Freitag, 10. Juni 2016

Streifzüge (1). Man viewt wieder public


Ist man es wie ich gewohnt, mehrmals in der Woche zu schwimmen und alle kürzeren Wege mit dem Rad zu erledigen und haben die Ärzte einem genau das untersagt, dann tut man gut daran, sich möglichst jeden Tag zu einem längeren Fußmarsch aufzuraffen. Anderfalls drohen schnelles und komplettes Einrosten sowie ein Platz in den Top Ten beim Jabba The Hutt-Ähnlichkeitswettbewerb. Ein paar Kilometer per pedes fördern zudem den Heilungsprozess (wegen Kreislauf) und tun insgesamt der Stimmung gut. Gestern etwa waren sie vor dem Rathaus in den letzten Zügen des Aufbaus der Public Viewing-Arena für das ab heute dräuende Wettkicken.


Über das erwähnte, nunmehr wieder anhebende Public Viewing und dessen nationalfarbige Begleiterscheinungen lässt sich etliches Kritische sagen, das meiste mit Recht. Wer etwa keinerlei Zusammenhang zu sehen vermag zwischen dem Blühen und gedeihen des scheißrotgoldenen Partypatriotismus und dem zunehmenden Rassismus in diesem Land, sieht vermutlich auch keinen zwischen 'Agenda 2010' und den Aufkommen der Tafeln und dem Boom der Pfandleihhäuser. Oder will vielleicht aus ganz bestimmten Gründen keinen sehen. Eines immerhin sollte man aber lobend erwähnen: Die Idee hatte ursprünglich mal einen durchaus egalitären Zug. Es sollte eine Einladung sein für alle, die zweitbeste Lösung für die, die es nicht ins Stadion geschafft haben. Einmal, 2006 war's, glaube ich, hat das auch so lala funktioniert. Dann übernahmen die Geschäftstüchtigen. Und die Wichtigmacher. Womit auch die Klassengesellschaft ihr hässlich Haupt erhob.

Seitdem kostet das in diesem Sprengel Eintritt (ursprünglich nur die Spiele mit deutscher Beteiligung, jetzt immer) und es wurde eine VIP-Zone errichtet für Gevatter Herrenmensch. Mit Catering. Weil sie es nur irgendwo aushalten, wenn man ihnen das Gefühl gibt, was Besseres zu sein. Von dienstbarem Personal umschwirrt zu werden, Häppchen und Schampus gereicht zu bekommen und selbstverständlich über dem grölenden Pöbel zu stehen, dessen Funktion es bloß noch ist, die zum Event passende Kulisse zu liefern. Und dafür noch Eintritt zu zahlen. Wie im Stadion halt.

Steht an einem Nagelstudio und nicht an der VIP-Bude. Würde aber auch passen.




4 Kommentare:

  1. Schön und gedanklich richtig zusammen getragen und geschrieben. Mit der linken Hand?
    Weiterhin gute Besserung.

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    1. Danke. Teils mit beiden Händen. Die Finger kann ich ja bewegen, sollte es aber nicht übertreiben.

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  2. "Public viewing" bedeutet im Englischen bekanntlich die öffentliche Aufbahrung des Leichnams anlässlich einer Bestattungsfeierlichkeit. Das passt doch wie "Faust auf Auge" zu diesem Thema.

    Stefan Gärtner hat gestern wieder sehr treffende Worte dazu gefunden:

    "SA marschiert. Merkt das denn keiner?"

    Liebe Grüße!

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    1. Heißt es nicht, jedenfalls nicht so ohne weiteres. Es ist nur eine mögliche verwendung des Ausdrucks, und bei weitem nicht die Häufigste. (Dieser Klugschiss wurde Ihnen präsentiert von [...])

      Gärtners Gedanken zum Fahnenschwenken sind aber interessant.

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