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Sonntag, 21. Mai 2017
Küchenpsychologie
Galt einst das mit Schrankwand in Eiche brutal, Ochsenjochlampe, Fliesencouchtisch und wuchtigen Stilmöbeln eingerichtete Wohnzimmer, jener "bierfurzsaure Orkus der Gemütlichkeit" (Malmsheimer), als Ausweis kleinbürgerlicher Gediegenheit, so ist dies heute die geräumige, möglichst edel designte Küche. Die 'großzügige' Küche, vorzugsweise im Aggregatzustand der 'Designerküche', ist das essenzielle Must have in Zeiten, in denen nicht wenige zu glauben scheinen, der wahre Sinn des Lebens läge darin, mit vierzig ein trostloses Reiheneigenheim zu beziehen und dort dann bei alkoholfreiem Weizen auf den Tod zu warten. Wem es wirklich ums Kochen bestellt ist, braucht den ganzen Chichi nicht. Erst recht nicht diese vollintegrierten Wohnküchen-Esszimmer-Einraumlofts. Die wirken zwar schick und weitläufig, aber machen Sie darin mal Reibekuchen oder Bratkartoffeln. Und achten dann darauf, wie lange der Mief noch in allen Polstern hängt.
Nun gut. Reibekuchen sind eh ungesund. Bratkartoffeln sowieso. Fett und Kohlenhydrate - ihhh! Weiche, Satanas! Steaks braten riecht zwar ebenfalls, aber dafür hat man ja - nächstes Statussymbol ahoi! - die sauteure gasbetriebene Grillzentrale mit Lavastein, Smoker und was weiß ich nicht auf der Terrasse stehen. Kostet ein Schweinegeld und man benötigt für den Betrieb einen Dampflokführerschein, aber Holzkohle anfachen kann schließlich jeder Proll.
So, ich bin also bloß neidisch auf Leute, die im Gegensatz zu mir was erreicht haben im Leben, und denen ich nunmehr ihr kleines, hart erarbeitetes Eigenheimglück zwanghaft madig machen muss, finden Sie? Nun ja, letztes Jahr im Sommer radelte ich öfter an einer Neubausiedlung hier in der Gegend vorbei. In sechs von zehn Gartenparzellen spielte sich samstags am frühen Abend dieselbe Szenerie ab: Mutti lag in einer Ecke in der Sonne, Kind/er hüpfte/n in der anderen Ecke auf einem Trampolin herum oder vergnügte/n sich auf einer Decke mit Spielsachen und Papa stand in der dritten Ecke an einem Grill und wendete irgendwelche traurigen Leichenteile. Nirgends eine fröhlich zechende Runde. Niemand lachte. Ein verstörender, deprimierender Anblick maximaler Freudlosigkeit und Ödnis. (Wer einen Eindruck davon bekommen will, sehe sich Ulrich Seidls Film 'Hundstage' an.) Meinen Neid hatte ich sehr gut im Griff.
Zurück in die Küche.
Obwohl ich liebend gern koche, habe ich bloß eine kleine, zusammengestellte, eher verschraddelte Küche. Und das ist auch gut so. Bin sehr zufrieden. Warum? Ganz einfach, weil eine kleine Küche einen gegen überflüssigen Plunder immunisiert und zur Konzentration aufs Wesentliche erzieht. Wer weiß, dass er eh keinen Platz hat, kauft nur Sachen, die wirklich nötig sind. So sind Brotbackautomaten, Sandwichtoaster, Universalzerhacker, George-Foreman-Grills und anderer, angeblich unverzichtbarer Krimskrams komplett an mir vorbeigegangen. Wer im Hinterkopf immer die Frage rumschwirren hat: Wohin damit?, dem vergehen schnell die Flausen. Wenn andere sagen: Ohhh, diese supertolle Fettspar-Fritteuse für 89,90 ist aber wirklich interessant!, sage ich: Vergiss es, Schränke voll. Thermomix? In your dreams! Selbst wenn ich gewillt wäre, einen vierstelligen Betrag für so einen Apparillo von der EC-Karte zu hobeln, meine Arbeitsplatten sind belegt. Das Sein bestimmt eben das Bewusstsein.
Viele dieser ach so schicken großzügigen Küchen sind vor allem mal Müllhalden. Für sinnlose Gerätschaften oder doofen Dekokram, meist mit unlustigen Sinnsprüchen drauf und mit der Halbwertszeit eines Eisbechers im Backofen. Irgendwo muss das ganze Gerümpel, das Läden wie Blokker, depot, Nanu-nana und Kober wie QVC und Spießgesellen Tag für Tag so unters Volk bringen, schließlich hin. Langsam glaube ich ja, da steckt Methode hinter. Die Annahme, es gäbe geheime Absprachen zwischen dem Verband der deutschen Küchendesigner sowie Herstellern und Hökern überflüssigen Tinnefs, erscheint mir jedenfalls weit plausibler als irgendwelche Chemtrail-Spinnereien.
(Fürs Protokoll: Sollte ich jemals in Erwägung ziehen, eine Wand meines jeweiligen Domizils mit gruseligen, von 'Wohnexpertin' Tine Wittler präsentierten Wandtattoos zu verschandeln, schlimmstenfalls mit nichtssagenden, aber irre tiefsinnig klingenden Sinnsprüchen aus zu Recht weggeworfenen Poesiealben, dann bitte ich höflichst darum, mich auf der Stelle in situ zu erschießen. Denn dann ist es so weit. Hooka hey!)
7 Kommentare:
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Als ich vor einigen Jahren zurück in mein Elternhaus zog, das die Alten geräumt hatten, um zehn Kilometer weiter "ein neues Kapitel aufzuschlagen", vermutlich weil sie zu viel "Brigitte" gelesen hatten, habe ich eine Küche von 1978 übernommen. Mit allem, was in der Vergangenheit angesagt war und sich angesammelt hat: ein Crepes-Macher, der aussieht wie eine Pfanne von M.C. Escher, eine Kaffeemaschine mit einem Filter aus Gold (kein Witz), für die man kein Filterpapier mehr braucht, die aber orangefarben ist (70er), ein Sandwichmaker usw. Was brauche ich? Eine Pfanne und einen Topf. Aufrüstung ist seit 1933 ein Thema in vielen Ländern und in vielen Küchen ...
AntwortenLöschenNun ja, eine Bialetti und/oder Kolbenkanne darf es gern auch sein, nebst 2-3 ordentlichen Messern. Goldfiltermaschinen gibt es übrigens immer noch, nur führen die in Zeiten von Pad-/Kaspelmaschinen und Vollautomaten eher ein Schattendadein. In meinem Elternhause gab es Anfang der Achtziger auch so ein Teil - in zeittypischem Kackbraun allerdings.
LöschenDiese Wandtattoos sind ja von derart bombastischer Unsäglichkeit, ein wahrer Sensationsfund. Bevor ich mir sowas an die Wand mache wohne ich lieber im Bauwagen...
AntwortenLöschenHa, ha, Tine Wittler, die olle Schrabnelle. Bei der wusste ich nie, was schlimmer war: die Messibude davor oder die Ikea-Hölle danach. Die konnte aber super drapieren. Und basteln. Großartig...
AntwortenLöschenEine Küche aus den 70ern geht trotzdem gar nicht. Optisch der reinste Horror, wie fast alles aus dieser Zeit.
Das Schlimme an den Ikea-Höllen danach ist ja, dass es da keinen Raum für Zeitloses gibt. Der ganze Kram ist so krampfhaft modisch, dass er nach ein paar Jahren erneut ausgetauscht werden muss.
Löschen@gnaddrig: Früher gab es nur diese Tüschilder mit gaanz süßen verliebten Bärchen, Elefanten, Einhörnern drauf ("Hier lieben und hier streiten sich X und Y.") - inzwischen wirds großflächig...
"Das Schlimme an den Ikea-Höllen danach ist ja, dass es da keinen Raum für Zeitloses gibt. Der ganze Kram ist so krampfhaft modisch, dass er nach ein paar Jahren erneut ausgetauscht werden muss."
AntwortenLöschenJa, da haben Sie Recht. Aber darum geht's ja nicht. Da soll sich kein Mensch wohl fühlen oder wirklich wohnen, sondern es ist eine Visualisierung der Wohnkataloge. So würde ja in Wahrheit keiner seine Wohnung einrichten. Das ist Product Placement at its best.
So wie die Filmkulissen von Till Schweiger-Filmen. Wo morgens bis abends überall im Loft Kerzen brennen, um die sich niemand kümmert. Das Vintage Holzregal ist voller Bücher und Krimskrams, aber die Millionen von Kerzen brennen da so lustig vor sich hin. Sieht ja chick aus. Ist aber total unrealistisch. Kein Mensch würde sich so einrichten. Das ist wie ein in die Länge gezogener Werbefilm oder ein Musikvideo, aber kein Film mit einer Handlung. Das wäre ja schon fast eine Satire, wenn Till Schweiger das nicht toternst nehmen würde. Der findet seine Filme ja super.
Hatte die Tage noch eine intensive Diskussion mit drei Frauen, warum ich in meiner Küche keinen Dekokram dulde. Weil nämlich in der Küche tatsächlich gekocht wird.
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