Donnerstag, 3. Januar 2019

Fehlstart


Es gibt deutlich angenehmeres, als sich schon zu Beginn des frischen Jahres mit einem Terroranschlag zu befassen. Zu Silvester hat wieder einmal jemand sein Auto als Waffe benutzt und mehrere Menschen überfahren. Ist doch ein Terroranschlag, oder? Wenn jemand aus politischen Gründen Gewalt anwendet mit dem Ziel, Menschen zu verletzten und/oder zu töten, um so ein Klima der Unsicherheit und der Angst zu erzeugen? Habe ich das richtig verstanden? Und ein politisches bzw. ein rassistisches Motiv liegt wohl auch vor. So es sich bestätigt, der Festgenommene habe sich an jenen rächen wollen, die er als 'Ausländer' ansieht, sollte es keinen Zweifel geben daran.

Es heißt etwas, wenn die Tat eines Anis Amri sofort als 'islamistischer Terroranschlag' eingestuft und damit impliziert wurde, ein uns alle bedrohendes weltweites Netzwerk habe im Hintergrund mitgewirkt, der 'NSU' hingegen, dessen Taten zunächst schnoddrig zu 'Dönermorden' verpopelt wurden, als 'Terrorzelle' bezeichnet wurde. Ganz so, als hätte das Gespann Zschäpe/Böhnhardt/Mundlos, das manchmal geradezu zu einer deutschen Version von Bonnie, Clyde und Clyde stilisiert wurde, quasi als Monade im luftleeren Raum agiert.

Es heißt weiterhin etwas, dass bei der Berichterstattung über die Taten von Münster, Recklinghausen und jetzt die von Bottrop/Essen (die teils als 'Amokfahrt' eingestuft wurde) eilfertig darauf hingewiesen wird, bei den Festgenommenen handele es sich um Menschen mit psychischen Problemen. Was ihre Taten zur individuellen Sache macht. Auf derlei mediales Mitgefühl können Tatverdächtige ohne deutschen Pass und Herkunft längst nicht mehr hoffen.

"Was für manche nach dem perfekten Blockbuster für ihren reaktionären Onkel Detlef klingt, ist ein rassistischer Terroranschlag, der sich vor einigen Tagen tatsächlich so abgespielt hat. Obwohl sich der Täter Andreas N. selbst dazu bekennt, aus rassistischen Motiven heraus gehandelt zu haben, sprechen Journalist_innen in ihrer Berichterstattung von »Fremdenfeindlichkeit« - als ob es genauso gut einen weißen US-Amerikaner oder eine weiße Dänin hätte treffen können." (Hengameh Yaghoobifarah)

Wenn irgendwo islamistischer Terror zugeschlagen hat, heißt es seit 9/11 immer, es handele sich dabei auch um einen Anschlag auf unsere Art zu leben. Sicher lässt sich dazu vieles sagen. Etwa, dass jene Art des Wirtschaftens, mit dem wir, also der Westen, die Welt überzieht, einen gehörigen Teil beiträgt dazu. Aber es ist auch nicht ganz falsch. Ich lege durchaus Wert darauf und schätze es, in einer liberalen, offenen, toleranten weitestgehend säkularen, aufgeklärten und multikulturellen Gesellschaft zu leben.

Wie? Das ist sie gar nicht, unsere Gesellschaft? Nun ja, nicht nur, aber was ist schon perfekt? Machen Sie doch ein kleines Experiment und fragen Sie, so weit vorhanden, Lesben und Schwule in Ihrem Bekanntenkreis, wo und wann sie lieber leben würden: in Saudi-Arabien oder hier? In Deutschland 1959 oder 2019? Habe ich vor einiger Zeit mal gemacht, das Ergebnis war ziemlich eindeutig.

Obwohl es natürlich Probleme en masse gibt und Rückschläge, Ausbeutung blüht und noch viel zu tun bleibt, keine Frage, ist das grosso modo meine Art zu leben sowie die der Mehrheit derer, die in Deutschland leben. Und sie ist im Vergleich zu derjenigen in nicht wenigen Gegenden der Welt schon vorzuziehen. Dazu gehört selbstverständlich auch, in einer Gesellschaft zu leben ('demokratischer Rechtsstaat'), in dem die Polizei im öffentlichen Raum das Gewaltmonopol innehat und ausübt, nicht ein Haufen Neonazis, die meinen, sich zu Ordnungshütern aufschwingen zu müssen.

Kein schöner Anfang, alles in allem. Ein Anfang wäre es dagegen, wenn rassistischer Terror genau so als Anschlag auf unsere Lebensweise eingestuft wird wie islamistischer.

Geht ja gut los. Frohes Neues!




2 Kommentare:

  1. Siewurdengelesen3. Januar 2019 um 18:32

    Tja - so ist das eben, Ausländer sind grundsätzlich Terroristen und Deutsche nur bekloppt, wenn sie solche Taten begehen.

    Am Begriff "fremdenfeindlich" hat sich Burks schon abgearbeitet, einerseits ein netter Euphemismus, der Rassismus mehrheitsfähig und medienkonform macht, ohne das geneigte Publikum über Gebühr zu verschrecken; andererseits ist das typisches Verharmlosen. Im Gegenzug wird nach Amberg gleich wieder unreflektiert die Keule "Schärfere Gesetze" geschwungen, um wenigstens scheinbar Aktionismus zu verbreiten und so nebenbei in den einschlägigen Kreisen lecker whataboutism betrieben.

    Schön finde ich die Nummer mit dem freien Eintritt für AfD-Mitglieder in "Schindlers Liste" in Hachenberg. Selbst dann motzen sie noch rum und suhlen sich in ihrer Opfergrube! Mann - was wollen die denn noch, kann man aber auch nix recht machen, den Brüdern;-)

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    1. So sieht es wohl aus. Werden ja bald wieder die Ronnys des Monats vergeben - heiße Kandidaten.
      Da ich nun in der Stadt hause, in der der vorige Anschlag passiert ist (der mir der Bushaltestelle), finde ich es schon interessant, dass der Fall hier fast völlig aus der Lokalpresse verschwunden ist.

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