Mittwoch, 31. Oktober 2018

Schmähkritik des Tages (23)


Passend zu Halloween: Anja Rützel über ein Konzert des 'Volks-Rock‘n-Rollers' Andreas Gabalier in Berlin

"Wenn man mit Andreas Gabaliers Werk nur so weit vertraut ist, wie es sich eben nicht vermeiden lässt, wenn man gelegentlich durch das Samstagabendfernsehprogramm zappt, staunt man an diesem Abend, wie einfach das Einfache dann tatsächlich ist. Ein Refrain über das Daheim-Gefühl geht dann auch schonmal so: »Des is dahoam, des is dahoam / Ja, do nur do bin I dahoam.« Selbst die Kollateralschäden eines ländlichen Lebens nimmt man da gern in Kauf: In »Kleine heile steile Welt« singt Gabalier nonchalant vom »Holzscheitelknien«, einer, nun ja, traditionellen Art, Kinder zu bestrafen, indem man sie lange auf Holzstücke mit harten Kanten knien lässt. Gehört halt dazu, so wie Fummeleien auf dem Heuboden und das Kreuz an der Wand.

Es ist eine faszinierende, freilich auch beängstigende Parallelwelt, musizierte Unterkomplexität gegen das Überforderungssyndrom. Der »genderverseuchten Zeit«, über die Gabalier sich mal in einem Interview beklagte, stellt er ein klar geregeltes Geschlechter-Heiapopeia entgegen, in der man jederzeit mindestens ein »Busserl" einfordern kann, er sei ja schließlich »ah nur a Bua«." (SPIEGEL online, 28.10.2018)


Anmerkung: Herr Gabalier war mir lediglich durch die am Rande aufgeschnappte, nur mühsam codierte Fickel-Hymne 'Hulapalu' bekannt sowie dadurch, dass er angeblich Sehnsüchte seines Publikums nach übersichtlicheren Verhältnissen bedient. Hat die wunderbare Frau Rützel jetzt vor Ort recherchiert, sodass wir es nicht mehr tun müssen. Ist auch völlig in Ordnung, so ein wenig Sehnsucht nach einer Welt, in der die Welt noch in Ordnung ist. Haben wir das nicht alle irgendwie mal?

Alter Hut, spätestens seit der Industrialisierung. Vielleicht waren die Nachkriegsjahre nach 1945 mit ihrem Optimismus und ihrer heutzutage rührend bis bizarr anmutenden Begeisterung für alles Moderne ja tatsächlich die Ausnahme, so im großen kulturhistorischen Zusammenhang. Die in den 1970ern schon wieder zu Ende war. Als die desillusionierten Hippies sich in J.R.R. Tolkiens überschaubare Mittelerde-Gegenwelt flüchteten und die knallbunten Seventies-Einbauküchen westdeutscher Wohlstandseigenheime gegen solche im heimeligen Landhaus-Look ausgetauscht wurden. Dass manchmal auch schmerzhafte Körperstrafen für Kinder als akzeptabel durchgehen? Nun ja, ich möchte nicht wissen, wie mehrheitsfähig die Meinung, eine Watschen habe noch keinem geschadet, auch 2018 noch ist.

Problematisch wird es eben nur, wenn das diesen passiv-aggressiven Wird-man-ja-wohl-noch-sagen-dürfen-Unterton bekommt. Wenn für sich selbst grenzenlose Meinungsfreiheit in Anspruch genommen wird, man sich andererseits jegliche Kritik an der eigenen Meinung empört verbittet und als orwellschen Versuch der Gedankenkontrolle denunziert. Das ganze verrührt mit einem kräftigen Schlag völkischer Sauce, denn niemandem stünde es zu, zu beurteilen, "Wos a Land so wü" [sic!]:

"Sein gruseligstes Lied, das unterschwellig bedrohliche »A Meinung habn«, trägt er mit Raunestimme zu Akustikgitarre vor: »Wie kann des sein/ Dass a poar Leut / Glauben zu wissen / Wos a Land so wü?/ Is des der Sinne einer Demokratie?/ Dass ana wos sogt und die andern san stü?« Es sei wichtig, eine Meinung zu haben und hinter ihr zu stehen, aber welche das ist, das verschweigt Gabalier, der sich schon öffentlich für den rechten FPÖ-Mann Heinz-Christian Strache eingesetzt hat, dann doch lieber." (Rützel, ebd.)

(Ich will das Gedudel definitiv nicht. Aber ich bin ja auch nicht Österreich.)

Dem entsprechend geht es auch in den Kommentaren zu, in denen die übliche Mehrheit die Gebetsmühle dreht, Frau Rützel als dünkelhafte Bildungsbürgerschnatze outen zu wollen, die in ihrer maßlos arroganten, bourgeoisen Verblendung den Menschen ihren Spaß vermiesen und ihnen vorschreiben will, was gefälligst gut zu finden ist. Und nicht merken, dass in der indirekten Forderung nach kritikfreien Räumen für amüsierwillige 'kleine Leute', die 'halt nicht was mit Medien studiert haben', lediglich ihren Spaß haben wollen und daher vorm Kritisiertwerden gefälligst auszunehmen sind, nicht weniger Herablassung gegenüber den 'kleinen Leuten' steckt. Ich dachte immer, erwachsene Leute sollten auch mal mit Kritik umgehen bzw. diese an sich abprallen lassen können und nicht sofort nach safe spaces schreien.

Vielleicht ist aber alles nur, passend zum Helloweenfest, ein einziger gruseliger Mummenschanz, den wir einfach nicht kapieren, wie der Kommentator 'genervterbuerger' meint:

"Viele wissen nicht, dass Andreas Gabalier eigentlich Andrea Grabalotte heißt, aus Antwerpen stammt und bereits vor ihrer Umwandlung den Lehrstuhl für Gender Studies an der dortigen Universität inne hatte. Sie versteht die Kunstfigur A. G. als Satire auf eine rückwärts gerichtete Angstgeneration, die ihre Neurosen in Homophobie und Sexismus auslebt und dadurch auch die eigenen homoerotischen Fantasien verdrängen. Für das Jahr 2025 ist Aufklärung geplant, dann fließen die gesamten Einnahmen der ausverkauften Konzerte in Projekte für Transgender- und Frauenrechte. Da werden sich wohl viele wundern..."

So wird‘s wohl sein. Kann eigentlich gar nicht anders sein. Wenn man‘s recht bedenkt. Fröhliches Kürbisfest!




8 Kommentare:

  1. Der Typ ist auch so eine Sorte "Künstler", die die Welt nicht braucht - ähnlich wie die singende Sagrotan-Flasche.

    Die Welt des Schlagers ist inzwischen derart reduziert und die Interpreten/Interpretinnen derart austauschbar, dass es eigentlich selbst den hartgesottensten Schlagerfreunden die Latschen ausziehen müsste.

    Wer sich wie Gabalier noch als "Volks"-Rock´n´Roller bezeichnet, na gute Nacht wie alles, was so kommerziell mit dem Attribut Volks- daher kommt. Das ist weder Fisch noch Fleisch und Rock´n´Roll? Wenn sich diese Typen dann wenigstens nicht immer noch so staatstragend wähnen würden in ihrer intellektuell gesehen geistigen Umnachtung. Da hat Lemmy in seinen beschissensten Zeiten mehr Profil besessen als diese Flachzange je haben wird und das! ist Rock´n´Roll.

    AntwortenLöschen
  2. Volksmusik für die Volksgenossen, die glauben, sie seien das Volk, obwohl sie in Hessen nur 13 Prozent der Stimmen holen.

    AntwortenLöschen
  3. Volksmusik heißt heute Schlager. Am 21.10.2018 übertrug die ARD über 3 Std. lang life den Schlager-Boom 2018 mit 12.000 Fans in der Dortmunder Westfalenhalle. Unter den Gästen mein Spezi, der wandelnde Lachsack Ross Anthony, eine Ecke blöder noch als Gabalier. Wenn ich diese Figuren sehe, frage ich mich immer, ob irgendwo eine Klapse undicht geworden ist. Anthony könnte ich mit stundenlang mit wachsender Begeisterung vor das Fressbrett kloppen - nur mal so ein spontanes Gefühl, wenn ich den sehe.

    Wie bei den Besuchern von 1 Life XXL (14.000 Besucher) mit Cris Tall sollte meines Erachtens der Focus mehr auf das verblödete Publikum gerichtet werden. Beim Reinzappen in den Schlagerboom 2018 zeigte die Kamera immer wieder Menschen, die alle Texte kannten und leidenschaftlich mitgrölten. Derart große "Heile-Welt-Kollektive" mit ihren Gabaliers und DJ Ötzis finde ich beängstigend. Vor den Bildschirmen saßen zusätzliche 5,15 Mio. Zuschauer. Alles hochpolitisch mündige Bürger!!!!!!!!

    https://youtu.be/DdjBxqkhLJM?t=203

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Neiiin, das darf man nicht! Das sind doch alles ganz normale Leute, die nur 'ihren Spaß' wollen! (Und das Wahlrecht haben.)
      @Bonetti Media: In Österreich sind sie schon weiter.
      @Siewurdengelesen: Man könnte an Victor Klemperer erinnern, der folgendes schrieb: »›Volk‹ wird jetzt beim Reden und Schreiben verwandt wie Salz beim Essen, an alles gibt man eine Prise Volk: Volksfest, Volksgenosse, Volksgemeinschaft, volksnahe, volksfremd, volksentstammt ...«

      Löschen
    2. @Stefan Rose: "Man könnte an Victor Klemperer erinnern"

      Oder an Adornos "Jargon der Eigentlichkeit", in welchem er nach dem Krieg anführt, dass dieser "Sprech" nie weg war und sich lange vor der eigentlichen NS-Zeit gebildet hat. Die Faschos haben nur ihre eigene Sprache drumherum gebaut. So nebenbei hat er damit auch Martin Heidegger ziemlich zerlegt in seiner Zeit des Anbiederns bei den Faschisten.

      Ähnlich wie beim Attribut "Volks" bei allem und jeden hat auch jetzt den Grundstein die bisherige Gesellschaft gelegt. Sinnentstellende Euphemismen bringt bereits die noch nicht populistische und totalitäre Ordnung mit. Dazu braucht man nur an "Friedenseinsätze, zivile Kollateralschäden, lethale Entnahmen" u.v.m. zu denken, die uns in den Medien in die Fresse springen und pausenlos Brechreiz erzeugen sollten, meist jedoch einfach nur überlesen werden, bis sie dank Gewöhnen gar keinen Reiz mehr auslösen.

      Genau das ist aber dieses Spiel der Rechten, ständige Tabubrüche, ständiges Spielen mit solchen Ausdrücken und sei es nur im Kontext, um sich hinterher noch als Opfer zu stilisieren und trotzdem die Grenze des Verrohens und Gewöhnens an erst sprachliche und später echte körperliche Brutalität zu verschieben, bis selbst übelste Rohheiten als "normal" wahrgenommen werden, solange es nur die nicht zu dieser "Volks-irgendwas" Zugehörigen trifft.

      sic

      Löschen
    3. Ja, diese Tabubrueche. Dazu gibt es, zB. seit rund 8 Jahren in Europa verschaerfte, Richtlinien/Gesetze, welche im groben Ganzen u.A. definieren, wo denn die Grenze zwischen Redefreiheit und Hatespeech liegt.

      Davor hat sich schon ueberall irgendwelch Nazihorst vollkommen befreit so manchen Dreck rausgenommen und inzwischen sitzen die braunbackigen Jungs und Maedels zunehmend dummverschmitzt grinsend in Parlamenten und regieren auch hier und da fleissig.

      Da trinkt, singt, pruegelt, zuendelt und mordet das schlichte "Das wird man ja wohl noch sagen (tun) duerfen" nicht nur Gesetze glatt unter den Tisch.

      sic++


      Löschen
  4. Gabalier ist als Musiker und mit seiner Ranschleimerei an völkische Kreise einfach nur widerlich. Dass das Cover zu "Volks-Rock'n Roller" (u.a. hier zu sehen: https://lindwurm.wordpress.com/2012/02/07/mann-des-volkes/) nur "zufällig" an ein Hakenkreuz erinnern soll, kann er jemandem erzählen, der die Lederhose mit der Kneifzange anzieht.

    AntwortenLöschen
  5. Sollt ich irgendwann mal in G. Bay landen, brauchts kein Waterboarding etc.
    Ein paar Sekunden Jodel/Schlager(etc.) oder besser direct nach der Androhung, sing ich absolut alles was man hoeren will.

    Meine Traumatisierung durch diese epidemische Dummseuche nahm vor rund 23 Jahren ein glueckliches Ende. Dafuer nehm ich dann auch noch den Trump in Kauf …….! …… ?

    AntwortenLöschen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.