Mittwoch, 30. März 2016

Hüben und drüben


Für die britische Medienlandschaft gilt im Besonderen die alte Weisheit, dass wo viel Licht ist, auch viel Schatten ist. Die Tabloid- und Klatschpresse dort lässt nicht wenige der hiesigen Druckerzeugnisse aus diesem Sektor aussehen wie kritische Intellektuellenblätter. Dafür existiert dort andererseits eine Qualitätspresse, die diese Bezeichnung in Teilen durchaus verdient. Das liegt vor allem daran, dass es in Großbritannien ein Königshaus gibt. Das ist am ehesten das, was wir Obrigkeit nennen. Alle anderen, Abgeordnete, Minister, Polizisten, Bürgermeister etc., sind lediglich Angestellte der Bevölkerung, die vom Volk bezahlt werden, die auf Zeit gewisse Befugnisse verliehen bekommen und sich deswegen jederzeit und ohne zu murren kritischen Fragen zu stellen haben.

Die AfD bedient unter anderem Sehnsüchte in Teilen des deutschen Volke, auf die man in Großbritannien äußerst sensibel reagiert. Etwa die nach völkischer Einheit, nach geordneten alten Zeiten, nach starken Politikern, an die man die Hoffnung knüpft, sie mögen endlich mit Filz und Parteiengezänk aufräumen. Das kann sich bis zu Heilserwartungen steigern und muss dann nicht mehr viel mit Vernunft zu tun haben. Wie sonst ist es etwa zu erklären, dass Menschen, die die 'kleinen Leute' abgehängt sehen, eine Partei wählen, die genau diese kleinen Leute so richtig zu Abgehängten machen würde, wenn man sie denn ließe? Angela Merkel bediente solche Sehnsüchte mit ihrer jede Kontroverse meidenden, postdemokratischen Direktoriums-Politik eine ganz Zeit lang, ihr Verhalten in der Flüchtlingskrise hingegen bedeutet nun für nicht wenige Verrat am deutschen Volkskörper.

Mag es sich dabei nicht einmal unbedingt um spezifisch deutsche Phänomene handeln, so ist freundlich-familiäres Gekungel zwischen Politik und Journaille eine einigermaßen deutsche Tradition. Das dürfte es aus den Zeiten der gemütlichen Bonner Republik hinüber in die wiedervereinigte Berliner geschafft haben. Man kannte sich, man tat sich nichts in dieser kleinen Welt, man stellte sich gut miteinander und allen war's geholfen. Für eine politische Kultur, die auf Streit um die bessere Lösung basiert, kann das langfristig schädlich sein.

Zurück ins Königreich. Diese kleinen aber feinen Unterschiede erklären so manches. Etwa, warum Soldaten dort herablassend sein dürfen, während Polizisten sich tunlichst um Freundlichkeit zu bemühen haben. Oder warum die dortige Presse sich gegenüber Politikern Dinge herausnimmt, die bei uns vermutlich dazu führten, dass unser Personal empört die Backen aufbliese, schimpfend das Studio verließe oder mit Konsequenzen drohte. Auch die deutsche Sitte, Interviews im Nachhinein von den Interviewten autorisieren zu lassen, stößt auf der Insel normalerweise auf völliges Unverständnis. Es gilt: Gesagt ist gesagt und wer nicht in der Lage ist, sich klar auszudrücken, und zwar on the spot, soll halt die Finger von der Politik lassen. Parlamentarier, die was von 'Würde des Amtes' faselten, würde man dort vermutlich bloß verständnislos anglotzen. Und ein Ansinnen wie das, Journalisten sollten dem Volke die Politik der Regierung erklären und um Verständnis werben, wäre ein Brüller, der in die Annalen einginge.

Wie das konkret aussehen kann, lässt sich zum Beispiel daran studieren, wie Jeremy Paxman, ein Nestor seiner Zunft, der im übrigen der Meinung ist, dass man Politikern grundsätzlich nicht trauen sollte, und zwar überhaupt nicht, vor der Unterhauswahl 2015 die Kandidaten Ed Milliband und David Cameron auf ganz kleiner Flamme genüsslich gegrillt hat. Ein Interview wie das, das Tim Sebastian kürzlich mit Frauke Petry geführt hat und das bei uns fast einhellig als Sternstunde des kritischen Journalismus gefeiert wurde, ist in Großbritannien daher absolut nichts Besonderes. Vielleicht war Sebastian in ihrem Falle ein wenig extra motiviert, sollte ihm - wovon auszugehen ist - bei der vorbereitenden Recherche untergekommen sein, was man in AfD-nahen Kreisen so von der Presse zu halten pflegt.

Zwei Probleme gibt es mit den Tim-Sebastian-Feierstunden: Ist, erstens, all jenen Journalisten, die jetzt darüber jubeln, wie die Petry mal so richtig ihr Fett abbekommen hat, eigentlich klar, dass sie damit vor allem sich selbst ein Armutszeugnis ausstellen? Weil das eigentlich ihr Job wäre? Wieso muss das erst eine Fachkraft aus dem Ausland erledigen? Wieso existieren bei uns kaum 1:1-Formate, die journalistisch betrachtet wirklich sinnvoll sind? Statt dessen bloß diese scheindemokratischen Gruppensitzungen, in denen meist ein Alibilinker von vier bis fünf neoliberalen Brüllaffen fertiggemacht wird? (Ja, es gibt 1:1-Formate. Meistens welche, in denen vor Urlaubskulisse huldvoll Hof gehalten wird, Fragen zwar gestattet sind, aber bittebitte nicht zu hart. Man will sich's doch nicht verscherzen.) Zweitens: Dieses Interview wird niemanden bekehren, keinen einzigen AfD-Anhänger dazu bringen, irgendwas zu revidieren. Im Gegenteil: Sie werden sich in ihrer Opferrolle bloß noch bestätigt fühlen, mehr ist nicht gewonnen. Frau Petry dürfte das bewusst sein, daher konnte sie Sebastians Anwürfe gelassen hinnehmen.

Anders läge der Fall möglicherweise, wenn ein Vorgehen wie das Sebastians auch bei uns Standard wäre, und zwar ohne jedwede Rücksicht auf Parteigrenzen. Wenn sich weniger im Glanze der Mächtigen gesonnt würde, dieses Adabeiseinwollen mal aufhörte. Dann gäbe es vielleicht auch weniger 'Lügenpresse!'-Genöle. Dazu müssten aber auch dringend ein paar andere Dinge aufhören, die da wären: Autoritätshörigkeit, devotes Aufschauen, falscher Respekt vor demokratisch gewählten Politikern und ebenso unangebrachte Heilserwartungen an sie.


3 Kommentare:

  1. "Ist, erstens, all jenen Journalisten, die jetzt darüber jubeln, wie die Petry mal so richtig ihr Fett abbekommen hat, eigentlich klar, dass sie damit vor allem sich selbst ein Armutszeugnis ausstellen? Weil das eigentlich ihr Job wäre?"
    Wieso ist es Aufgabe des Journalistenbetriebs, dass Petry ihr Fett abbekommt? Das ist ja das ganze Problem des deutschen Journalismus, dass man verbissen versucht, die AFD und ihre Politiker bloßzustellen und sich dabei selber nur lächerlich macht.
    Beispiel: Frau Petry hattte gefordert, dass man als ultima ratio auf Flüchtlinge schießen müsse, wenn sie versuchen, gewaltsam eine Grenze zu überschreiten. Natürlich erntete sie für diese Aussage eine veritablen shitstorm, derart, dass ihr unterstellt wurde, sie möchte, dass auf Flüchtlinge geschossen werde. Blöderweise hat sich der Grünen-Politiker Palmer genauso geäußert, als er forderte, man müsse die Grenzen militärisch sichern. Bei der militärischen Sicherung ist der Schusswaffengebrauch mit drin. Palmer kam für seine Aussage aber ungeschoren davon.

    Und sowas fällt dann irgendwann auf und schon ist der Ausdruck "Lügenpresse" in der Welt -und das dann zu Recht.

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    1. Meine Güte, wenn man es denn partout falsch verstehen will... Typische AfD-Fanboy-Moves.

      Herr Palmer ist keineswegs "ungeschoren" davon gekommen, wie Sie hier in den Raum stellen sondern musste seitens der Presse und parteiintern heftige Kritik einstecken. Also etwa das Schicksal Frau Petrys erdulden. Dass er im Ggs. zu Frau Petry ein öffentliches Amt bekleidet, ändert daran nichts.
      Weiterhin halte ich es mitnichten - sinnerfassendes Lesen erleichtert das Leben - für die Aufgabe der Presse, dass Frau Petry "ihr Fett abbekommt", wie Sie weiterhin zu unterstellen belieben, sondern dass ich es für der demokratischen Kultur hierzulande für förderlich hielte, wenn Politiker aller Couleur journalistisch so behandelt würden wie in GB üblich.

      Und, nein, den Ausdruck "Lügenpresse" halte ich niemals für berechtigt. Hilft allenfalls den Spinnern, die ihn andauernd im Munde führen.

      Trotzdem, netter Versuch.

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    2. "AfD-Fanboy-Moves"
      Ah, Sie wissen, was ich wähle. Sehr interessant. So viel zum Thema Unterstellung.

      "Ist, erstens, all jenen Journalisten, die jetzt darüber jubeln, wie die Petry mal so richtig ihr Fett abbekommen hat, eigentlich klar, dass sie damit vor allem sich selbst ein Armutszeugnis ausstellen? Weil das eigentlich ihr Job wäre?"

      Im Gegensatz dazu ist meine Einlassung, dass Sie es für die Aufgabe des Journalismus halten, dass Petry ihr Fett abbekommt keine Unterstellung meinerseits, sondern exakt das, was sie geschrieben haben.

      Sie linke Knalltüte!

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