"Meine Zweifel an der Lernfähigkeit der Gesellschaft wachsen." (Bettina Gaus)
Schaut man sich die Masse der Bewerber an, dann könnte man nach den Ereignissen der letzten Wochen glatt den Eindruck bekommen, nicht wenige Leute hielten den Ronny des Monats für einen echten Preis. Die Auswahl war riesig dieses Mal, die Shortlist lang. So haben Wissenschaftler jetzt herausgefunden, dass es eine Korrelation gibt zwischen gehäuft auftretender Hate Speech in sozialen Netzwerken und realer rassistischer Gewalt. Wow! Was finden die als nächstes heraus? Dass Kaffee ohne Zucker weniger süß schmeckt? Wer hat die Studie verfasst? Captain Obvious?
Apropos obvious: Die beiden naheliegendsten Kandidaten für einen Spitzenplatz wären wohl der böhbelndde Dresdner Hutbürger und der oberste Verfassungsschützer und demnächst oberste AfD-Beobachter Hans-Georg Maaßen gewesen. Beide sind es nicht geworden. Erstens wurde letzterer hier bereits eigens erwähnt, zweitens muss man nicht jede Blitzbirne wie den ehemaligen LKA-Mitarbeiter unnötig aufwerten durch noch mehr Aufmerksamkeit. So sehr stapelten sich die Bewerbungen, dass es sogar die üblichen Gewaltausbrüche dieses Mal nicht in die Top 5 geschafft haben (natürlich hat es wie immer eine Menge gegeben, etwa in Wismar).
Die Preisträger des Monats:
Platz 5: Arme Richter
Der in München vor Gericht stehende Holocaust-Leugner Alfred Schaefer ist der Ansicht, wenn er dem Münchner Landgericht nur lange und intensiv genug seine Weltsicht darlegte, dann würde es ihm irgendwann gelingen, das Gericht umzustimmen. "Mondlandung, Kennedy, 9/11, der Kalte Krieg – selbst die Existenz kommunistischer und kapitalistischer Staaten überhaupt. Das gesamte Weltgeschehen [...] als Ergebnis eines Komplotts »des Juden an sich« oder »der Juden« [...], die er häufig als »Parasiten« bezeichnet. Im Mittelpunkt [...] steht der Holocaust, den er als gigantische »Gehirnwäsche« verstanden wissen will, die dazu diene, die westliche Welt gefügig zu machen. Am Ende der vermeintlichen allumfassenden Verschwörung stehe als Endziel die »Vernichtung der weißen Rasse.«" (Sebastian Lipp) Puh! Im Gegensatz zu anderen Arbeitsstätten, ist es bei Gericht leider keine Option, Gehörschutz zu tragen. Bleibt nur Mitgefühl mit allen, die qua Beruf gezwungen sind, sich das Geschwalle anzuhören.
Platz 4: Beim Geld hört der Patriotismus auf
Ein Blick über den Großen Teich: Der ausgesprochen patriotische Zweiradverein 'Bikers for Trump' kritisiert es scharf, dass ihr Leib- und Magen-Zweiradfabrikant Harley Davidson wegen Trumps Strafzöllen Teile der Produktion ins unamerikanische Ausland verlegen will. Der Club vertreibt aber weiterhin T-Shirts mit Pro-Trump-Motiven. Nur sind die nicht Made in U.S.A., sondern Made in Haiti. Der Fummel würde aus amerikanischer Herstellung nämlich acht Dollar mehr pro Stück kosten, und das findet Chris Cox, Gründer und Chef der Bikers, schlichtweg Nepp. Lassen wir das mal einfach so stehen.
Platz 3: Kämpfer für Meinungsvielfalt und gegen Zensur
Oft und gern erklingt ja aus einer ganz gewissen Ecke des Diskurses der Vorwurf, der 'linksgrünversiffte Mainstream' täte nichts lieber als ihm unliebsame Äußerungen nach Möglichkeit zu zensieren und aus dem öffentlichen Diskurs herauszuhalten. Was passiert, wenn man dort seinerseits mal mit unbequemen Äußerungen konfrontiert ist, zeigt der Fall der AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber. Dem Verleger, Netzwerker und Rittergutbesitzer Götz Kubitschek passte eine Passage ihres Buches 'Inside AfD. Der Bericht einer Aussteigerin' nicht und er versuchte, selbige per einstweiliger Verfügung schwärzen zu lassen. Moment mal, per Justiz, also staatlich verordnetes Kürzen bzw. Schwärzen eines Textes - wäre das nicht… Zensur?
Platz 2: Verkehrte Welt
Was Ex-Fotomodell und Mädchenzurichterin Heidi Klum privat mit wem treibt, ist mir, trotz massiver Medienpräsenz, aufs Allerherzlichste egal. Nun soll ihr aktueller, im Hauptberuf bei der Poppmusik-Gruppe 'Tokio Hotel' die Gitarre bearbeitender Beschläfer auf einem Konzert ein Shirt mit Hakenkreuzmuster getragen haben und ist deswegen ausgerechnet von der Partei 'Die Rechte' wegen Verstoßes gegen § 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) angezeigt worden. Moment mal, werden sich nun ganz besonders vife Leser fragen, ist das nicht irgendwie voll total crazy? Wieso zeigen die jemanden an für etwas, was sie selbst gern tun? Die Logik ist die: Würde die Klage gegen den juvenilen Schrammelbruder abgewiesen bzw. das Verfahren eingestellt, so hätte man in Zukunft bei jedem ähnlich gelagerten Verfahren gegen »Nationalisten« (O-Ton) ein unschlagbares Gegenargument. Das ist zunächst einmal alles andere als unvif. Dumm nur, dass die ganze Sache auf einem Ausschnitt einer 'Arte'-Sendung basiert und der Verdächtige das Shirt vor Jahren bei einem Konzert in Mexiko getragen haben soll. Keine Ahnung, wie dort die Rechtslage ist. Und müsste man dann nicht eher den honorigen Kulturkanal vor den Kadi…? Fragen über Fragen...
Platz 1 und der Ronny des Monats September geht dieses mal an:
Julian Reichelt
Über ihn und das von ihm verantwortete Presseerzeugnis könnte man hier lange Abhandlungen schreiben. (Ganz nostalgisch könnt' man werden bei dem Gedanken an Zeiten, in denen eine Forderung wie 'Enteignet Springer!' nicht nur auf Ablehnung stieß.) Doch genügt es zuweilen, ihn wörtlich wiederzugeben:
Auf Twitter kursiert ein Foto von @feinesahne Sänger Gorkow, der in Chemnitz den Hitlergruß zeigen soll. Allerdings weist das Foto am Handansatz zwei auffällige Pixel auf, die auf Montage hindeuten könnten. Handelt es sich um eine Fälschung? Wer kann helfen? pic.twitter.com/yUo8BTm48O— Julian Reichelt (@jreichelt) 3. September 2018
Zack, so geht Propaganda! Und so zum Beispiel kann man das beantworten:
Auf Twitter kursiert ein Foto von @BILD Chefredakteur @jreichelt, der bei einer Betriebsfeier in Potsdam den Hitlergruß zeigen soll. Allerdings weist das Foto im Schrittbereich Pixel auf, die auf Montage hindeuten könnten. Handelt es sich um eine Fälschung? Wer kann helfen? pic.twitter.com/DuPfK2WnIe— Jan Böhmermann 🤨🇪🇺 (@janboehm) 4. September 2018
Und der Ehrenronny des Monats, hochverehrtes Publikum, geht dieses Mal an einen, der liberal sich nennt, nämlich an FDP-Mann Sebastian Czaja für folgende messerscharfe Analyse:
Auch darauf lässt sich eine passende Antwort finden:Antifaschisten sind auch Faschisten. Feuer mit Feuer zu bekämpfen ist keine gute Idee. Gewaltmonopol liegt allein beim Staat. Wir müssen laut sein, aber niemals radikal. SC @SawsanChebli #chemnitz— Sebastian Czaja (@SebCzaja) 28. August 2018
Wenn Antifaschisten auch Faschisten sind, werden sie in Zukunft dann auch in Talkshows eingeladen?— Sophie Passmann (@SophiePassmann) 29. August 2018
Die Faszination eines bestimmten Bikertypus für die Autokraten, sehr auffällig. Auch Putin hat eine solche Truppe im Schlepptau, genauso wie Erdogan, und die bikenden Anhänger der sympathischen Jobbik aus Ungarn sind auch nicht zu verachten.
AntwortenLöschenAlle natürlich ausgestattet mit ultralauten Motorrädern, um hörbar ihren höheren Affenstatus zu beweisen.
Mit "law and order" hat das irgendwie nichts zu tun.
Dieser bestimmte Bikertypus, der zudem bevorzugt auf lauten Eisenschweinen mit veralteter Technik unterwegs ist, scheint es halt gern autoritär zu haben.
LöschenDiese Banden sind ja selbst auch ziemlich autoritär organisiert. Wenn man sich anschaut, was Anwärter auf Mitgliedschaft bei den Hells Angels so durchmachen müssen, bis sie richtig mitspielen dürfen...
Löschen"autoritär"
LöschenAber hallo. Jede Affenhorde ist freier organisiert, was die Hierarchien angeht....
Wobei bei diesen Werner-Boliden das Preis-Leistungs-Verhältnis sowas von unstimmig ist ;) …
AntwortenLöschenDa kommt es natürlich drauf an, was für eine Leistung man von so einem Ding will.
LöschenWer gern vorgebeugt mit nach vorn ausgestreckten Armen und Beinen im Fahrtwind sitzt, ist mit sowas doch bestens bedient. Dass man bei jedem Ölwechsel auch gleich eine neue Bandscheibe braucht, muss man halt in Kauf nehmen. Dafür hat man dann aber auch ein Gerät zur Prostatamassage mit größtmöglicher Lärmerzeugung an der frischen Luft. Man muss eben wissen, was man will...
Stefan: Life-Doku über den Hambacher Forst bei Spon:
AntwortenLöschenhttp://www.spiegel.de/video/livestream-raeumungen-im-hambacher-forst-video-99020690.html
Selbst mit dem Räumen des Hambacher Forsts unter fadenscheinigen Argumenten machen die Medien noch ein Geschäft.
LöschenDie ganzen Live-Ticker / -Blogs und -Streams setzen auf den Voyeurismus dienen oftmals nur dem Erhöhen der Klick-Zahlen und nicht dem Berichten:-(
Dieses Business wid in Timur Vermes´ aktuellen Buch "Die Hungrigen und die Satten" bitterböse auf die Schippe genommen und findet im aktuellen Geschehen mehr als nur seine Bestätigung...
Die Räumung des Hambacher Forstes!
LöschenHabe ich das bisher nur falsch verstanden? Ich habe das bisher so betrachtet, dass es dabei um nichts Geringeres geht, als um die Bewahrung und unbedingte Durchsetzung der bürgerlichen Menschenrechte, gegen diejenigen, die sie ausser Kraft setzen wollen.
Nur weil das Recht auf Privateigentum als Menschenrecht von den Bürgerlichen aus taktischen Gründen nie so genannt wird, ist es ihnen dennoch das allerwichtigtste Menschenrecht noch vor allen anderen Menschenrechten, ihr Recht auf Privateigentum, die freie Verfügung darüber und gegen jede Einschränkung dieses Rechtes.
Und dafür dürfen sie den ganzen bürgerlichen Gewaltapperat nicht nur nutzen, sondern diese Executive lässt sich auch noch vollkommen kritiklos einspannen? Springt da von denen keiner mehr von der Fahne und sagt "ohne mir?"