Montag, 2. Dezember 2019

Wenn Kunst mal weh tut (2)


"Teurer Finder, suche überall, auf jedem Zollbreit Erde. Suchet in der Asche. Die haben wir verstreut, damit die Welt sachliche Beweisstücke von Millionen von Menschen finden kann." (Salmen Gradowski, 1944 in Auschwitz ermordet)

Dank einer großartigen Aktion des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) hat Berlin seit heute ein neues Denkmal: eine "2,5 Meter hohe und 4 Tonnen schwere Gedenk- und Widerstandsstätte aus Edelstahl auf dem Gelände der ehemaligen Krolloper" (ZPS), in der der zur Alibi-Veranstaltung geschrumpfte Reichstag ab 1933 tagte und in der "vor genau 86 Jahren der deutsche Konservatismus die Demokratie in die Hände von Hitler und seinen Nazischergen legte." (ZPS, ebd.) Die Säule enthält exhumierte Asche aus der Gegend um Auschwitz.

(Korrektur, 3.12.: Nein, das ist seitens des ZPS nirgends behauptet worden.)


"Wir haben Tausende Quellen ausgewertet und sind den Spuren gefolgt: nach Nordhausen, Auschwitz, Sobibór, Majdanek, Chelmno, Mauthausen, Belzec, Treblinka, Berdychiv, Plyskiv. Die Asche der Ermordeten wurde in Dämmen verbaut, auf Feldern verscharrt und in Flüssen verkippt. Wir haben an 23 Orten 248 Bodenproben genommen und in mehrere Labore außerhalb Deutschlands geschickt. In 175 der Proben fanden sich Hinweise auf menschliche Überreste. [...] An einem der Schreckensorte fanden wir metertief Asche und Knochenkohle. Die Säule birgt im Kernstück einen in alle Ewigkeit konservierten Bohrkern aus genau dieser Erde." (ZPS)

Die Nazis wollten die Juden vom Angesicht der Erde tilgen, aber das ist ihnen nicht gelungen. Nicht nur gab es Überlebende, auch die Überreste der Ermordeten, ihre Asche, ist an den und um die Stätten der Vernichtung nach wie vor präsent. Das Celansche Bild vom "Grab in den Lüften" ist eine poetischfromme Illusion. Ganze Landstriche sind bestreut, unterminiert und durchsetzt. Die Asche wurde sogar 'verwertet'. Als Düngemittel, zu Isolierung und Frostschutz, für Dammbau und Teichnivellierung.

Letzteres ist nachzulesen in Hinnerk Höflings Begleitstudie zu dem Projekt mit dem Titel 'Die Wege der Asche', die frei zum Download verfügbar ist. Ebenfalls frei verfügbar ist die Sammlung 'An die Nachwelt'. Auf über 200 Seiten zusammengetragene "Letzte Nachrichten und Zeitzeugnisse von NS-Opfern". Ein erster Blick zeigt, dass das keine leichte Lektüre ist.

Ich bin beeindruckt. Sehr sogar.

Denn wie richtig das ZPS wieder einmal liegt, ist leicht daran erkennbar, welche Reaktionen das triggert. Dazu muss man sich zum Beispiel den Tort antun, die Kommentare zur Berichterstattung in den üblichen Qualitätsmedien zu lesen. Von Naserümpfen und Pikiertsein ("Gedenken bitte gern, aber bitte nicht derart geschmacklos!"), Empörung, Whataboutism ("Und was ist mit den Linken?"), über Relativierung bis zu offener Hetze ist alles dabei, was der geistige Fundus des die Samthandschuhe abstreifenden Kleinbürgers so hergibt. Als Gipfel der Verlogenheit erwägen einige übrigens allen Ernstes eine Anzeige wegen Störung der Totenruhe. Da fragt sich dann schon, wohin einigen die Maßstäbe inzwischen gerutscht sind. 

50.000 Euro Spenden will das Zentrum für Politische Schönheit bis Freitag sammeln, um die Gedenk- und Widerstandssäule dauerhaft im Boden einzubetonieren. Aktuell (2. Dezember 2019, 19:33 Uhr) sind es bereits knapp 54.000 Euro.





5 Kommentare:

  1. Es gibt wieder Gegenden in Deutschland, da könnte man diese Säule gar nicht aufstellen, ohne sie Tag und Nacht zu bewachen. Und trotzdem würden die Nazis einen Weg finden, sie zu zerstören. Ich bin auf die Reaktion der Nomenklatura gespannt. Darf die Säule stehen bleiben?

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    1. Das ist in der Tat die Frage. Bauordnungstechnisch ist die Einrichtung wohl verfahrensfrei.

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  2. Update: Das ZPS hat den Grabstein von Franz von Papen, der Hitler zur Macht verholfen hat.

    "Franz von Papen ist auf dem Weg nach Berlin, um die historische Schuld des deutschen Konservatismus aufzuarbeiten."

    https://sucht-uns.de/

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  3. Leider ist es eine illusion, man könne mitten in Berlin eine derartige säule aufstellen, ohne sie zu bewachen. Als ich heute nachmittag dort war, waren zwei polizeifahrzeuge und ca. sieben polizisten vor ort [zum vergleich: als ich kurz vorher Unter den Linden aus der bahn stieg, brauchten sie da gleich drei bullen wegen zwei schwarzfahrern].

    »Beeindrückend« kann man das wohl nennen, was auch immer sich im inneren der säule befindet. Auf der internetseite des ZPS steht, daß sämtliche positiven bodenproben zurück an die orte ihrer entdeckung gebracht wurden. Wichtig ist der symbolwert - hoffentlich bleibt das denkmal dort, damit die konservativen möglichst oft daran erinnert werden, was passiert, wenn man sich mit faschisten einläßt.

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  4. @ Mechthild

    Das muss dieser berühmte Personalmangel der Berliner Polizei sein.

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