Montag, 24. September 2018

Jenseits der Blogroll - 09/2018


Preisfrage: Woran erkennt man, dass es wieder Herbst wird? An den sinkenden Temperaturen? Den bunt sich färbenden Blättern? Iwo, der sicherste Indikator ist die alljährlich anhebende Berichterstattung über das Oktoberfest. Dieselben Preßfritzen, die uns sonst streng ermahnen, dass schon das kleinste Feierabendbierchen pures Gift sei und es im Prinzip keine vertretbaren Alkoholmengen gäbe, schalten im September kollektiv auf Partymodus. Und so werden wir auch dieses Jahr wieder zugeballert mit allerlei Details über das größte Massenbesäufnis der Welt. Über Bierpreise, Alkoholleichen, betrügerisches Einschenken, wie ein Dirndl korrekt zu tragen ist, welcher Promi mit welchen anderen unwichtigen Menschen in welcher Feierbutze gesehen wurde, die Wonnen vormittäglicher Druckbetankung im Festzelt und dass es überhaupt nichts Geileres gibt als sich in alberner Gewandung systematisch die Birne rauszuschrauben. Sexuelle Übergriffe hingegen werden normalerweise eher diskret behandelt. Wegen christlich-abendländische Kultur vermutlich.

Der September, und damit zu den Links, war der Monat jener parlamentarischen Sternstunde, da der Ex-Bürgermeister von Würselen, Ex-EU-Parlamentspräsident und Ex-Kanzlerkandidat Machtin Chulz, sich im Bundestag die AfD verbal vorknöpfte. Die verließ daraufhin, ganz Weltmeister im Austeilen und Mimose beim Einstecken, empört und unter Protest geschlossen den Saal. Und jetzt dürfen Sie, werte Leser, dreimal raten, wer das zuvor schon einmal gemacht hat. Naaaa?

"Moralische Empörung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen." (Helmut Qualtinger)

So begrüßenswert ein solcher Rüffel einem erscheinen mag, sollte man sich aber schon darüber im Klaren sein, dass verbales Runterputzen allein nicht genügen wird.

Schon 1991 entdeckte man bei der ZEIT Antonio Gramsci wieder und sinnierte, was die damals noch von Björn Engholm präsidierte SPD von ihm lernen kann. Tja, zu spät, die Rechten waren schneller.

Apropos SPD: Wolfgang Prabel arbeitet gründlich heraus, warum der Tod der SPD schon 1900 begann.

Francis Fukuyama ist mit einer der heftigsten Fehleinschätzungen der jüngeren Wissenschaftsgeschichte berühmt geworden. Er sah mit dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989/91 und dem 'Sieg' der liberalen Demokratie das 'Ende der Geschichte' gekommen. Sein Essay über den Aufstieg der Identitätspolitik als eine Folge der Finanzkrise von 2008/09 ist dennoch lesenswert.

Ahmad Mansour über die Diskursfalle, in die Linke zu oft tappen pflegen.

Vor einigen Jahren habe ich in einem Projekt mit einem Psychologen zusammengearbeitet, der auch als Ehe- bzw. Paarberater tätig war. Der meinte zu mir, das wichtigste bei jeder Ehe- bzw. Paarberatung sei, gleich zu Beginn zu etablieren, als Arbeitsgrundlage quasi, dass beide ungefähr zu gleichen Teilen schuld seien an dem Schlamassel. Das fand ich unmittelbar einleuchtend. Daher finde ich auch Artikel wie den von David Begrich so ärgerlich. Der sieht die Schuld für Vorfälle wie in Dresden, Chemnitz, Köthen et al. wieder einmal vornehmlich bei den 'lieben westdeutschen Freunden'. Wiewohl Begrich selbstverständlich nicht nur unrecht hat, denke ich, wir waren in der Analyse schon weiter.

Kultur. Wissen Sie, was der Opernstrich ist? Leo Fischer weiß es. Nur so viel: Es handelt sich um "die sanfteste, freundlichste und dem menschlichen Fortkommen wohlgefälligste Form der Prostitution, die dem Erdenrund bekannt ist".

Torben Winter über seine drei Monate in einer Studentenverbindung. Ich war nie Mitglied in einer, aber was Winter schreibt, bestätigt alle meine über die Jahre gesammelten Eindrücke über diese Szene. (Der schönste war übrigens der, den eine Freundin von mir bekommen hatte, die einmal ganz kurz mit einem Verbindungsmann liiert war. Auf einer Feierlichkeit im Verbindungshaus, bei der Damen erlaubt waren, frug ein bereits heftig angeglühter Chargierter sie in tadelloser Haltung, ob er ihr mal den Wichsraum zeigen solle. Die Ärmste brauchte Tage, um sich von dem Lachanfall wieder zu erholen. Die Beziehung soll danach recht schnell abgekühlt sein.)

Franz Joseph Wagner ist, gelinde gesagt, kontrovers. Seine tägliche Kolumne in der Springerschen bewegt sich zwischen geistiger Brandstiftung, Belanglosigkeit und manchmal auch, unfreiwillig oder nicht, abgefahrener Dada-Lyrik. Im Interview erweist er sich als jemand mit durchaus realistischer Selbsteinschätzung. Irgendwann ertappt man sich dabei, eigentlich auch ganz gern so leben zu wollen. Für 40 Gaga-Zeilen pro Tag so viel kassieren, dass es reicht, mit dem alten Porsche zwischen der Charlottenburger 'Paris Bar' und Saint Tropez hin- und herzupendeln. Und dabei permanent leicht einen sitzen zu haben.

Kulinarik und Essen. Ein gewisser Mr. Doherty gönnte sich kürzlich ein Frühstück.
Nun ja, wenn man sich ein halbes Leben lang vornehmlich von psychoaktiven Substanzen ernährt, dann hat man halt mal Kohldampf.


Wo wir gerade beim Thema sind: Hier gibt es auch was für den etwas größeren Appetit: 7.000 Kalorien für 10 Pfund – deal!

Unser Rezept des Monats. Hat man, so wie ich, keinerlei Ehrgeiz fürs Kuchenbacken, möchte dennoch etwas Süßes zum Kaffee oder Tee reichen, jedoch keinen Kuchen beim Bäcker kaufen, kann man sich hervorragend mit Far Breton behelfen. Eine bretonische Spezialität, die dort in jeder Bäckerei zu haben ist, vom Prinzip her Clafoutis nicht unähnlich. Es handelt sich um eine Art Pfannkuchenteig mit Backpflaumen (wenn möglich, mit Rum aromatisiert), der bei sanfter Hitze im Ofen gebacken wird, noch lauwarm am besten ist und absolut nicht nach Pfannkuchen schmeckt.






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