Freitag, 28. September 2018

Patriarchat, fortgeschrieben


Sicher, es sind die USA und die sind - Platitüde - in vielem anders. Einigen wir uns vielleicht darauf: Richter, egal wo und welcher Instanz, sollten zunächst einmal über den nötigen Sachverstand verfügen, ihren Job ordentlich zu erledigen. Weiterhin steht nirgendwo geschrieben, dass Richter moralisch zu 100 Prozent integer sein müssen. Und nein, Richter müssen auch keine Heiligen sein, es wäre weltfremd, geradezu kindisch, das zu erwarten. Ein Bewusstsein aber, eine Art Kompass für das, was richtig und falsch ist, muss man schon erwarten von einem Richter. Ferner eine Fähigkeit zur Reflexion, sich in die andere Seite hineinversetzen zu können. Ich mit meinem laienhaften Verständnis von Rechtsprechung wüsste jedenfalls nicht, wie man sonst Recht sprechen könnte.

(Es sei denn, man fühlt sich als Richter, als oberster Richter zumal, nicht verpflichtet, Recht zu sprechen, sondern als Lobbyist, der sein Amt nutzt, eine bestimmte Agenda durchzudrücken. Just sayin‘.)

Brett Kavanaugh ist Donald Trumps ultrakonservativer Kandidat für einen Richtersitz am SCOTUS. Er soll installiert werden, damit auch in den nächsten Jahrzehnten im Sinne der Plutokratie des Finanzkapitals entschieden wird. Ihm wird vorgeworfen, als junger Mann mehrfach ein Verhalten gegenüber gleichaltrigen jungen Frauen gezeigt zu haben, das man mit allem Wohlwollen als ungeschickt bezeichnen kann, vermutlich aber aber als sexuelle Übergriffe bezeichnen muss. Als ich zuerst davon hörte, dachte ich: Das mag alles sein, aber die Frage ist schon noch, wie lange einem gewisse Sachen anhängen sollten im Leben. Wie ich es nach wie vor überhaupt schwierig finde, in der #Metoo-Debatte klare Position zu beziehen.

Was machen wir, wenn so jemand seit nunmehr 20, 30 Jahren sich tatsächlich nur noch anständig verhalten hat gegenüber den Frauen, mit denen er so zu tun hatte? Vielleicht, weil er nach einem Aha-Erlebnis oder nach einem möglicherweise sogar schmerzhaften Lern- und Reifungsprozess, wie ihn Menschen nun einmal gelegentlich durchmachen, Konsequenzen gezogen hat? Weil so jemand trotz seiner Taten zu Empathie und Reflexion fähig ist? Wie lange sollen einem Menschen, Arschloch oder nicht, gewiss tadelnswerte Jugendsünden zur Last gelegt werden und ihn für öffentliche Ämter disqualifizieren? Was muss einer tun, um dieses Stigma wieder loszuwerden? Kavanaugh hat die Antwort selbst gegeben. Nämlich die, dass er völlig zu recht Probleme hat.

Christine Blasey Ford, die Kavanaugh bei der Senatsanhörung am Mittwoch sexuelle Übergriffe vorwarf, ist allem Anschein nach kein unbedarftes Starlet, das auf Aufmerksamkeit und ein paar schnelle Dollars aus ist und das wohl auch nicht nötig hat. Sie ist eine in jeder Hinsicht etablierte Frau, eine Psychologieprofessorin, die im Leben steht, eloquent ist und in der Materie geschult. Ihr dürfte sehr wohl bewusst gewesen sein, dass das, was sie sagte, als schwer zu beweisender Vorwurf im Raum steht. Erst recht nach all den Jahren.

Kavanaugh hätte vielleicht eine Chance gehabt, halbwegs aus der Sache herauszukommen. Er hätte einen Funken Empathie zeigen können. Verständnis äußern, dass sein damaliges Verhalten als problematisch angesehen wird. Er hätte schildern können, was seither passiert ist mit ihm und seinem Verhältnis zu Frauen. Oder zumindest erwähnen können, dass die Zeiten sich geändert haben. Dass ein Verhalten, das in den Achtzigern vielleicht noch tolerabel gewesen sein mag, vielleicht gar als Zeichen besonderer Männlichkeit gegolten haben mochte, nicht erst seit #Metoo anders wahrgenommen wird. So als absolutes Minimum.

Statt dessen greinte und jammerte er herum über die schlimme Hexenjagd auf ihn, seinen zerstörten Ruf, seine vernichtete Zukunft und tat sich in erster Linie mal selbst am meisten leid. Ein Charakterzug übrigens, der, gepaart mit klebriger Sentimentalität, oft bei Gewalttätern anzutreffen ist. Und so ein empathiefreier Egozentriker trommelt sich auf die Brust, ein praktizierender Christ zu sein, maßt sich als solcher an, über Moral und gute Sitten anderer zu urteilen? Meiner Ansicht nach, gibt es gute Gründe, so jemanden nicht einmal in die Nähe eines Amtes zu lassen, in dem er bis zu seinem Tod nachhaltigen Einfluss auf die Rechtsprechung eines ganzen Landes nehmen kann. Aber das ist bloß meine Meinung. Was aber, wenn es nur vordergründig um #Metoo geht?

Man kann weiß Gott darüber streiten, ob die Linke im Gefolge von 68 unter dem Motto, das Private sei politisch, das Private vielleicht unnötig politisiert hat (was ich nicht denke). In den USA waren es aber neoliberal gedrehte Konservative, die die evangelikalen Bibelschnüffler als Stimmreservoir erschlossen haben, sich zu diesem Zweck ab den Achtzigern als frömmelnde Kämpfer für so genannte Familiy values (in etwa 'Familienwerte', bei uns hieß das mal 'geistig-moralische Wende') und alleinige Gralshüter von Sitte und Moral aufspielten. Inzwischen ist deren Doppelmoral so weit fortgeschritten, dass exakt diese Leute einen notorischen Lügner, Fremdgeher, Puffgänger und Frauenbegrabscher ins Weiße Haus gehievt haben.

Sie hätten auch mit einem bigotten, mutmaßlichen Mädchenbefummler und Säufer wie Kavanaugh, der übrigens auch seinen früheren Alkoholkonsum mehrfach geleugnet hat, im Obersten Gericht keine Probleme. Wenn damit bloß sichergestellt ist, dass Abtreibung auch weiterhin illegal bleibt. Dann hätte er früher vermutlich auch ein heroinabhängiger Stricher sein können. Die Frage nach der Illegalität von Abtreibung nämlich ist nicht nur für US-Konservative die Frage nach der Zukunft des Patriarchats. Denn Patriarchat bedeutet im Kern: Kontrolle ausüben über weibliche Sexualität. Damit das Vermögen in der Familie bleibt.

Wie auch immer, den US-Republikanern fällt gerade exakt das auf die Füße, was sie vor 20 Jahren bei Bill Clinton höchstselbst losgetreten haben: Einen unliebsamen politischen Gegner loswerden zu wollen, indem man sein Sexualleben bloßstellt, um ihn aufgrund diverser Eskapaden und Fehltritte als charakterlich ungeeignet hinzustellen. Wobei es im Falle Kavanaughs durchaus um Strafwürdiges gehen würde, wäre an dem, was ihm vorgeworfen wird, etwas dran und wären die fraglichen Ereignisse nicht inzwischen verjährt. Beschweren sollte sich jedenfalls keiner.





2 Kommentare:

  1. Vermutlich wird bald der Weltfussballer Ronaldo auch in die Hall
    of Fame der internationalen Sexisten aufgenommen.

    http://www.spiegel.de/sport/fussball/cristiano-ronaldo-amerikanerin-wirft-ronaldo-vergewaltigung-vor-a-1230593.html

    Und unser gemeinsamer Freund Chris Tall begnügt sich auch nicht mehr mit Rassismus und Behinderten- und Schwulenfeindlichkeit. Er hat sich jetzt bei RTL mit eigener Show auf übelsten Sexismus verlegt:

    https://tinyurl.com/y7yezqkl

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    1. Ach, der nu wieder. Bei dem wäre mir bedeutend weniger unwohl, wenn der nicht so einen riesigen Schenkelklopf-Pöbel hinter sich hätte...

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