Montag, 31. Juli 2017

Ein Jubiläum (3)


Heute vor 100 Jahren begann die Schlacht um Passendaele

"Krieg ist ein Zustand, bei dem Menschen aufeinander schießen, die sich nicht kennen, auf Befehl von Menschen, die sich wohl kennen, aber nicht aufeinander schießen." (George Bernhard Shaw)

Nüchtern betrachtet, bestand der erste Weltkrieg an der Westfront ab Ende 1914 im wesentlichen aus einer Reihe immer aufwändigerer Versuche, das gegnerische Stellungssystem zu durchbrechen. Weniger nüchtern betrachtet, artete das aus in bis dahin nicht für möglich gehaltene, immer noch Schlachten genannte, wochen- und monatelange Massenschlächtereien. An zwei davon, die bei Verdun und an der Somme, ist hier bereits erinnert worden.

Gekämpft, gestorben, verstümmelt und gelitten wurde während dieser vier blutigen Jahre überall, aber es war die Westfront, an der sich besonders deutlich zeigte, was moderne Technik und die Menschenverachtung des Industriezeitalters anzurichten vermögen. Befasst man sich mit dem ersten Weltkrieg, ist eines immer wieder zu lesen: Immer, wenn man dachte, schlimmer könnte es eigentlich nicht mehr kommen, kam es schlimmer. In immer wahnwitzigerer Zahl wurden Menschen geopfert, tausende Tonnen an Gerät und Munition verheizt für nichts oder fast nichts. Die in Großbritannien Schlacht um Paschendaele, woanders Dritte Ypern- oder Dritte Flandernschlacht genannte Operation war ein weiterer, trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung.

Das britische Oberkommando um Douglas Haig sah im Spätsommer 1917 den Zeitpunkt für gekommen, im Raum Ypern einen Durchbruch zu erzielen und die deutschen U-Boot-Basen in Flandern einzunehmen. Unhistorisch, sicher, doch ertappt man sich ex post facto gelegentlich bei der Frage, warum die eigentlich so blind waren. Nach den Erfahrungen bei Verdun, an der Somme, bei Gallipolli und anderswo hätte man doch wissen müssen, so denkt man sich, dass noch jeder weitere Versuch durchzubrechen, wenn auch mit immer neuen Tricks und Mitteln, am Ende grausig gescheitert ist (1917 waren bei den Alliierten übrigens Minen das Mittel der Wahl, unter die feindlichen Linien getriebene Tunnel, in denen Hunderte Tonnen Sprengstoff platziert wurden, bei den Deutschen war es das soeben entwickelte Senfgas). War diese Zuversicht, dieses Mal müsse es doch einfach klappen, wirklich echt? Oder war es einfach bloß Ratlosigkeit, die dann freilich Hunderttausende das Leben kosten sollte?

Die katastrophal gescheiterte Offensive der Franzosen am Chemin des Dames im Frühjahr 1917 hatte zu massenhaften Meutereien im französischen Heer geführt. Obwohl das eigentlich eine Warnung hätte gewesen sein müssen, dass auch die Alliierten langsam an den Grenzen ihrer Möglichkeiten angekommen waren, hielt man die Lage bei den Deutschen für noch weit schlimmer und sah die deutsche Armee kurz vor dem Kollaps. Völlig abwegig war die Überlegung nicht, denn es war natürlich nicht verborgen geblieben, dass die Deutschen aufgrund der britischen Kontinentalblockade unterernährt waren und den Krieg nicht ewig würden weiterführen können. Dass das Deutsche Reich im Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg erklärt hatte, wertete man dem entsprechend als Zeichen der Verzweiflung. Plausibel beides, aber dennoch falsch. Bezahlen sollten andere dafür. Unter anderem, weil die genialen Planer das Wetter nicht einkalkuliert hatten. Es heißt, der britische Premierminister Lloyd George habe seine Bedenken angemeldet, die Pläne aber dann doch abgesegnet.

2000 Geschütze aller Kaliber hatte man aufgeboten, die die deutschen Stellungen zweieinhalb Wochen lang unter Feuer nahmen. Auf deutscher Seite hatte man aber längst Konsequenzen gezogen und die Verteidigung neu geordnet. Man hielt die vordersten Linien bei feindlichem Beschuss kaum noch besetzt, ließ dem Gegner das, was von den Gräben übrig war, und führte lieber ausgeruhte Eingreifverbände heran. Der wochenlange Stahlhagel verpuffte also weitgehend wirkungslos. Nach kurzer Zeit setzte dann schwerer Regen ein und überflutete das brettebene, teilweise unter dem Meeresspiegel gelegene Gebiet. Hier entstanden die berühmten apokalyptischen Bilder dieses Krieges von vollgelaufenen Schützengräben, den von Artillerie umgepflügten Schlammwüsten mit ein paar Baumresten dazwischen.

Machen wir es kurz, detaillierte Schilderungen des Verlaufs des Elends lassen sich massenhaft woanders nachlesen. Am Ende waren auf beiden Seiten weit über eine halbe Million Mann Verluste zu verzeichnen. Obwohl das eigentliche Ziel, die Eroberung der deutschen U-Boot-Basen, zu keinem Zeitpunkt auch nur annähernd erreicht wurde, wertete das alliierte Oberkommando die Operation als Erfolg. Weil es immerhin gelungen war, die Reste des Dorfes Passendaele einzunehmen. Nach drei Monaten und 300.000 Mann Verlusten. Die Geländegewinne von etwa 130 km² gingen im darauffolgenden Februar während der deutschen Frühjahrsoffensive wieder verloren. Es soll welche geben, die sich ernsthaft wundern, wie 'vernünftige' Menschen zu glühenden Pazifisten werden können.

Im kollektiven Gedächtnis Großbritanniens nehmen die Gemetzel in Flandern einen wichtigen Platz ein ('In Flanders Fields'). Künstliche Mohnblumen (poppies) werden zu etlichen Gedenktagen an der Kleidung getragen. So findet sich in britischen Medien ausführliche Berichterstattung über die Gedenkfeiern, die man hierzulande vergeblich sucht.

Fun fact: Schlachtfeldtourismus ist in Flandern heute ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.





6 Kommentare:

  1. Nach den Massenabschlachtungen an der Somme(Schlacht an der Somme) mussten in den Soldatenbordellen auf Befehl des Oberkomandos Kondome verwendet werden,da der Ausfall an geschlechtkranken Soldaten nicht mehr kompensiert werden konnte.

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    1. Optimistisch, dass das Oberkommando offenbar glaubte, die hätten überhaupt noch genug Zeit, Geschlechtskrankheiten zu entwickeln...

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  2. "Oder war es einfach bloß Ratlosigkeit, die dann freilich Hunderttausende das Leben kosten sollte?"
    Die Frage ist in der Tat interessant. Clausewitz vertrat die These, daß aktuelle Generale meist ein Verständnis von Waffen haben, das etwa 20 Jahre alt ist. Für die Unfähigkeit solch alter "Haudegen" (die Bezeichnung spricht Bände), den Charakter neuartiger Waffen zu erfassen, spricht auch die Pickelhaube der Deutschen. Davor durchaus sinnvoll- der "Pickel" läßt Schwerter leicht abrutschen -war sie im ersten WK völlig obselet.

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    1. Wie heißt es so schön: Militärs bereiten sich immer auf den vorigen Krieg vor...

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    2. Die Pickelhaube ist aber kein sonderlich gutes Beispiel. Bereits 1915 kam die Anordnung, die Spitze im Fronteinsatz nicht mehr zu tragen (war abschraubbar bei den letzten Modellen) und ab 1916 kam der typische Stahlhelm zum Einsatz, den man heute eher mit dem 2. WK verbindet.

      Es gab aber einen General, der fähig genug war, mit einer neuen Taktik den Stellungskrieg zu durchbrechen: Oskar v. Hutier. Genauer gesagt, hat er die Stoßtrupp- oder Infiltrationstaktik zwar nicht erfunden, aber als erster im großen Stil eingesetzt.

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    3. @rano64
      Interessant, da haben sie offenbar recht schnell reagiert beim Helm.
      Hutier (mir völlig unbekannt) hat, wikipedia folgend, wohl sowas wie einen Blitzkrieg ohne Panzer versucht.

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