Montag, 16. Oktober 2017

Schmerzfrei originalverkorkst


Es gibt diese herrlich verstörenden Momente im Leben, in denen Fiktion, besser noch Satire, von der Wirklichkeit nicht nur ein-, sondern überholt wird. Vielen dürfte zum Beispiel das Weingut Pallhuber und Söhne aus dem Sketch von Loriot ein Begriff sein. Für das Weingut war dort ein trinkfester, rotgesichtiger, schnapsnasiger Vertreter namens Blümel auf Reisen, um arglose Hausfrauen zu beschickern und ihnen, sobald genügend beschwipst, die Produkte des Hauses aufzuschwatzen ("abgefüllt und originalverkorkst..."). Als die Konkurrenz von der Staubsaugerbranche hinzukam ("Es saugt und bläst der Heinzelmann..."), endete der Vormittag in allgemeinem Besäufnis und Chaos.

Irgendwann während der Neunziger kam ich im zugigen Eingangsbereich des Essener Hauptbahnhofes an einer Art Bretterverschlag vorbei, der wohl eine rustikale Blockhütte darstellen sollte. Davor koberte mich ein unglaublich schleimiger Schlipsträger an, ob ich nicht Interesse an einer kleinen Weinprobe hätte. Hui, dachte ich, eine Weinprobe in einer der hässlichsten Bahnhofshallen der Republik - wenn das kein Zeichen feiner und gehobener Lebensart ist, dann weiß ich auch nicht. Der Typ wirkte wie ein verkleideter Malocher, den sie in einen Anzug geschossen hatten, und der nun auswendig gelernte Phrasen aus dem Verkäuferseminar runterleierte. (Später dann fiel mir auch ein, was mich an ihm so irritierte: Er hatte es tatsächlich fertiggebracht, über Schlips und Kragen ein Goldkettchen zu tragen.)

Pallhuber, so hieß der Laden. Hoppla, das kam mir doch bekannt vor, Versprach die Sache lustig zu werden? Ich willigte ein. Man führte mich hinein und bat mich, auf einem wackligen Barhocker Platz zu nehmen. Außer mir waren noch zwei verloren wirkende Gestalten anwesend, die den Eindruck machten, so ziemlich alles zu trinken, sofern es nur Alkohol enthielt. Goldkettchen-Günni ölte mich weiter voll und fragte, welchen Wein ich denn am liebsten trönke. Trockene französische Rotweine, antwortete ich wahrheitsgemäß. Gern auch mal einen trockenen Riesling oder Chardonnay. So etwas hätte man leider nicht im Programm, aber wenn ich vielleicht einmal diesen Spanier hier, der würde ganz besonders gern von jungen Leuten... Er kredenzte mit großer Gönnergeste einen wänzigen Schlock in einem Plastikschnapsglas und ich probierte artig. Das Zeug war picksüß und körperwarm. Wie auch alle weiteren Tropfen, die man mir im Rahmen dieses Events kredenzte.

Nun verstehe ich nicht das allermeiste von Wein, damals verstand ich noch weniger davon. Doch habe ich eine Antenne für Leute, die von etwas noch weniger Ahnung haben als ich. Und von Wein hatte der Typ, so viel ward bald klar, nicht die geringste Ahnung. Fragen nach Rebsorten, Jahrgängen oder Anbaugebieten umschiffte er, indem er gar nicht erst darauf einging. Statt dessen faselte er von Stil, Lebensart, Zielgruppen und schönen Flaschen, die er immer "edel" nannte, und wirkte immer verzweifelter dabei. Möglicherweise war er auf Provision unterwegs. Besonders stolz war man im Hause Pallhuber auf einen ekligen Sekt aus Flaschen, die Günni "edel designt" nannte ("wenn die Freundin mal da ist..." - brrr!), die mit ihrer billigen, überladenen Porno-Optik aber eher in einschlägige Etablissements passten, um dort für satte dreistellige Beträge verhökert zu werden. Ich hatte bald genug von den überteuerten alkoholischen Fruchtsaftgetränken und seilte mich ab aus der surrealen Szenerie mit der Ausrede, mein Zug führe in drei Minuten und jetzt müsse ich aber mal wirklich, ohne dass es zu irgendwelchen Geschäftsabschlüssen kam.

Mehr als zwanzig Jahre ist das jetzt her und ich denke zuweilen gern daran zurück, weil ich, wie gesagt, solche schrägen, haarscharf neben der Spur entlang wackelnden Episoden liebe. Mit doofen zweiwöchigen Strandurlauben langweilen, die komplett nach Plan laufen, kann schließlich jeder Depp. Dann aber stieß ich im ZEIT-Magazin auf eine nette Reportage von Dirk Gieselmann über die von ihm auf der "internationalen Erotik Messe" [sic] 'Venus' erlebte Tristesse. Dort heißt es:

"Ohnehin, das muss man einräumen, ist nicht alles traurig hier, was nicht heißt, dass es schön wäre. In Halle 21 steht ein junger Erotikgeschäftsmann im Netzhemd am Tresen und führt ein Beratungsgespräch mit einer nackten Greisin. Am Stand daneben, bei der Firma Pallhuber, kann man an einer Weinprobe teilnehmen. Und drüben auf der Couch sitzen die Gummipuppen, als wären sie Gäste in einer Show mit Oliver Geissen." (Gieselmann, a.a.O.)

Sieh an, dachte ich, den Laden gibt es also immer noch. Und sie scheinen nichts verlernt zu haben seit damals. Schmerzfrei wie eh und je. Denn immer noch gehen sie offenbar dahin, wo es weh tut. Und wenn sie immer noch die gruselige Bordellbrause im Sortiment haben, dann passt's ja. Das erinnerte mich daran, wie ich vor ein paar Jahren ich mit Freunden über die Cranger Kirmes flanierte. Abseits der Fahrgeschäfte in den Nebenstraßen gibt es dort endlos lange Budengassen, in denen sich alles mögliche erstehen lässt. In einer Bude boten sie tatsächlich Dessous feil. Reizwäsche. Strapse, Korsage, Miederwaren. Direkt unter der Eisenbahnbrücke und gegenüber des Bierstandes. Hui, dachte ich, edle Spitzenwäsche auf der Kirmes einkaufen – wenn das kein Zeichen von Stil und feiner Lebensart ist, dann weiß ich auch nicht. Es kommt eben zusammen, was zusammengehört.



3 Kommentare:

  1. Reiz- und Spitzenwäsche interessiert mich gerade überhaupt nicht, sondern nur die Hauptsache: damals vor zwanzig Jahren! Hast du bei der Frage nach dem Bukett die richtige Antwort gegeben? Die da lautet „pelzig“?

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    1. Nach dem Bukett hat der gar nicht gefragt, da wusste der nix von. Aber wenn, dann wäre ich ihm mit Tucholsky gekommen und gesagt: "Es möpselt". Das hätte ihn wohl endgültig aus der Bahn geworfen...

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  2. "Mein Mann fragt immer. ob er nach Korken schmeckt!" "Darauf können Sie sich verlassen!"

    War schon ein ehrlicher Betrüger, der Herr Blümel (der Schnittchen mit Ei und mit Wurst so liebte ;) …)

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