Freitag, 15. Februar 2019

Schmähkritik des Tages (25)


Heute: Jürgen Roth über Frankfurt und die Herrschaft der Asozialcharaktere

"Neulich bin ich durch die sogenannte neue Frankfurter Altstadt spaziert. Man muss es diesem vom feixenden Weltgeist ersonnenen Deppenort lassen: Eine derart verlogen historistische, lächerliche architektonische Aufführung, die zudem all jene Knete verschlungen hat, die für sozialen Wohnungsbau angeblich nicht zur Verfügung steht, bringt nicht mal das dummheitsgestählte Berlin mit seinem Halunkenschloss zuwege. Kein Zweifel: Der von der EU verliehene Spezialpreis 'Europäischer Stadtidiot des Jahrtausends' wird Frankfurt nimmer abzuknöpfen sein.

Man ist als Frankfurter also gemeinhin geübt im Hinnehmen, Achselzucken und Auslachen der eigenen (Wahl-)Heimat. Aber jetzt hat ein Herr Marcel Richters auf der die schöne Meinungsvielfalt und Informationswelt noch mal enorm bereichernden Website merkurist.de einen Artikel unter dem Titel 'Lasst die Kneipen endlich sterben' abgeseilt. […] Es ist Ausdruck und Beleg der Herrschaft jener Asozialcharaktere, die im an sämtlichen Blödheitsfronten neuerdings vollkommen entfesselt vorangaloppierenden Frankfurt überall das Maul aufreißen, obwohl sie, Karl Kraus paraphrasierend, besser daran täten, die Straße zu kehren.

[…] Der Frankfurter Herr Marcel Richters nämlich schreibt: »In Frankfurt sterben die Kneipen. Ob mitten im Bahnhofsviertel oder weit draußen in Sindlingen: keine gemütliche Einkehr mehr zum Schoppentrinken und Vor-sich-hin-Starren, keine verrauchten und schummrigen Schankräume hinter Butzenscheiben mehr. Das ist auch gut so. Zu lange sind Kneipen ein Zufluchtsort vor uns selbst gewesen. Es braucht den Mut, sich von dieser idealisierten Vergangenheit zu lösen.«  […]

Ich latsche gleich in den Deutschen Michel im Gutleutviertel, in einem alten linken Quartier, in dem die Leute in Ruhe gelassen werden und sich verbitten, dass für sie von Herrn Marcel Richters etwas Neues gedacht wird. […] Der spätestkapitalistisch prototypische Frankfurter Herr Marcel Richters, den der tyrannische Auslöschungswunsch eines Antialkoholikers umtreibt, labe sich derweil am Sushi-Green-Tea-Snackpoint in der Hanauer Landstraße, gegenüber der EZB." (taz, 12.02.2019)


Anmerkung: Genau! So wir wir ja auch keine Sozialversicherungen, Arbeitnehmerrechte, kein Streik-, kein Demonstrationsrecht und ähnlichen altlinks müffelnden Ringelpietz brauchen, der den hegemonial grassierenden Selbstausbeuter-Kapitalismus noch irgendwie notdürftig eingrenzen könnte.

Wer einem Spießer verbieten wolle, einer zu sein, sei selbst einer, las ich jüngst beim Kollegen Kurbjuhn. Kommt hin. Definiert man Spießigkeit nun grob als jene Neigung, nur das gelten zu lassen, was sich innerhalb des eigenen Horizonts und Wertekanons bewegt, alles andere hingegen für per se überflüssig, inakzeptabel und verzichtbar zu erklären bzw. gleich verbieten oder gar beseitigen zu wollen, dann ist man sehr schnell bei der Einsicht, dass das mitnichten eine Frage fortschreitenden Alters ist, und dass gerade auch junge Menschen entsetzliche Spießer sein können. Fällt nur nicht so auf bei ihnen, da das noch als altersgerecht oder irgendwie putzig wahrgenommen wird.

Liest man so eine von jedem tiefer reichenden Gedanken freie, juvenil-inhumane, sich für irre mutig haltende 'Hoppla, jetzt komm ich!'-Prosa, für die einst jeder 'Tempo'-Praktikant geteert und gefedert unter allgemeinem Hallo aus der Stadt verbracht worden wäre, dann geht einem so einiges durch den Kopf. Die letzte Mahlzeit etwa. Mir gerät dann gern auch mein jüngeres Selbst in den Sinn. So mit Anfang zwanzig dachte ich auch, diese eichenholzene Butzen, in denen vorwiegend ältere Herren zu volkstümlichen Klängen und dem Gedudel von Geldspielautomaten sich mit Herrengedecken aus Pils und Korn die leergewordenen Existenzen schöntranken, brauche niemand und sie könnten daher allesamt weg. Beanspruchten bloß Platz und behinderten einen bei der Entfaltung des grenzenlosen, himmelstrebenden Selbst. Paar hundert Gramm C4-Sprengstoff jeweils - voilà, Problem gelöst! Kam mir schwer unkonventionell vor damit.

Nur wäre unsereins damals nicht auf die Idee gekommen, derlei Spinnereien für provokante, abdruckenswerte Reflexionen zu halten. Vor allem nicht auf die Idee gekommen, Kneipen prinzipiell entbehrlich zu finden. So verspannt waren dann noch nicht mal wir. Und was die so genannte 'neue' Frankfurter Altstadt angeht - je nun. Hatten wir doch letztens schon.





2 Kommentare:

  1. Bah, was für ein Dreck! Am schlimmsten ist, dass sich solche Figuren auch noch für "links" und "progressiv" halten.

    Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz, unbefristete Festanstellung und Tariflohn? Das sind doch alles nur "männliche Privilegien" und gehören abgeschafft

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