Montag, 23. April 2018

Held auf vier Pfoten


Manchmal denkste nur: Geht's noch? Ich kann ja verstehen, wenn man es nicht gutheißt, dass der Staffordshire-Mischling Chico auf Beschluss des Veterinäramtes Hannover eingeschläfert, vulgo: getötet wurde. Dieses Tier hatte seinerseits jene Menschen getötet, die es jahrelang grauenhaft falsch gehalten haben und heillos überfordert waren damit. Chico in professionelle Hände zu vermitteln hätte wohl nur funktioniert, wenn er als Arbeits- oder Diensthund hätte eingesetzt werden können. Ihn an Privatleute zu vermitteln, egal wie hundeerfahren, oder an einen Gnadenhof hätte ein kaum zu vertretendes Risiko bedeutet. Infrage gekommen wäre vielleicht eine armselige Zwingerhaltung irgendwo in Nirgendwo, was letztlich bloß bedeutet hätte, sein bisheriges tristes Dasein zu verlängern, wenn auch vielleicht mit mehr frischer Luft.

Das eine sollte man so wenig mit Moral aufladen wie das andere. Die Vorstellung, der arme Hund habe sich an seinen Haltern 'gerächt', ist genauso ein Blödsinn wie die, dass die Gesellschaft nunmehr an Chico Rache genommen und ihn quasi hingerichtet habe. Die Entscheidung, ein potenziell gefährliches Tier zu töten, fällt nicht aus Mordlust oder Rachegelüsten, sondern beruht in der Regel auf nüchternen Abwägungen. Das muss einem nicht gefallen, aber auch die zu Recht umstrittene, weiß Gott kontroverse, mangelnder Tierliebe hingegen eher unverdächtige Tierschutzorganisation PETA ist offenbar gezwungen, solche Abwägungen anzustellen und lässt in den USA jedes Jahr etliche tausend Tiere einschläfern, die in ihren Auffangstationen abgegeben werden.

Wieso man das bedauernswerte Vieh aber jetzt allen Ernstes und offenbar ohne jedwede Ironie zum "Helden" und "Freiheitskämpfer", zum "Chico Guevara" [sic!] gar aufblasen muss, erschließt sich mir nicht wirklich. Das haben am Wochenende nicht wenige gründlich überdrehte Tierfreunde bei einer Mahnwache in Hannover getan, bei der die Behörden mit depperten Mordvorwürfen überzogen und größenwahnsinnigerweise der Rücktritt aller Beteiligten gefordert wurde. Sicher, das Tier hat natürlich nicht mit Absicht gehandelt und nicht aus freier Entscheidung, kann daher auch nicht im menschlichen Sinne als schuldig gelten. Für was für eine 'Freiheit' genau aber soll die schändlich gemeuchelte Kreatur denn da gekämpft haben? Diejenige, jederzeit ihre Halter zu zerfleischen? Wieso nicht auch die Nachbarskinder? Schwer zu sagen und Hunde können dummerweise nicht sprechen.

Menschen, die Sätze sagen wie: "Keiner versteht mich, nur mein Furzel/meine Minka.", waren mir schon immer suspekt. Höchst interessant jedenfalls, was Guillermo Schwiete, Mitorganisator der Demo, meinte, als man ihn fragte, ob die Menschheit vielleicht nicht doch drängendere Probleme habe: "Kein Mensch hier würde sagen, die Kinder in Afrika interessieren uns nicht. Wir haben genug Empathie, aber wir können doch nicht für alle etwas tun." Aha.

Vielleicht ist es das Beste, an die letztens schon an anderer Stelle zitierten Bemerkungen Leo Fischers über den durchaus anzutreffenden Zusammenhang zwischen neurotischer Tierliebe und Menschenhass zu erinnern:

"Der Hundenarr, der die vermeintliche Loyalität eines Geschöpfs lobt, das ohne ihn verhungern würde, steht dem Unsinn eines Katzenhalters, der in die sinnlosen Stressentladungsreaktionen eines eingekerkerten Lebewesens Stolz, Verspieltheit und Temperament hineinhalluziniert, in nichts nach. Was man an sich selbst und dem Mitmenschen vermisst - Treue, Stärke, Selbstbewusstsein, Erlebnishunger, emotionale Intensität -, wird dem Tier eingeschrieben und aufgedrängt. [...]
Bei viel zu vielen Facebook-Nutzern und Twitterern gibt es eine sichere Korrelation zwischen der Anzahl verkitschter Tierbilder, die sie posten, und plötzlich herausbrechenden Gewaltfantasien gegen Ausländer, Frauen, Juden oder Schwule. Hämische Tränenlach-Smileys sind die Reste emotionaler Interaktion, die diesem Sozialcharakter verblieben ist."


Als Schwiete vor dem Veterinäramt verächtlich auf den Boden gespuckt habe, soll es allgemeinen Beifall gegeben und eine junge Frau soll gesagt haben: "Das tut so gut, das rauszulassen." Aha. Können die nicht einfach Reichsbürger, Chemtrailer, Flat Earther, Truther oder so was sein? Die lassen wenigstens die Tiere in Ruhe.



4 Kommentare:

  1. Der Hang des Menschen zum Haustier ist natürlich. Das Tier wird zum Familienmitglied. (War schon immer so, etwa im alten Ägypten.)

    Dass Chico deswegen zum Helden hochstilisiert wird, ist eine ebenso natürliche wie falsche Reaktion. – Im Übrigen trauern wir um Willow.

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  2. ... Guten Abend,
    Die Demo ist m. E. Ein typisches Beispiel des "Internet-Echo-Raums", ohne soziale Medien wären nicht Personen von weit entfernten Orten extra dahin gekommen, um ein paar Minuten krawallig rumzustehen. Die Dödel-Community ist halt schön vernetzt.

    Gruß
    Jens

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    1. Das Phänomen der sich weltweit vernetzenden Dorfdeppen also. Sag ich doch, daher meine Parallele zu Reichsbürgern et al.
      @WDB: Vorsicht mit dem Natürlichkeitsargument. Eine Familie in vorwiegend agrarischen Gesellschaften war was anderes als unsere moderne bürgerliche Kleinfamilie. Abgesehen davon: Hunde, die im 'ursprünglichen' Sinn gehalten werden, als Helfer nämliche, also als Jagd-, Schutz-, Hütehunde o.ä. pflegen nicht auf solche Weise vermenschlicht zu werden.

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  3. @Stefan Rose (25.4.18 00:07) – „Natürlichkeitsargument“ – der ursprüngliche Nutzwert des Jagdhundes ist bekannt und unbestritten.

    Dennoch. Nach meinem Wissen finanziert das Sozialamt dem Bedürftigen den Unterhalt eines Haustiers. Grund ist Ersatz für fehlende familiäre Bindung. Dies gilt ohne Rücksicht auf Agrar- oder Urbangesellschaft. Ich zähle es zu den Grundbedürfnissen.

    Die Bedeutung der Familie für die menschliche Seele habe ich an anderer Stelle ausgeführt.

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