Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Donnerstag, 8. Dezember 2016
Nice try
Das gestrige Spiel Real Madrids gegen Borussia Dortmund war eines, für das man als Fußballaffiner zwanzig öde Grottenkicks in Kauf nimmt. Obwohl beide Teams bereits fix im Achtelfinale waren und es 'nur' um den Gruppensieg ging, gab es 93 Minuten Tempo, Taktik und einen Schuss Wahnsinn. Am Ende hieß es im Bernabeu 2:2. Reus' Ausgleichstor kurz vor Schluss nach brillanter Vorarbeit von Aubameyang war schiere Wucht, Energie, Filigrantechnik und Eleganz. Ambivalenz des modernen Profifußballs: Nach so einem Spiel und erst recht den Gemeinschaftserlebnissen, die es zu stiften vermag, ist einem egal, dass da 22 Jungmillionäre auf dem Platz standen, von denen die meisten in Autos zum Training gefahren kommen, deren Anschaffung für die allermeisten Fans so weit entfernt ist wie eine Weltreise erster Klasse auf der 'Queen Mary'.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass mir nicht nur dieser Widerspruch bewusst ist, sondern auch die Tatsache, dass der BVB Anno 2016 so wenig eine Ruhrpottmalocher-Truppe ist wie der FC Bayern München. Kein Verein mit Ambitionen auf die Spitze kann sich derlei Romantik abseits des Marketings leisten. Die Dortmunder stellen's halt geschickt an und leben nicht schlecht vom Image der frischfrommfröhlichen Jungsprundtruppe und vom Mythos des Underdogs aus dem grauen Revier, der die alte Sehnsucht bedient, dass Geld allein eben keine Tore schießt, dass auch ein Club, der vielleicht über geringeres Budget, dafür über Köpfchen, Kreativität, Spielwitz und Besessenheit verfügt, es den Großen zu zeigen vermag.
Nun gibt es da diese Enthüllungsplattform 'Football Leaks', die laut ihrem Betreiber aufdecken soll, zu welch hochkorrupten System sich der internationale Spitzenfußball sich entwickelt hat. Der internationale Qualitätsjournalismus, darunter das ehrwürdige Sturmgeschütz des Neoliberalismus, sprang dankbar auf den Zug auf und verbreitet seither, einen echten Scoop gelandet zu haben, indem man die Machenschaften der großen Idole einer geschockten Öffentlichkeit präsentiert. Da haben wir's, soll die Botschaft sein. Die Herren Kicker sind keinen Deut besser als jeder popelige Wall Street-Investmentbanker oder betrügerische CEO. Nur deutet momentan wenig darauf hin, dass eine Welle der Empörung über den Fußballern zusammenschlüge und Messi, Ronaldo, Kroos et al. befürchten müssten, von einem wütenden Mob aus braven Steuerzahlern gelyncht zu werden. Vielleicht, weil es nicht mehr wirklich eine Neuigkeit ist, dass der Spitzenfußball hochkorrupt ist, man's eh geahnt oder gar nichts anderes erwartet hat, wer weiß.
"In meiner Sturm- und Drangzeit als Revoluzzer hätte ich gesagt, das ist geplant vom System. Fußballspieler hoch zu bezahlen, um das Volk zu unterhalten nach altem römischen Vorbild, panem et circenses, Brot und Spiele, damit es nicht auf die Idee kommt, an den Geschehnissen etwas zu verändern. […] Abgesehen davon, dass der Fußballer dafür sorgt, dass sich die Revolution noch ein bisschen dahinschleppt, gehören wir nicht zu denen, die 2008 die Welt ins Unglück stürzten. Banker bekommen für ihr Versagen auch noch Millionen als Boni. Wofür?" (Ewald Lienen)
Warum, fragt sich durchaus zu Recht, schweigt Volkes Stimme derartig stille angesichts millionenschwerer Mauscheleien eh schon wohlhabender Kicker, während sie das einem Großteil der Millionenverdiener in Deutschlands Vorstandsetagen höchstwahrscheinlich niemals durchgehen ließe und zu Wutbürgers Stimme mutieren würde? Ist das nicht ein wenig inkonsequent, verlogen gar? Kommt drauf an. Das Problem könnte sein, dass die 'Football Leaks'-Enthüller übersehen, dass Fußballer, im Gegensatz zu Vorständen, Politikern und anderen Großkopferten, eher nicht zu den Eliten gezählt werden bzw. nicht als solche wahrgenommen werden. Von den meisten zumindest.
Unterhält man sich mit männlichen Jugendlichen im forgeschrittenen Schulalter über ihre Wünsche und Pläne, dann bekommt man vornehmlich an Hauptschulen des öfteren die Antwort: Fußballprofi. Besonders häufig, wenn der Betreffende einen Migrationshintergrund hat. Abgesehen von der Frage, ob das im einzelnen jeweils eine gute oder schlechte Idee ist, ist das nichts weniger als ein Zeichen dafür, dass diese Jungs die Gesellschaft, in der zu leben sie die Aufgabe haben, ziemlich gut durchschauen. Ihnen geht es dabei gar nicht so sehr ums 'schnelle Geld'. Den meisten, die angeben, Fußballprofi werden zu wollen, ist sehr wohl bewusst, dass der Weg dorthin kein Zuckerschlecken ist und die Gefahr des Scheiterns fast so hoch wie beim Lottospielen. Es geht um etwas anderes.
Der Profifußball ist eine der letzten verbliebenen Branchen, in der das kapitalistische Narrativ vom Aufstieg durch Leistung noch einigermaßen intakt erscheint, wo ethnische und/oder soziale Herkunft tatsächlich weitgehend egal sind. Gut, aus Christiano Ronaldo wäre vielleicht auch dann ein berühmtes Unterwäschemodel geworden, wenn es den Profifußball nicht gäbe. Aber aus Zlatan Ibrahimovic, Mesut Özil, Lionel Messi, aus all den brasillianischen Strand- und Straßenkickern? So lange ein Fußballer die geforderte Leistung bringt, interessiert es kaum, woher er kommt, was die Eltern von Beruf sind oder wie das letzte Zeugnis ausgefallen ist. Von einem Fußballer wird nicht erwartet, all die komplizierten, subtilen Codes zu beherrschen, anhand derer die Bourgeoisie Aufsteiger sofort identifiziert und entsprechend einsortiert (und meistens die Strickleitern einzieht). Gerade Migranten, die oft vor unsichtbare Mauern aus Ablehnung rennen, die wir Autochtonen kaum je bemerken bzw. bemerken wollen, wissen das sehr genau.
Daher identifizieren sich auch nicht wenige, die selbst keineswegs auf Rosen gebettet sind, mit den Kickern. Sie erleben ihre Idole und Helden als ganz normale Jungs, die eben qua Talent und, ja, auch Leistung (die im Gegensatz zu der von Investmentbankern Woche für Woche klar zu sehen ist) in jungen Jahren schon sehr gutes Geld verdienen. Und so lange die Leistung stimmt, wird etwa dem erwähnten Pierre Emick Aubameyang nachgesehen, dass er allein für Kleidung und Autos gern mal das Jahresgehalt eines mittleren Managers raushaut, von dem 80, 90 Prozent der Arbeitnehmer nicht einmal träumen können. Mei, werden viele sich denken, ganz normale Jungs, die so jung so viel Geld haben, schlagen halt mal über die Stränge. Hätten man selbst doch nicht anders gemacht, wenn man die Möglichkeit gehabt hätte. Neidgesellschaft? Fehlanzeige.
Die Prügel kriegen, wenn überhaupt, korrupte Verbandsfunktionäre und Vereinsbosse ab, die weit eher als Elite wahrgenommen werden. Das System weiß das übrigens genau und macht es sich zunutze. Man weiß genau, wer Woche für Woche in die Stadien strömt, sich alljährlich ein Trikot und die Dauerkarte und das Sky-Abo zusammenspart, stellt die herrschenden Verhältnisse eher nicht infrage. Nice try, Qualitätspresse. Ist vielleicht das Problem, wenn man nur mehr ausschließlich den bürgerlichen Blick draufhat.
4 Kommentare:
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Eine gelungene Zusammenfassung der Gesellschaft, ihrer unterschiedlichen Schichten und Gruppen, ihrer Narreteien, ihres Antriebs, ihres Denkens und Glaubens erstellt und aufgezeigt am Beispiel des Profifußballs.
AntwortenLöschenHerzlichen Dank für diesen unpolemischen, sachlichen Text.
Anekdote dazu – vor 3 Jahren auf meinem Fahrrad-Trimmdich Rast gemacht in einer Kneipe, Inhalt 1 Gast (außer mir) und ein Wirt. Gesprächsthema war Gott und die Welt.
AntwortenLöschenMittendrin dieses – wörtliche – Zitat: „Die Politik, das ist eine dreckige Sache. Wie ... wie ... fast wie Fußball.“
Stimmt. Macht aber deutlich weniger Spaß.
Löschen@Alles nur Satire: Danke, gern.
Mit den Football-Leaks verhält es sich genauso wie mit der Enttarnung von Ben Johnson als Doping-Sünder. Man weiß es ohnehin und anderen Leuten zu erzählen, was offensichtlich ist, ist dann doch etwas öde. Von daher wird sich die Empörung in Grenzen halten.
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