Donnerstag, 6. Dezember 2018

Wenn Kunst mal weh tut


Das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) hat bekanntlich das Projekt 'Soko Chemnitz', bei dem zur Denunziation von Nazis aufgerufen wurde, mit bestem Dank vom Netz genommen und enthüllt, dass es sich um einen 'Honeypot' gehandelt habe. Eine Falle, um möglichst viele der Angesprochenen zum Anklicken zu bewegen und so an ihre Daten zu kommen. Die Aktion sei, heißt es, umstritten. Zu recht. Und absolut nicht schlimm, im Gegenteil. Die bürgerliche Presse sieht das überwiegend anders. Deren Sturmgeschütz Jochen Bittner verstieg sich gar zu der rhetorischen Frage, ob die, die die Aktion des ZPS gutheißen, es auch als Kunst goutierten, wenn 'Identitäre' demnächst Bilder von Linksextremisten veröffentlichen würden. Aha.

Zur Erinnerung: Kunst, die nicht umstritten ist, immer brav alle Regeln befolgt und niemandem weh tut, ist keine, sondern Dekoration. Bringt keinen weiter. Jeder beflissene Bildungsbürger hat solche und ähnliche Binsen im Repertoire: Kunst muss anecken. Polarisieren. Kontroversen anstoßen. Grenzen ausloten. Der Gesellschaft ihre Widersprüche vorhalten. Ihr Ambivalenzen zumuten. Relevant sein. Menschen ihre Wahrnehmungen infrage stellen lassen. Eventuell auch Abwehrreaktionen oder gar Ekel provozieren. Wenn‘s aber mal jemand macht, dann ist das Kopfschütteln groß. Ich habe keine Ahnung, ob das, was die ZPS da veranstaltet hat, Kunst ist oder nicht, bin nicht qualifiziert. Aber es hat offenbar einiges davon geleistet.

"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit." (Karl Valentin)

Wie steht es denn sonst so um die Kunstrezeption? Die größte Provokation in einer grenzenlos gelangweilten Gesellschaft, die ihre Reste von Werten weitgehend entsorgt hat, ist noch, wenn eine documenta zu teuer erscheint ("Dieser Blödsinn! Von unseren Steuergeldern!"). Oder eben jemand was tut, von dem brave Bürger sagen: Ihhh, so was tut man aber nicht! Wenn das jeder täte! Tut aber nicht jeder, das ist ja der Witz.

Wenn einer Faschos den Schutz der Anonymität nehmen will, kommen sie erhobenen Zeigefingers mit Pseudo-Fallersleben: "Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant". Schon klar. Ich hab‘ auch einen. Kästner: "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern." Oder Rosa Luxemburg: "Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden." Gell? Auch schön beliebig, so außerhalb jeden Kontexts. So sehr, dass das längst jeder Dorfnazi im Munde führt.

Ob die Aktion legitim war? Keine Ahnung. Ich halte es da mit Thomas Mann. Als die deutschen 1942 zum ersten Mal seit 1939 einen groben Klotz auf ihren groben Keil bekamen und Manns geliebte Heimatstadt Lübeck in Schutt und Asche lag, schrieb er den auf einmal zu Opfern gewordenen Landsleuten aus dem Exil ins Stammbuch:

"Und lieb ist es mir nicht zu denken, dass die Marienkirche, das herrliche Renaissance-Rathaus oder das Haus der Schiffergesellschaft sollten Schaden gelitten haben. Aber ich denke an Coventry und habe nichts einzuwenden."

Ja, es gehört sich vielleicht nicht. Es ist möglicherweise auch illegal (worüber aber Gerichte zu entscheiden haben und nicht das vornehmlich im Netz sich austobende gesunde Volksempfinden). Ich fühle mich auch nicht wirklich wohl damit. Aber dann sehe ich die Mittel, denen Rechte sich inzwischen völlig selbsverständlich bedienen - Denunziationen bzw. Denunziationsplattformen, Internet-Pranger, Verleumdung, Lüge, 'Hausbesuche', offene Drohungen bis hin zu Gewalt und Mord und etliches mehr - und habe nichts einzuwenden. Wer mit Dreckschleudern in den Infight geht und erwartet, mit weißer Weste herauszukommen, hat schon verloren.

Wenn der Faschismus dereinst gewonnen haben sollte - was heute weniger unwahrscheinlich erscheint als noch vor einigen Jahren -, und am Ende wieder einmal Millionen tot sein werden, dann bringt es eher wenig, als Überlebender von sich sagen zu können: Puh, ja, nicht schön das, aber immerhin haben wir uns immer an alle Vorschriften gehalten. Und haben immer das "Rasen betreten verboten!"-Schild beachtet, auch als alles schon längst in Trümmern lag. Und wieder werden sie blöd glotzen die braven Bürger. Also, das hat doch niemand ahnen können. Wir haben das alles ja gar nicht gewusst. Wir wollten doch nur… Deutschland… wollten wir doch...

Alles was gegen Nazis und Ihresgleichen gerichtet ist, wird im Zweifel von ihnen missbraucht um sich zu Opfern zu stilisieren. Was folgt also daraus? Hände in den Schoß und nichts tun? Je lauter die braunen Bataillone und ihre Sympathisanten von Gesinnungs-Gestapo aufjaulen, desto richtiger ist so eine Aktion. Die haben längst das Uneigentliche, das semantisch Unklare als Kommunikations- bzw. Vernebelungsmittel für sich entdeckt und benutzen es souverän. Wenn Kunst dazu beträgt, ihnen das wieder wegzunehmen, wieder mehr Klarheit zu schaffen indem man sie ernst- bzw. beim Wort nimmt, dann hat das ZPS seinen Job gemacht.

Wer Angst hat, zu Unrecht und versehentlich für einen Nazi gehalten zu werden, sondern bloß ein ganz normaler Besorgter Bürger zu sein begehrt, soll halt nicht bei Nazis mitmarschieren und keine grenzwertigen Sprüche in Asoziale Netzwerke kloppen. Sehr einfach, das. Nazis sind nämlich sehr wohl zu erkennen (die Behauptung, das sei nicht der Fall, ist Teil ihrer Strategie). Wenn nicht an der Kleidung, dann spätestens an dem, was sie so von sich geben auf Demos. Wer das schwierig findet, oder gar unmöglich, tut das vielleicht aus einem ganz bestimmten Grund.

Und nein, niemand, der einmal aus Neugierde oder aus Versehen auf so eine Seite klickt wird deswegen gleich zum Nazi gestempelt. Nicht jeder Algorithmus ist so doof wie man selbst.



7 Kommentare:

  1. (Im Auftrag von frater mosses von lobdenberg

    Oder Rosa Luxemburg: "Die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen aufhört."

    „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen aufhört.“ ist von Kant, wobei ich nicht weiss, ob er das wirklich so gesagt hat – geschrieben hat er ja mehr so geschraubtes Zeuch wie „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“

    Von der guten Rosa ist aber „Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden.“ Das gefällt mir irgendwie noch besser.

    So, jetzt nenn’ mich Bildungsbürger. ;-)

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    1. Anmerkung: Besten Dank für die Korrektur, wird umgehend eingebaut.
      Zum Technischen: Der gute Frater ist einer derjenigen, die Probleme haben, ihre Kommentare hier einzustellen. Das hatten/haben auch andere. Leider. In der Regel hilft es, diverse Add-Ons für diese Seite zu deaktivieren oder zu whitelisten. Oder es mit einem anderen Browser zu probieren wie etwa Chrome oder Opera.

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    2. "Das hatten/haben auch andere. Leider. In der Regel hilft es, diverse Add-Ons für diese Seite zu deaktivieren oder zu whitelisten."

      Bei mir hilft da nur das Freigeben aller Skripte in NoScript, nachdem ich den Antwort-Frame per Rechtsklick hinein in einem neuen Tab oder Fenster öffne. Beim Abdrücken möchte dann zusätzlich gstatic.com bedient werden, schliesslich sind auch Standorte wichtig.

      Google will halt alles wissen und Blogspot auch. Seitenprogrammierung ohne Javascript wäre doch auch so langweilig...

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    3. Zu den technischen problemen: kommentieren ist bei blogspot ohne javaScript leider nicht möglich, habe ich gerade noch mal mit unterschiedlichen browsern durchprobiert. Das problem, daß leute nicht kommentieren können, habe ich ja gelegentlich auch.

      Bei google ist alles mit AJAX aufgebaut, denn das putzt ungemein. AJAX ist eine mischtechnik aus unterschiedlichen scriptsprachen, die es ermöglicht, daß von webseiten nur bestimmte bereiche neu geladen werden müssen, das macht alles viel dynamischer - und dafür benötigt man eben auch javaScript. Wenn ich hier beispielsweise auf »antworten« klicke, wird nicht die ganze seite neu geladen, sondern nur der bereich, wo ich meinen text reintippen kann. Da drüber kann man sicherlich unterschiedlicher auffassung sein, aber ich finde das extrem gut, weil es schnell geht. Es ist ein riesiger aufwand, sowas zu programmieren. Stecken wahrscheinlich zweihundert zeilen code oder so dahinter. Wenn nicht kriminelle energie dahinter steckt, ist das größtenteils harmlos. Der »witz« an scriptsprachen ist, daß man mit denen NICHT ins betriebsystem eingreifen kann. Ja, es gibt »böse« scripte, die schlimme dinge einschleusen können, auf den meisten seiten ist das aber eher nicht der fall.

      »Seitenprogrammierung ohne Javascript wäre doch auch so langweilig...«
      Definitiv. Seitenprogrammierung ohne javaScript ist dröge und öde. Ohne javaScript braucht man doch dieses ganze scheißdreck internet überhaupt nicht, das macht doch ohne überhaupt keinen spaß!

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    4. "Ohne javaScript braucht man doch dieses ganze scheißdreck internet überhaupt nicht, das macht doch ohne überhaupt keinen spaß!"

      Wäre dafür aber ohne Tracking und um Einiges sicherer;-)

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    5. Das mit der sicherheit stimmt. Allerdings habe ich das javaScriptprogrammieren von einem Ami gelernt. Und den meines erachtens sehr schönen satz »manchmal ist auch was egal!«

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  2. Bei meinem Internet-Explorer -nach allen Seiten offen, das heißt nicht mehr ganz dicht- funktioniert es auch. Bei Chrome und Opera nicht.

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