Montag, 13. August 2018

Call Off Duty


Für 20 Monate hatten sie mich nach dem Abitur einberufen zum Zivildienst. Nach mir wurden noch welche für 24 Monate einberufen, aber das wurde noch während deren Dienstzeit wieder reduziert. Bundeswehr dauerte 18 Monate damals. Begründet wurde die Differenz mit den Wehrübungen, zu denen die Amateursoldaten im Gegensatz zu den Zivildienstleistenden nach ihrer Dienstzeit noch einberufen wurden. Wurden sie aber kaum noch. In den Achtzigern zumindest. Ging wohl auch nicht wirklich darum, sondern darum, Zivildienst weniger attraktiv erscheinen zu lassen. Wer mit Abitur zum Bund ging und nicht explizit darum bat, kam nach der zur 'Grundi' verniedlichten Grundausbildung auch nicht zu einer Kampfeinheit. Zu viele Scherereien, zu viele Beschwerden und Eingaben. Die meisten schienen in irgendwelchen Schreibstuben vor sich hin zu gammeln.

"Wer Abitur hatte (oder einfach nur Selbstachtung), hat selbstverständlich verweigert. In meinem Freundeskreis ging genau ein einziger zum Bund, wofür wir ihn äußerst schief angeguckt haben. Er stand unter größtem Rechtfertigungsdruck. Keineswegs, weil die pazifistischen Ansichten, die in die Verweigerungsschreiben gelogen wurden, irgendeine reale Basis gehabt hätten. Sondern weil das ein Scheißjob bei einer furchtbar schlecht organisierten Institution ist. Zivildienst kann wenigstens theoretisch und mit Glück Spaß machen oder irgendwie sinnstiftend sein. [...] Selbst wenn man wie ich der Ansicht ist, dass Deutschland eine starke Armee braucht, dient man nicht beim Bund. Weil der keine starke Armee ist. Sondern etwas, das Kafka beschrieben hätte, wenn es zu seiner Lebzeit LSD gegeben hätte. " (David Harnasch)

Also tat ich 20 Monate Dienst im Krankenhaus. Auf einer Pflegestation. Die mir bekannten, die zum Bund gegangen waren, stöhnten herum, wenn sie alle paar Wochen mal am Wochenende in der Kaserne bleiben mussten, ich durfte jedes zweite Wochenende ran. Aus deren Erzählungen wusste ich auch, dass der bundesdeutsche Militärdienst streckenweise zur überbürokratisierten Farce geworden schien. Entweder, es wurde sinnlos Zeit totgeschlagen (zwei Freunde von mir, die sich während ihres Wehrdienstes beim damaligen 1. Korps in Münster kennengelernt haben, waren oft schon mittags gut angeschickert, weil sie die Öde anders nicht ertrugen) oder junge Menschen, oft nicht viel älter als die ihnen Anvertrauten, lebten ihr bisschen Macht auf deren Rücken genüsslich aus. Mit manchmal fatalen Folgen. An unserer Schule gab es einen jungen Chemielehrer, der nett und recht beliebt war. Vermutlich hatte er darauf spekuliert, um den Bund herumzukommen, wenn er erst einmal im Schuldienst wäre. Falsch gedacht, sie haben ihn noch mit dreißig eingezogen, auf den allerletzten Drücker. Zurück kam er ernstlich deformiert und gab das, was er erlebt hatte, eins zu eins an uns weiter. Ein Einzelfall, ein bedauerlicher, gewiss.

Das Sozialprestige des Zivildienstes hatte sich zu meiner Zeit normalisiert. Als Drückeberger, der nicht gehorchen konnte, galt man schon lange nicht mehr. Natürlich gab es Ausnahmen. Den Personalreferenten des erwähnten Krankenhauses etwa, der seine Soldatenurkunde und sein Einheitsemblem in seinem Büro an der Wand hängen hatte. Er dachte sich immer neue Schikanen aus gegen uns Zivis. Ihm war es vor allem ein Dorn im Auge, dass wir laut Gesetz freie Verpflegung hatten und in der Kantine nach Belieben zulangen durften, während die übrigen Mitarbeiter zahlen mussten. Also bastelte er ein System mit Essenskarten, auf denen die uns zustehenden Rationen aufgedruckt waren und jeden Tag abgezeichnet werden mussten. Sehr zum Ärger des Kantinenpersonals übrigens. Begegnete man ihm irgendwo, dann fragte er eine Zeitlang süffisant, ob die "jungen Herren" sich denn schon an die neuen Gepflogenheiten gewöhnt hätte. Dass wir nach den Praktikanten die billigsten Arbeitskräfte waren, die oft (gesetzeswidrig) 70, 80 Prozent der Arbeiten einer examinierten Pflegekraft erledigten, schien ihm nicht in den Sinn zu kommen.

Insgesamt hatte ich schon das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und zum ersten Mal in meinem Leben Rückenschmerzen. Als noch weitgehend unverbildeter Jungmensch, der bis dahin nur Schule gekannt hatte, fand ich den frontalen Zusammenstoß mit dem wahren Leben in all seinen Facetten, bis hin zu existenziellen, durchaus bildend. Ich erfuhr, dass Pünktlichkeit, Genauigkeit und Zuverlässigkeit eben nicht immer hohle Schikanen sein mussten, sondern buchstäblich lebenswichtig dafür, dass der Betrieb ordentlich lief und niemand zu Schaden kam. Sicher, wer keinen Bock hatte auf so was, konnte sich auch einen ruhigeren, deutlich weniger sinnstiftenden Zivildienst machen. Hausnotruf war so ein Geheimtipp. Oder im Dekanatsbüro der Kirche. Ich schied aus dem Dienst mit einen Riesenrespekt vor Menschen in Pflegeberufen und der Erkenntnis, dass Pflege nicht meine Branche ist. Gar nicht mal so sehr des (wenigen) Geldes wegen übrigens, sondern vor allem wegen der andauernden psychischen und physischen Belastungen.

Obwohl Neoliberale immer mal wieder davon träumen, wenn der Markt nicht so recht will, und wiewohl die Agenda 2010 da schon einiges an Flurschaden angerichtet hat, ist es verfassungsrechtlich immer noch problematisch, Menschen gegen ihren Willen dienstzuverpflichten. Die allgemeine Wehrpflicht ließ sich nur begründen mit der Bedrohungslage des Kalten Krieges, die, so hieß es, eine schnell zu mobilisierende Riesenarmee erforderlich machte. Nach 1991 wurde es zum Teil grotesk. Die Bundeswehr benötigte infolge mehrerer Schrumpfkuren immer weniger Soldaten. Die Dienstzeit verkürzte sich immer weiter, längst nicht jeder wurde mehr einberufen, Zivildienstleistende aber waren immer noch gern genommen. Denn der Zivildienst hatte sich am Ende vom 'Ersatzdienst' einiger Freaks gemausert zum Normalfall.

Wenn der nun (und nebenbei auch der Wehrdienst) in veränderter Form unter der Bezeichnung 'allgemeine Dienstpflicht' für alle wieder eingeführt werden soll, ist hingegen größte Vorsicht geboten. Denn wenn sogar ein Jens Spahn konzedieren muss, dass im Pflegebereich miserable Löhne gezahlt werden und sich daran etwas ändern muss, dann kann man immer noch an anderen Parametern drehen. Darauf lief es beim Zivildienst eigentlich hinaus: Mittels Zwang fast vollwertige Arbeit abgreifen und ein Taschengeld dafür zahlen brauchen. Und das dann als wertvolle Lebenserfahrung verkaufen. Eine allgemeine Dienstpflicht würde übrigens auch für Frauen gelten, denn sie auszuschließen wie einst bei Wehr- und Zivildienst, wird sich in Zeiten, da längst Soldatinnen beim Bund Dienst tun, kaum aufrechterhalten lassen. Was dann das Arbeitskräftepotenzial verdoppeln würde.

Entzückend auch immer wieder die Idee, mit einem Zwangsdienst könnten Jungmenschen Staat und Gesellschaft "etwas zurückgeben". Abgesehen davon, dass das gern vorgebracht wird von Leuten, die diesbezüglich längst aus dem Schneider sind, stellt sich die Frage: Für was eigentlich? Für die teure Kinderbetreuung im Vorschulalter, die weitgehend die Eltern gezahlt haben? Das seit Jahrzehnten heillos unterfinanzierte Schulsystem, das  ebenfalls unter Zwang (a.k.a. Schulpflicht) zu durchlaufen war, das unter weitgehend unzumutbaren Rahmenbedingungen stattfindet und das inzwischen unter einem solchen Lehrermangel ächzt, dass - Bildungsrepublik Deutschland! - so ziemlich jeder vor eine Klasse gestellt wird, der unfallfrei ein Stück Kreide halten kann? Für die dank Schwarzer Null und Schuldenbremse sanft vor sich hinrottende Infrastruktur? Für Transferleistungen, auf die sie meist noch keinen Anspruch haben? Etwas zurückgeben für etwas, das man noch gar nicht bekommen hat?

Die Steigerung ist nur noch das verlogene Preisen des 'Ehrenamtes'. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich finde Ehrenamt toll. Ohne die Heerscharen Ehrenamtlicher, die sich aus Überzeugung und meist ohne viel Gewese engagieren, sähe es noch weniger schön aus in diesem Lande. Fies wird es halt nur dann, wenn das in ein Geschäftsmodell eingepreist wird, wenn das im hohen moralischen Ton besummste Ehrenamt herhalten muss, um staatliche Kürzungen zu kompensieren. Dass man nicht immer nach einer Gegenleistung fragen dürfe im Leben, wird am lautesten propagiert von denjenigen, die ihrerseits keinen Finger rühren würden ohne irgendeine Gegenleistung, meist in Form einer Überweisung auf ihr Konto oder der Aussicht auf einen fetten Auftrag.

Mir gefallen pragmatische Lösungen immer am besten. Und ich kann auch, siehe oben, nicht leugnen, dass der Zivildienst für mich eine prägende Erfahrung war. Nur geht mir dieses autoritäre Verdonnernwollen, aus dem es obrigkeitlich miefelt, gegen den Strich. Gerade junge Leute haben ja oft sehr wohl Bock darauf, etwas Relevantes, Sinnstiftendes zu tun. Wie wäre es, sie mit konkreten Anreizen zu motivieren, sich ein wenig einzubringen? Ohne Zwang und ohne die Erwartung, dass alle immer gleich Vollzeit kloppen für Peanuts (und dafür noch danke sagen)? Vielleicht mal sehen, wie alle etwas haben könnten davon? In den kürzlich hier lobend erwähnten Niederlanden etwa scheint man seit jeher ein Händchen für so etwas zu haben. In Deventer etwa können Studenten mietfrei in einem Altenheim wohnen, wenn sie ein wenig mithelfen, konkret: einmal in der Woche den Senioren ein Abendbrot zuzubereiten und ihnen Tee auf die Zimmer zu bringen, der Rest ergibt sich von selbst.



6 Kommentare:

  1. … und das inzwischen unter einem solchen Lehrermangel ächzt, dass - Bildungsrepublik Deutschland! - so ziemlich jeder vor eine Klasse gestellt wird, der unfallfrei ein Stück Kreide halten kann?…


    Kühne Behauptung – untermauernde Fakten bitte :)

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  2. Antworten
    1. Bissl mehr als unfallfrei Kreide halten können wird da schon abverlangt. Ist übrigens nicht neu: läuft seit 15 Jahren so.
      Aber typisch für Schland: der Berg kreißt und gebiert eine Maus.
      Es gibt so viele Hürden für Seiteneinsteiger (selbst mit besten Qualifikationen und außerschulisch erworbenen pädagogischen Eignungen), dass nur knapp 10% der Bewerber eine Chance bekommen. Ob es die Besten sind – weiß wer?

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    2. Vielleicht etwas überspitzt formuliert, aber es fällt schon auf, dass mehrere Freunde/Bekannte, die Lehrer sind, seit einiger Zeit erzählen, Referendare bekämen eine 2 für Stunden, bei denen es vor nicht allzulanger Zeit gerade für ne 4 gereicht hätte.
      Apropos Hürden: Im deutschen Schulwesen ist man ja mittlerweile so weit, dass das Bewerbungsgespräch bei 'schulscharfen' Einstellungen quasi eine Prüfung ist, sodass es die inoffizielle Bezeichung '3. Staatsexamen' bekommen hat.

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  3. Das erinnert mich an meinen Zivildienst im Altersheim, Pflegestation. Und hinterher "Rücken".

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