Donnerstag, 5. Dezember 2019

Die ganz alte Tante


Man kann sich, wie so viele andere, an Personen abarbeiten. Am honorig-beflissenen Norbert Walter-Borjans und an seiner Co-Vorsitzenden Saskia Esken, die bislang vor allem dadurch aufgefallen ist, ihr notorisches Überfordertsein mit autoritär-patzigem Auftreten zu kaschieren. Man kann sie aber auch bedauern, weil auch sie zwangsläufig scheitern werden. Das ist nicht ihre Schuld und liegt auch nicht an mangelndem guten Willen. Es liegt schlicht daran, dass man nicht gegen den Lauf der Dinge arbeiten kann. Anders gesagt mit Fontane, dem ollen Jubilar:

"Gegen eine Dummheit, die gerade in Mode ist, kommt keine Klugheit auf."

Es ist, daran muss man beizeiten erinnern, keine reine Korrelation und erst recht kein Zufall, dass sozialdemokratische Parteien seit 1990 grosso modo auf dem absteigenden Ast sind und die SPD seit 1990 eine rekordverdächtige Zahl von Vorsitzenden verschlissen hat. Es hat einfach damit zu tun, dass 1989 das sozialdemokratische Zeitalter zu Ende gegangen ist. Der von 1998 bis 2005 währende Versuch, die tendenziell kapitalaffine 'neue Mitte' zu mobilisieren, muss als vollumfänglich gescheitert gelten.

Sozialdemokratie bedeutet eigentlich nichts anderes, als mindestens zwei diametrale Interessenlagen irgendwie unter einen Hut zu bringen: Die des Kapitals und die der Arbeiterklasse. Bzw. die Interessen der Arbeiterklasse gegen die des Kapitals zu verteidigen, ohne dabei das herrschende System der bürgerlichen Demokratie prinzipiell infrage zu stellen. Das bedeutet zwangsläufig Kompromiss. Das Dumme ist nun, dass das Kapital qua Verteilung der Produktionsmittel immer im strategischen Vorteil ist und eine den Kompromiss suchende Sozialdemokratie daher früher oder später als Bettvorleger enden muss. Ist kein böser Wille, ist systemimmanent. Die empörten bis paternalistischen Reaktionen in der bürgerlichen Presse die Tage auf die Frechheit, dass die Basis einer sich sozialdemokratisch nennenden Partei es wagte, zwei Sozialdemokraten zu Vorsitzenden zu wählen, sprechen da durchaus Bände.

Nicht wenige meinen, die Zeit der Sozialdemokratie in Europa sei bereits 1914 zu Ende gewesen, als die Arbeiter die Internationale verrieten, sich vor den nationalen Karren spannen ließen und aufeinander schossen, anstatt jenen, die sie in den Krieg schickten, die Gefolgschaft zu verweigern. Andere meinen, die Sozen seien hierzulande spätestens 1918/19 am Arsche gewesen, als man entschied, die Matrosen niederzukartätschen und Adel und Bourgeoisie weitgehend ungeschoren zu lassen.

Nun ja, in Westdeutschland hat es Zeiten gegeben, in denen das mit der Sozialdemokratie sogar halbwegs funktioniert hat. Unter den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges, da das Kapital aus Sorge vor der real dräuenden Revolution kompromissbereit war und sich mal ein wenig am Riemen riss (die Profite aus Geschäften mit sozialistischen Ländern natürlich gern mitnahm). Mit dem Wegfall der drohenden Roten Gefahr aus dem Osten war es dann Essig damit. Und ist es seitdem. Und sieht nicht nach etwas anderem aus. Und nein, Dänemark ist definitiv kein Vorbild, wenn der Preis für eine sozialdemokratische Regierung allen Ernstes das Wiedererrichten von Ghettos ist.

Ist halt alles eine Frage des Kontexts. Apropos:


Ein Nachtrag.

Dass das Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) die Aktion 'Sucht nach uns' abbrechen musste, finde ich persönlich schade, aber nicht zu ändern, wenn man das mit dem Anstand ernst meint. Die Erklärung dazu ist so gehalten, dass man sagen kann, die Welt wäre ein besserer Ort, wenn mehr Akteure, die Mist gebaut haben, so handelten. Aber das ist müßig, denn passiert ist passiert. Zwar wird man sich beim ZPS vorab darüber im Klaren gewesen sein, dass die Aktion drastisch und grenzwertig sein würde, hat aber wohl die überragende Bedeutung der Totenruhe im jüdischen Glauben falsch eingeschätzt. Das ist übel. Leider kann man nicht immer alles planen.

Scheint man aber versucht zu haben. Wenn man dem ZPS einen Vorwurf machen muss, dann vielleicht den, die ganze Sache zu sehr auf intellektuellen Mindfuck angelegt zu haben (was der Truppe auch die Vorwürfe der Eitelkeit, des Streberhaften und der Profilierungssucht eingebracht hat). Der Gedanke war möglicherweise zu verlockend: Jeder Rechte und Antisemit, der moralisch empört und mit Schaum vor dem Mund protestierte, hätte danach kein Argument mehr gehabt, die Shoah zu relativieren oder gar zu leugnen, da er sie sich selbst zu eigen gemacht hat. Schlau, aber eben auch verkopft. Weil ich auf Verkopftes abfahre, fand ich die Aktion gut. Heftig ja, riskant auch, ja, aber gelungen.

Sicher, man kann, man muss fragen, was Kunst, die nie was riskiert, noch anderes sei als bloße Dekoration. Schwer erträglich aber ist der Gedanke, dass die Aktion Überlebenden der Shoah und deren Lieben in der Seele herumtrampelt. Das kann es nicht sein. Daher hoffe ich von Herzen, dass diejenigen, an die die Entschuldigung gerichtet ist, sie annehmen können. Dass die Kehrtwende des Zentrums auch eine willkommene Steilvorlage ist für Linkenfresser und anderes armseliges Gelichter, sich moralisch aufzuplustern, ist ebenfalls schmerzlich, letztendlich aber ein misslicher Nebeneffekt, der in Kauf zu nehmen ist.




3 Kommentare:

  1. Die empörten bis paternalistischen Reaktionen in der bürgerlichen Presse die Tage auf die Frechheit, dass die Basis einer sich sozialdemokratisch nennenden Partei es wagte, zwei Sozialdemokraten zu Vorsitzenden zu wählen, sprechen da durchaus Bände.

    Das ist mir auch aufgestoßen - da wählen die Mitglieder einer demokratischen Partei ihre Vorsitzenden, und hinterher melden sich alle möglichen Figuren zu Wort und wissen, dass die Basis nun ausgerechnet diese beiden nicht hätte wählen dürfen, das sei ja ganz der falsche Weg, und überhaupt. Allen voran der große Kapitalkuschler Schröder.

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    1. Da lässt sich schön erkennen, wie die Bürgerlichen ihre Sozen gern hätten: Als Wurmfortsatz und Mehrheitsbeschaffer der Union, der ein bisschen soziales Gewissen sein darf und ansonsten gefälligst 'vernüftig' zu sein hat.
      Und der Letztgenannte scheint bis heute nicht zu bemerken, dass der Preis für seine Regierungszeit die Marginalisierung seiner Partei war.

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  2. "Und der Letztgenannte scheint bis heute nicht zu bemerken, dass der Preis für seine Regierungszeit die Marginalisierung seiner Partei war."

    Oder es ist ihm schlicht egal...

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