Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
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Samstag, 27. Januar 2018
Es solo un poema
"Fünfzig Jahre nachdem der beste Teil der akademischen Jugend aus dem Zombiefriedhof Nachkriegsdeutschland ein erträgliches Gebilde zu formen begann, müssen sich Studierende wieder »barbarischen Schwachsinn« (Christoph Hein), pardon, andichten lassen." (Ambros Waibel)
Man muss gelegentlich daran erinnern, was an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin eigentlich genau geschehen ist. Das muss einem nicht passen, aber man sollte vielleicht respektieren, dass die Entscheidung, Eugen Gomringers Gedicht auf der Südfassade zu übermalen und gegen ein anderes zu ersetzen, zuvörderst einmal Sache der Hochschule und damit zu respektieren ist, sofern alles mit rechten Dingen zugegangen ist dabei. Natürlich kann man eine Menge Kritisches anmerken zu dieser Entscheidung. Man kann sie etwa heillos überzogen nennen. Oder finden, dass es wichtigeres gibt. Das wäre im übrigen auch meine Lesart. Wenn der AStA es als Hauptproblem identifiziert hat, dass die Gegend um den Platz vor der Hochschule eine sei, in der sich Frauen eh schon unwohl fühlten und das Gedicht da lediglich verstärkend wirke, dann darf man selbstverständlich fragen, wieso dann nicht jenes Hauptproblem angegangen wird.
Man kann ferner darauf hinweisen, dass gerade dieses Gedicht großen Raum für Assoziationen bietet - der Philolog' spricht da von Leerstellen - und diejenige zu sexueller Belästigung oder gar Gewalt nur eine von unzähligen ist, die Interpretation, hier würden Frauen verdinglicht, mitnichten Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben kann. Meine Assoziation war, beginnender Lustgreis, der ich bin, folgende: Du sitzt an einem seidig-angenehmen Frühlingstag nach einem trüben Winter im Straßencafé, lässt bei guter Lektüre und gutem Kaffee ein wenig die Seele baumeln und genießt die schönen Anblicke, die sich bieten. Unter anderem schöne Blumen und schöne Frauen in frühlingshafter Aufmachung. Eine dieser Situationen, die du gern bewahren würdest und die schon in der Erinnerung wohlige Gefühle bereitet. Verboten? Mir doch Wurst.
Und natürlich kann man diejenigen, die gefordert haben, das Gedicht zu entfernen, überempfindlich finden, brutalfeministische Megären, die nichts anderes gelernt haben im Leben, als alles und jedes ausschließlich auf sich und ihre höchstpersönlichen Empfindungen zu beziehen, die sie für den Nabel der Welt halten. Dann sollte man aber auch so fair sein und fragen, wie es eigentlich um die Empfindlichkeiten von Kritikern bestellt ist, die angesichts der Entscheidung der Hochschule allen Ernstes eine Diktatur heraufdämmern sehen. Auch brave Konservative sind mitunter schnell dabei, Objekten wie onanierenden Kragenbären den Kunststatus abzusprechen und sich gegen öffentliches Ausstellen auszusprechen. PC-Diktatur?
Kann man alles tun. Man kann aber auch ganz dolle mutig das Undenkbare annehmen, nämlich dass die Frauen - horribile dictu! - recht haben und auf dem Platz tatsächlich eine von vielen als bedrohlich empfundene Atmosphäre herrscht. Ist es da wirklich so komplett abwegig, wenn dieses Gedicht da eher wie Hohn wirkt und nicht wie ein scheinbar unschuldiges, etwas altherrenhaftes Kompliment? Was wäre eine passende Antwort? Nustellnsesichma nicht so an, Frollein, det hammse jefälligst auszuhalten, werden se mal erwaxen! - so in der Art? Klar, wenn das Problem so existiert, dann wird es nicht weggehen, bloß weil ein Gedicht überpinselt wird. Bloße, hohle Symbolpolitik? Mag sein, aber waren dann - andere Hausnummer, andere Dimension, aber im Kern ähnlich - all jene, die 1945ff. die allgegenwärtigen Nazi-Insignien, darunter auch vieles, was dem NS-Regime als Kunst durchging, beseitigt haben, auch alles verachtenswerte, faschist- bis talibanoide Bilderstürmer und damit kein Stück besser als die Nazis?
Mit der Nummer sind momentan ja viele auf Tour. Ich sehe sie förmlich vor mir, die ungebildeten, amusischen Kleingeister, wie sie sich nun mit Taliban- und Nazivergleichen für Gomringers Gedicht in die Bresche werfen, für das sie in anderem Kontext womöglich nur Verachtung übrig hätten ("Watt, der Scheiß soll en Gedicht sein? Reimt sich doch gar nicht! Überhaupt, wieso Spanisch? Wir sind hier in Toitschland! Von unsern Steuergeldern, unerhört!"). Weil sichs halt so schön instrumentalisieren lässt fürs rechtsautoritäre Süppchen. Man sollte durchaus darauf hinweisen, dass unter denjenigen, die nun am lautesten trommeln für die Freiheit der Kunst, nicht wenige sind, die als es Genderwahn abtun, wenn Frauen Sexismus und sexuelle Belästigung zur Sprache bringen ("Ja, darf man etwa nicht mehr...?"), dasselbe aber zu existenziellen Bedrohungen aufblasen sobald muslimische Jungmänner im Spiel sein könnten. Und die auch anderem, das ihren bierdeckelgroßen Horizont übersteigt, gern mit drakonischen Mitteln beikommen wollen. Etwa fordern, den Kinderkanal gleich komplett abzuschalten wegen Titten.
Zumal das Talibangepluster eh Mumpitz ist. Denn es ist ein vielleicht klitzekleiner, allerdings nicht völlig unbedeutender Unterschied, ob ein Haufen verstrahlter Banausen unwiederbringliches Kulturgut wie die Buddha-Statuen von Bamiyan ein für alle mal wegsprengt oder ob ein Gedicht auf einer Fassade übermalt wird, das damit eben keineswegs endgültig vom Antlitz der Erde getilgt ist, sondern weiterhin allgemein zu lesen und in gedruckter Form zu kaufen ist. Und, der Vollständigkeit halber: Ja, es ist ebenfalls ein Unterschied, wenn eine Hochschule nach einem ordentlichen Verfahren einen solchen Schritt beschließt - talk about Hausrecht -, oder eine Bande überspannter Helikoptereltern eigenmächtig und selbstherrlich Plakate abdeckt, die ihrer Meinung nach eventuell traumatisierend wirken könnten auf ihre Thronfolger.
Man kann das Ganze sogar positiv sehen, wenn man will. Wohl kein anderes Gedicht seit Jandls legendärem 'Ottos Mops', das im weitesten Sinne moderner Lyrik zuzurechnen ist, hat in so kurzer Zeit solche Popularität erlangt. Der bis dato allenfalls in Fach- und Liebhaberkreisen bekannte Verfasser genießt in hohem Alter noch einmal jene Aufmerksamkeit, die seiner Arbeit bislang versagt geblieben ist. Vielleicht bringt das ja welche dazu, sich nach langer Zeit wieder mit Lyrik zu befassen? Schlecht wär's nicht. Außerdem hat dieses Gedicht Anstoß erregt und eine hitzige, teils leidenschaftliche Debatte ausgelöst. Somit hat es exakt das getan, was Kunst und Literatur nach Ansicht kunstsinniger Kreise doch eigentlich sollten und auch millionenteure documentas immer seltener hinbekommen. Und es hat sogar zu kreativer Auseinandersetzung gereizt. Was will man mehr?
Noch einmal: Was ist passiert? Es hat kein Willkürregime ein Verbot verhängt, sondern eine kleine, vielleicht radikale Minderheit Studierender hat sich gegen etwas gewehrt, das sie stört und die Dinge selbst in die Hand genommen. Somit exakt das getan, was heutige Studierende nach Meinung vieler viel zu wenig tun und gefälligst mehr tun sollen. Und damit übrigens im besten Sinne der Namensgeberin ihrer Schule gehandelt. Es gibt Schlimmeres. Öffentliche Ordnung und Freiheit der Kunst waren zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise in Gefahr.
Wohl noch keine Jugendgeneration hat jemals unter solchem Konformitätsdruck gestanden wie die heutige. Auch sah wohl noch keine Jugendgeneration sich demographiebedingt einer solchen Übermacht aus alten Säcken gegenüber wie die heutige. Darunter nicht wenigen, die sich selbst keineswegs für welche halten, was das Aufbegehren nochmal schwerer macht. Dazu wird andauernd, vor allem aus meiner Alterskohorte (die gern diskret verschweigt, während ihres Studiums damals jegliches Studieren konsequent vermieden zu haben), herumgenölt über die Duckmäuserei und Angepasstheit der heutigen Studierendenschaft. Mucken sie aber mal auf, die heutigen Studierenden, und machen ihr eigenes Ding wie jetzt in Berlin, auch wenn's unsereins vielleicht nicht passt, nicht gleich einleuchtet, uns möglicherweise sogar arg verpeilt deucht, dann ist es auch wieder nicht recht.
Apropos: Woran erkennt man eigentlich alte Säcke? Unabhängig vom biologischen Alter unter anderem daran, dass sie ihre eigene Sozialisation für maßgeblich halten, andauernd über die Jugend von heute nölen bzw. darüber, dass es so was damals aber nicht gegeben hätte und sich ansonsten krampfhaft dagegen stemmen, dass Zeiten und Wahrnehmungen sich ändern können. Vielleicht ist es ja an unsereins, uns nunmehr als halbwegs würdige alte Säcke zu erweisen und solche Fehler zu vermeiden.
5 Kommentare:
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Man erkennt alte Säcke an Ihrer Gesinnung. Die gibt es sonst nicht.
AntwortenLöschenDa wäre ich mir nicht so sicher.
LöschenDie letzten zwei Absätze sind sind wunderschön formuliert und für mich (altem Sack) ein ganz eigenes, sehr spannendes Thema.
AntwortenLöschenEmpfehle dazu "Das Ende der Eintracht zwischen den Generationen" aus "2052 - Der neue Bericht an den Club of Rome".
Gäbe es für den Distinktionsgewinn der Jungen gegenüber den Alten nicht lohnendere Objekte als ein Gedicht am Arsch der Heide in Hellersdorf? Gerade verhandeln Merkel und Co. über weitere vier Jahre bleierne Zukunft. Aber die Generationen streiten über ein harmlos-langweiliges Gedicht ... Das darf man schon mal Scheiße finden, auch wenn der Sack bis zu den Knien geht.
AntwortenLöschenDie Relevanz fürs große Ganze ist wohl in der Tat eher marginal. Ansonsten bin ich ja auch der Meinung, die Sache wird gerade mindestens drei Nummern zu groß gemacht.
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