
    Zum Aufsatz oben fällt mir auf das sie die sog. Linke Position in dem ganzen Prozedere allerdings völlig vernachlässigen. (auch Hr. Blume) Meiner Beobachtung/Empfindung nach sitzen hier im sog. "Kleinbloggersdorf" ganz viele schlaue Menschen, mit ganz hervorragendem Wissen und hoher Merkfähigkeit. Aber wenn es darum geht, über die eigenen Blog hinaus (Kommentatoren eingeschlossen) pro aktiv tätig zu werden sieht es düster aus. Leider verkommen die zurecht und zutreffenden Rufe nach Freiheit, Demokratie, sozialer Gerechtigkeit usw. völlig zu einem Hintergrundrauschen welches nur ein kleiner, sehr begrenzter Personenkreis überhaupt wahrnimmt.
    Warum ist das so? Warum schaffen es viele davon nicht mehr Menschen zu erreichen? Klar und verständlich. Wenn es denn überhaupt eine Lösung der wirklich existenziellen Probleme gibt, sind die m. M. nach hier zu finden, also im sog. linken Spektrum.
    Aber da kütt nix. Im Gegenteil, zumeist haut man(n) sich gegenseitig, verbal, in die Fresse. In dem Streit wer am besten zitieren, argumentieren usw. kann.
    Ein Männerproblem? Pimmelfechten im WWW??
    LG

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    1. Hm ja, gute Frage, treibt mich auch um. Ich versuche mich normalerweise aus diesem Hauen und Stechen weitestgehend herauszuhalten, es sei denn, ich werde direkt angegangen oder mir platzt gelegentlich mal der Kragen. Für mich ist zum Beispiel eine Grenze überschritten, wenn es antisemitisch wird (ich halte die Frage nach dem Antisemitismus für eine Gretchenfrage der Linken) und wenn Linke sich im Geiste mit denen von der anderen Seite verbrüdern. Ich will hier nicht unnötig das Fass mit den Verschwörungstheorien aufmachen, aber da mache ich nicht mit. (Vgl hierzu auch Hartmuts Beitrag von heute. Schön hat es auch mal Mechtild in einem Kommentar woanders zusammengefasst.
      @MT: Alles in Ehren, aber exakt solche Pauschalisierungen und Vereinfachungen wie "die Propaganda der etablierten Medien" helfen niemandem weiter und vergiften die Debatte unnötig. Weil, ich schrub's letzens bereits, man sich damit in die Nähe des "Lügenpresse"-Diktums begibt, wofür Linke sich m.E. zu schade sein sollten und weil damit jede Menge Leute vor den Kopf gestoßen werden, die sich darum bemühen, dass das genau nicht so ist.

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    2. P.S.: Freut mich, dass es ihnen hier gefällt, Fluchtwagenfahrer.

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  3. @Stefan Rose. Ja, da haben Sie Recht und ich mag auch keine Pauschalisierungen. Was ich aber sagen wollte ist, dass Pegida nicht einfach vom Himmel gefallen ist, sondern ein Symptom ist. Die Hetze, wenn man das so nennen will, begann doch viel früher. Und ich spreche jetzt nicht von Lügenpresse. Es ist aber nun mal Fakt, dass die Medien einen großen Einfluss auf das Bild der Muslime haben, welches in Deutschland vorherrscht. Und ich kann mich an viele Spiegel-Titelbilder erinnern, die die Angst vor islamischen Terrorangriffen als Thema hatten.

    Ich will auch Pegida und Co. nicht in Schutz nehmen. Mich nerven einfach diese einseitigen Schuldzuweisungen und die vor allem auch von den hiesigen Medien. Sascha Lobo kann sich sehr gut verkaufen, er ist aber kein guter Journalist. Er ist im Grunde auch nur ein Medienprodukt. Das sollte man im Auge haben, wenn man auf ihn verlinkt.

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    1. Da bin ich ja bei Ihnen. Wir können uns auch gern darauf einigen, dass die Agenda 2010 und die mediale Begleitung zu ihrer Einführung (wo die Medien sich nicht mit Ruhm bekleckert haben) das gesellschaftliche Klima erheblich rauher gemacht haben, was mit dazu führt, dass seit einiger Zeit Hemmschwellen fallen. Nur sollte man eben bei allem gerechten Zorn darüber nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Ich glaube, Teile der Öffentlichkeit sind inzwischen erheblich besser sensibilisiert für so was.

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